Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft will mehr gegen Islamisten und Kriminalität im Internet tun. Foto: dpa

Die Stuttgarter Strafverfolger rüsten gegen Islamismus und Cyberkriminalität auf – trotz großer Personalnot. Schließlich gibt es besonders bei sogenannten schweren staatsgefährdenden Gewaltdelikten zunehmende Fallzahlen – und das Dunkelfeld ist riesig.

Stuttgart - Ist es nur Wichtigtuerei? Oder steckt mehr dahinter? Als da einer im abgeschotteten dunklen Teil des Internets eine Kriegswaffe kaufen will, außerdem Brandanschläge auf das Auto eines Polizisten bejubelt, islamistische Parolen verbreitet und behauptet, lieber in Syrien als im Gefängnis zu sein – da wird das schnell zu einem Fall für die Stuttgarter Staatsanwaltschaft und ihre neue Abteilung, die schwere staatsgefährdende Gewalttaten verfolgt. Als beim fingierten Waffenverkauf die Handschellen klicken, staunen die Ermittler. Es ist ein 23-jähriger Deutscher, wohnhaft am Bodensee. Daheim hat er eine Reichsflagge mit dem islamischen Glaubensbekenntnis verziert.

Ein Fall unter vielen, um die sich seit über einem Jahr die neue Abteilung Islamismus und Ausländerextremismus der Stuttgarter Strafverfolgungsbehörde an der Neckarstraße kümmert. „Die Fallzahlen steigen, und sie werden weiter steigen“, sagt die Leiterin Tomke Beddies am Mittwoch bei der Vorstellung der Jahresbilanz. 290 Verfahren hat es 2016 gegeben, im ersten Quartal 2017 sind es bereits wieder 110. „Beim Vergleich der Quartale haben sich Verfahren um islamistische Straftaten vervierfacht, bei Ausländerextremismus verdoppelt“, so die Oberstaatsanwältin.

Mit 17 000 Zündhölzern über die Grenze

Da ist der 35-Jährige aus dem Maghreb, der im Internet den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin lobte und behauptete, eine Waffe zu besitzen, mit der er ebenfalls Anschläge verüben könne. „Der Mann ist inzwischen nach Nordafrika abgeschoben worden“, sagt Tomke Beddies. Dingfest gemacht wurde ein 20-jähriger Syrer aus Oberschwaben, der mit 17 000 Zündhölzern als mutmaßlicher Bombenbastler über die dänische Grenze wollte.

Es gibt viel zu tun – allerdings steckt nicht immer eine wirkliche Straftat dahinter. Im Sommer 2016 habe es Hinweise auf einen Anschlag unter anderem in Stuttgart gegeben, sagt die Ermittlerin. Nach etwa einem Dutzend verdeckter Maßnahmen und der Durchsuchung von einem halben Dutzend Wohn- und Geschäftsräumen „hat sich der Verdacht allerdings nicht bestätigt“, so Beddies.

„Man muss sich solcher Dinge annehmen, auch wenn es am Ende nur Gerüchte sind und wenige echte Fälle dabei herauskommen“, sagt Siegfried Mahler, Leiter der Stuttgarter Staatsanwaltschaft. Dabei ist man auch vor Rückschlägen nicht gefeit. Nach dem Brandanschlag auf den türkischen Moschee-Verein in Feuerbach im Dezember 2015 wollte die Staatsanwaltschaft sechs Jahre Haft für einen 21-jährigen kurdischen Verdächtigen wegen Mordversuchs und schwerer Brandstiftung. Heraus kam vor Gericht ein Freispruch. Belastungszeugen hatten ihre Aussagen revidiert.

Strafverfolger sind eigentlich unterbesetzt

Doch gerade weil so viel über das Internet abgewickelt wird, will die Staatsanwaltschaft hier ihre Kräfte verstärken. Bis Mai oder Juni soll eine neue fünfköpfige Abteilung gegen Cyberkriminalität aufgebaut werden. Das ist möglich, weil die Staatsanwaltschaft zehn Stellen mehr bekommen soll – und davon ein paar für die Internetspezialisten zur Verfügung stehen. „Dabei geht es weniger um Betrügereien über Ebay“, sagt Mahler, „sondern um Geldwäsche oder Waffengeschäfte im sogenannten Darknet“, betont Mahler.

Dabei hat der Leiter der Stuttgarter Staatsanwaltschaft eigentlich große Probleme, überhaupt das Alltagsgeschäft bewältigen zu können. Zum zweiten Mal in Folge gab es mehr als 110 000 Verfahren gegen ermittelte Beschuldigte. Insgesamt landeten erneut mehr als 200 000 Vorgänge in der Neckarstraße. Und noch nie war die Zahl der unerledigten Verfahren so hoch wie 2016.

Dass die Behörde der Strafverfolger angesichts der hohen Belastung gerne mehr Personal hätte, ist denn auch kein neuer Wunsch, den der Staatsanwaltschef am Mittwoch äußerte. „Wir sind immer noch unterbesetzt“, so Mahler. Es fehlen 31 Staatsanwälte. Trotzdem endeten deutlich mehr Ermittlungen mit Haftstrafen ohne Bewährung: Die Zahl stieg von 885 auf 1161.

Immerhin wurde 2016 nicht zu einem neuerlichen Rekordjahr bei den Verfahrenseingängen. Das lag aber nur daran, dass es massiv weniger Verfahren wegen Verstößen gegen das Aufenthaltsgesetz gegeben hat. Im Vergleich zu 2015 gingen diese Zahlen um fast 40 Prozent zurück.