Neapel versinkt im Freudentaumel. Foto: dpa/Andrew Medichini

Der SSC Napoli ist zum dritten Mal in seiner Clubgeschichte Meister geworden. Der Freudentaumel in der chaotischen, atemberaubend schönen Stadt ist grenzenlos.

Der Gewinn des „Scudetto“ lag in der Luft: Ein Unentschieden im Auswärtsspiel gegen Udine am Donnerstagabend, das wussten die Tifosi, würde genügen, damit sich Neapel den italienischen Meistertitel in der Serie A bereits fünf Runden vor Ende der Saison sichern kann. Und so sind in fröhlicher Vorahnung 60 000 Fans ins heimische Maradona-Stadion gepilgert, um die möglicherweise vorentscheidende und erlösende Partie im fast tausend Kilometer entfernten Udine an acht Großbildschirmen mitzuverfolgen. Das erhoffte Unentschieden wurde Realität: 1:1 lautete der Endstand.

 

Im Stadion wurden neapolitanische Volkslieder angestimmt

Was danach in Neapel los war, lässt sich mit Worten kaum beschreiben: Die süditalienische Stadt am Fuße des Vesuvs explodierte förmlich vor Freude. Der Golf von Neapel wurde von bunten Feuerwerkskörpern taghell erleuchtet, durch die Gassen zogen Hunderttausende von ausgelassenen Fans, zu Fuß, in Autokorsos, unter dem ohrenbetäubenden Lärm von Böllern und Autohupen. Im Stadion wurden neapolitanische Volkslieder angestimmt, am Lungomare Caracciolo sprangen einige „Ragazzi“ ins immer noch empfindlich kalte Meer.

Es kam auch zu einem schlimmen Zwischenfall: Ein vorbestrafter Mann wurde, offenbar durch eine Schusswaffe, tödlich verletzt. Ob absichtlich oder aus Versehen, wird von der Polizei nun geklärt.

Als einzige Großstadt Italiens nur einen Verein

Die Feiern dauerten bis in die frühen Morgenstunden – obwohl die große Meisterfeier zum Saisonende am 4. Juni erst noch bevorsteht. Dass buchstäblich die ganze Stadt im Freudentaumel versank, hat auch damit zu tun, dass Neapel als einzige Großstadt Italiens nur einen Verein hat – in Mailand, Turin und Rom sind es jeweils zwei, mit untereinander verfeindeten Fans. „Hier gibt es nicht, wie anderswo, eine Fangemeinschaft, die leidet und neidisch ist, wenn die anderen gewinnen“, betont der neapolitanische Schriftsteller Maurizio de Giovanni. In Neapel gebe es eine zwar ungeordnete, aber geeinte „Tifoseria“, die sich in den Momenten der Freude, des Leidens und natürlich erst recht in diesem Moment des Triumphs in einem einzigen Verein wieder erkenne. Und: „Fan des SSC Napoli zu sein bedeutet auch, auf starrsinnige und mitunter selbstbeschädigende Weise Fan von dieser Stadt und von diesem Territorium zu sein“, so de Giovanni.

Spott und Beleidigungen aus dem Norden

Tatsächlich hat der Fußball in Neapel neben der sportlichen immer auch eine psychologische und politische Bedeutung: Ein Meistertitel in der Serie A ist immer auch eine Revanche des armen, wirtschaftlich rückständigen Südens gegen den sieggewohnten, arroganten Norden. Juventus Turin und die beiden Mailänder Vereine AC Milan und Inter machen den „Scudetto“, die Meisterschaft, in der Regel unter sich aus. Als Neapel im Jahr 1990 zum letzten Mal den Titel holte, verspotteten die norditalienischen Tifosi die Mannschaft als „afrikanischen Meister“. Das hat man in Neapel nicht vergessen. Auch nicht, dass Lega-Chef und AC-Milan-Fan Matteo Salvini vor einigen Jahren gesagt hatte, er hoffe, der Vesuv möge das Problem mit den Süditalienern irgendwann auf seine Weise erledigen.

Die bisher einzigen Meisterpokale hatte der SSC Napoli 1987 und 1990 gewonnen – mit Superstar Diego Armando Maradona. Doch mit dem Neapel der achtziger und neunziger Jahre hat das Neapel von heute nur noch wenig gemein – das gilt sowohl für die Stadt selbst als auch für den Verein. Die Stadt hat in den jüngsten Jahren eine bemerkenswerte Renaissance erlebt. Quartiere wie Forcella oder das Spanische Viertel, die noch bis vor Kurzem als Hochburgen der Camorra galten, sind zu beliebten Zielen von Touristen geworden. Zugleich entwickelt sich Neapel immer mehr zur inoffiziellen Kulturhauptstadt Italiens. „Heute haben wir ein Neapel mit hohem Wachstum, eine glückliche Stadt, die ihre Rolle in der Welt spielen will“, erklärte Bürgermeister Gaetano Manfredi am Donnerstag nach dem Gewinn des Meistertitels. Dank der soliden Buchhaltung und der zurückhaltenden Transferpolitik des Präsidenten kann man den Titel des SSC Napoli als den wohl nachhaltigsten der jüngeren Geschichte die Serie A bezeichnen. Das entspricht so gar nicht den Vorurteilen gegenüber der Stadt – aber für die Tifosi macht dies den Titel nur noch schöner.