Am Marktbrunnen diskutieren die Workshopteilnehmer über die Versiegelung des Nesenbachs. Foto: Sybille Neth

Der Name „Stuttgart“ leitet sich ab vom Stutengarten, den es einmal am Nesenbach gegeben haben soll, so geht die Sage. Eindeutig zu belegen ist das nicht, aber immerhin Anlass für ein besonderes Geschichtsprojekt.

S-Mitte - Die Pferde sind überall in der Stadt, man muss sie nur suchen. Der Schriftsteller Simon Marics hat 80 Wappentiere in Stuttgart gesichtet, fotografiert und Geschichten über sie gesammelt. Allein in der Innenstadt sind es 50. Stattliche 20 davon sind historischen Ursprungs. Bei den anderen handelt es sich zum Beispiel um Stuttgart-Werbung, Poster, Firmenlogos und Aufkleber.

Simon Marics Rössle-Jagd ist ein Teil des Gemeinschaftsprojektes des Stadtmuseums in Zusammenarbeit mit der Flanerie, dem Labor für Gedanken und Gänge, sowie dem serbischen Akademikernetzwerk Nikola Tesla. So wie die Familie Jakovljevic, die am Samstag zusammen mit Tina Saum (Flanerie), Miriam Höller (Stadtmuseum) und Sara Djukari (Akademikernetzwerk) auf Pferdeschau unterwegs war, haben noch fünf weitere serbische Familien an der etwas anderen Stadtbesichtigung teilgenommen.

Das Pferd inspiriert Besucher zu Geschichten

Am Ende soll aus den Entdeckungen ein Pferdequartett mit 24 Spielkarten für das Stadtmuseum werden. Das Kartenspiel wird aber nicht am Tisch gespielt, sondern vor Ort, denn es soll historisch Interessierte zu den tierischen Sehenswürdigkeiten locken. Maric hat die Aufgabe, die vielen Geschichten und Assoziationen, die die Workshopteilnehmer aus Serbien an den diversen Pferdestellplätzen ersonnen haben, aufzuschreiben und daraus ein Buch zu machen, welches das Quartett ergänzt.

„Wir hatten zum Beispiel einmal eine Zehnjährige dabei, die zu jedem Pferd eine eigene Geschichte geschrieben hat“, erzählt Tina Saum. Wie selbstverständlich kommen alle Teilnehmer über die Pferde zu Themen aus der Stadtgeschichte. Nicht immer sind die Dinge so leicht zu erschließen wie am Postplatzbrunnen an der Calwer Straße. Dort stand die erste Stuttgarter Post und den Brunnen ziert eine goldene Stute mit Fohlen. Für Workshopteilnehmer Dragan Jakovljevic ist das goldene Relief mit dem nuckelnden Fohlen ein Sinnbild für den Neubeginn. Der Ort aber, an dem es steht, ist für jedoch ein Symbol des Untergangs, nämlich des Briefes auf Papier. Jakovljevic sinniert über die Veränderungen in seinem Briefkasten. „Leider werden heute kaum noch Briefe geschrieben. Die Post hat an Wert verloren“, überlegt er, und Tina Saum erklärt, dass die Stute mit Fohlen das ursprüngliche Symbol für Stuten-garten war. „Dann aber fand man, dass ein sich aufbäumendes Pferd repräsentativer ist“, sagt sie schmunzelnd. Tatsächlich aber sei es heute nicht mehr sicher, ob das Gestüt Stuotgarten wirklich der Namensgeber Stuttgarts war. „Das ist fast schon Legendenbildung“, merkt Miriam Höller an. Eventuell kommt „Stuttgart“ von „Stockgarten“, was soviel bedeutet wie Wengert.

Aber die Pferde haben sich über die Jahrhunderte in der Stadt verbreitet, und viele sind bis zur Entdeckungstour des Museumsprojekts allenfalls Kennern ins Auge gestochen. „Ich bin schon hundert Mal am Marktbrunnen vorbeigegangen, aber noch nie ist mir die goldene Stute mit Fohlen aufgefallen“, gibt Mirjana Jakovljevic zu. „Ich liebe diese Stadt jetzt noch mehr.“ Pferde brauchen bekanntermaßen Wasser, und deshalb führte Tina Saum bei ihrem Rundgang die Gruppe auch zu Breuninger, denn in der Unterführung zwischen Kinder- und der Strumpfabteilung unterquert der Kunde beim Einkauf den Nesenbach.

Ein Symbol des Widerstands gegen das NS-Regime

Natürlich haben die Suchtrupps auch Berühmtheiten wie das Reiterdenkmal für König Wilhelm I. vor der alten Staatsgalerie, das Reiterstandbild von Graf Eberhard im Bart im Hof des Alten Schlosses, das Denkmal für Kaiser Wilhelm I. von Preußen auf dem Karlsplatz und die Rossbändiger im Oberen Schlossgarten besucht. Letztere wurden zum Symbol des Widerstands gegen das NS-Regimes, denn auf einer der beiden Statuen hatte der Widerstandskämpfer Hans Gasparitsch mit roter Farbe die Parole „Hitler = Krieg“ gepinselt.

Besonderes Augenmerk legen die Flaneure auf die unscheinbaren Rösser wie jenes auf einem der Torbogen über der Markthalle oder als kleine Figur am „Hans im Glück“-Brunnen. Für die serbischen Teilnehmer war die Entdeckung an einem Hauseingang in der Werastraße 28 jedoch besonders interessant. Dort wacht der Heilige Georg hoch zu Ross über das Haus. „Das ist auch in der serbisch-orthodoxen Kirche einer der zwölf Schutzheiligen“, wundert sich Miriam Djukarić über die deutsch-serbische Parallele.