Zeigen das künftige Gemeindezentrum (von links): Pfarrer Martin Kneer, Alexander Schmidt und Stadtdekan Christian Hermes Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Der Akt hat eine historische Dimension. Im Juli wird in Stuttgart die erste Kirche abgerissen. Was für viele Christen schmerzhaft ist und Symbolcharakter hat, ist für die katholische Stadtkirche aus Finanzgründen schlicht notwendig.

Stuttgart - Für viele katholische Christen in Bad Cannstatt bricht etwas weg. Besser gesagt: es wird abgebrochen. Die Kirche St.Peter fällt im Juli der Abrissbirne zum Opfer. Mit dem Betongemäuer fallen Erinnerungen und wichtige Fixpunkte im Leben: Hochfeste wie Taufe, Firmung, Kommunion, Hochzeit, aber auch dunkle Momente wie Trauerfälle. Mit dem Ort verbinden sich Gefühle. Dieser Ort wird bald nicht mehr sein.

„Viele Leute trifft es hart“, sagt der Hausmeister von St. Peter, „aber mich trifft es am schlimmsten.“ Der Mann verliert seine Wohnung, und sein Job wird zur 50-Prozenz-Stelle. Er wisse nicht, wie’s weitergehen soll.

Dabei ist alles klar: Im Mai rollen die Bagger an und schleifen zunächst den Kindergarten. Im Juli folgt die Kirche aus den 1970ern. Stadtdekan Christian Hermes weiß: „Das ist eine sehr emotionale Sache.“ Aber als Verantwortlicher für 145 000 Katholiken der Stadt darf er sich nicht von Emotionen leiten lassen.

Für alle Kirchen fehlt das Geld

Als Hermes vor fünf Jahren sein Amt angetreten hat, offenbarte der Kassensturz dramatische Verhältnisse. Ihm wurde klar: Wenn er alle 68 Gemeindehäuser und 53 Kirchen erhalten wollte, brauchte er dreimal so viel Geld, als er zur Verfügung hat. „Also hieß es: Klug weitermachen“, sagt Hermes. Die Stadtkirche musste zu neuen Ufern aufbrechen – aber auch verkrustete Strukturen aufbrechen. Angesichts der schwindenden Mitgliederzahlen und der stetig abnehmen Schar der Gottesdienstbesucher „mussten wir kreative Lösungsmodelle finden“. Jenes in der Bad Cannstatter Winterbachstraße gilt nun als Vorbild.

Der Stadtdekan hat damit mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Denn die Sanierung des Kirchengebäudes hätte nicht nur Millionen verschlungen. Für die 400 Menschen fassende Kirche gab es längst keinen Bedarf mehr. Im Schnitt kamen sonntags zur Messer zwischen 50 und 70 Gottesdienstbesucher. Und die froren im Herbst und Winter wie die Schneider. „Wir mussten als einzige Kirche in Stuttgart Decken auslegen“, sagt Pfarrer Martin Kneer. Obwohl er für 70 000 Euro im Jahr Heizöl verfeuerte, wurde der zugige Betonbunker nie richtig warm. Zudem drang durch das Holzdach immer wieder Wasser in die Kirche und in das Gemeindezentrum ein.

Das neue Zentrum kostet 6,3 Millionen Euro

Nun also brechen spätestens im Frühjahr 2019 am östlichen Rand von Bad Cannstatt neue Zeiten an. Bis dahin sollen ein neues Gemeindezentrum samt Kirche und Kindertagesstätte entstehen. Kosten: 6,3 Millionen Euro, wovon 2,6 Millionen Euro von der Stadt für den Kita-Neubau kommen. Weitere 1,7 Millionen Euro finanziert das Stadtdekanat, 550 000 die Diözese Rottenburg-Stuttgart und 1,4 Millionen Euro kommen von der Gemeinde St.Peter mit ihren 2000 Gemeindegliedern.

Möglich wurde die Finanzierung nur durch den Verkauf eines Teils des Grundstückes. Für 1,2 Millionen Euro hat die Stiftung Liebenau den Grund für ein Wohnheim gekauft, in dem 24 behinderte Menschen leben sollen. Die Stiftung lässt sich dieses Wohnheim 3,2 Millionen Euro kosten. Baubeginn ist im Juli, Fertigstellung Ende 2017. „Ohne die Stiftung Liebenau hätte die Zukunft von St. Peter ganz anders ausgesehen. Erst durch die Zusammenarbeit ist der Neubau der Kirche möglich geworden.“

Die noch fehlenden 200 000 Euro zur Finanzierung will die Gemeinde durch Spenden und Verkaufsaktionen gewinnen, unter anderem durch den Verkauf der Kirchenbänke – was Christian Hermes zu einem Scherz veranlasst: „Wer etwas auf die lange Bank schieben will, kann hier zugreifen.“

Zunächst müssen die Katholiken von St. Peter improvisieren

Humor kann nie schaden. Tatsächlich ist dem Stadtdekan aber der Ernst und die Dimension des Kirchenabrisses und dessen symbolische Botschaft bewusst. Gleichwohl sieht er mehr Chancen als Risiken im Projekt St. Peter. Die größte Chance habe die Gemeinde selbst: „Sie bekommt eine neue Aufgabe.“ Er meint die Integration und die Inklusion der behinderten Menschen in den Alltag. In diesem Sinne sei der Abbruch des Alten mehr als eine „Notmaßnahme“. Es sei eine tolle Entwicklung für den Standort, die den gesellschaftlichen Tatsachen gerecht wird. Der neue Kirchenraum bietet Platz für etwa 80 Gottesdienstbesucher.

Bis aber soweit ist, müssen die Katholiken von St. Peter improvisieren. Während der Bauzeit weichen der Kindergarten und die Gemeinde in ein benachbartes Wohnhaus in der Argonnenstraße aus. Zudem soll alle sechs Wochen in der evangelischen Wichernkirche ein katholischer Gottesdienst gefeiert werden. Auch die Liebfrauengemeinde soll als Ausweichort dienen.

Für manche, wie zum Beispiel den Hausmeister von St. Peter, ist das alles kein Ersatz. Er hängt an seiner Kirche, deren Dach wie ein großes schützendes Zelt wirkt. Pfarrer Kneer weiß das: „Der Abschied ist nicht leicht, aber die Freude auf die neue Kirche wird wachsen.“