Der Springbrunnen, hier geöffnet beim Frühlingsball des Chors der Stuttgarter Bäcker in der Liederhalle Foto: Conny Trefz

Auf Spurensuche: In unserer Sommerserie „Stuttgarter Entdeckungen“ wollen wir mit Hilfe unserer Leser Geschichten aufspüren, die in den vielen Winkeln dieser Stadt verborgen sind. Diesmal: Der Brunnen im Beethovensaal.

Stuttgart - Die Liederhalle, das Vorzeige-Kulturzentrum am Berliner Platz – was soll da denn noch zu entdecken sein? Doch manchmal lässt sich auch in einem Gebäude, das jeder zu kennen scheint, das Unbekannte, Besondere, Versteckte aufspüren. „Unser Haus ist natürlich fast allen Stuttgartern wie auch im näheren Umland ein Begriff“, sagt der Direktor der Liederhalle, Norbert Hartmann, „aber dass es hier eine Fontäne gibt, das wissen die wenigsten.“

Bereits bei der Eröffnung der Liederhalle im Jahr 1956 war der Springbrunnen inmitten des Beethovensaals. Anfangs war er mehrmals pro Jahr in Betrieb. Mittlerweile allerdings ist die in den Boden eingelassene Konstruktion die meiste Zeit des Jahres vom Parkett bedeckt.

Nicht so jedoch zu einem besonderen Datum im März. „Einmal im Jahr nehmen wir ihn in Betrieb“, erläutert Hartmann, „und das freut uns natürlich besonders.“ Anlass dafür, dieses ansonsten zumeist bedeckte Prunkstück vorzeigen zu können, ist der alljährliche Frühlingsball. „Manche Gäste, die zum ersten Mal dabei sind, fragen uns: Ja, habt ihr jetzt extra hierfür einen Springbrunnen eingebaut?“ Nein, antwortet Hartmann dann, diesen Brunnen gibt es seit Beginn der Liederhalle.

Angesichts der 1100 Veranstaltungen jährlich im Gesamtkomplex Kultur- und Kongresszentrum Liederhalle (KKL) – also vier bis fünf täglich – nimmt sich jene eine mit geöffnetem Springbrunnen recht bescheiden aus. Aber Hartmann – „ich bin Baujahr 1956, also genauso alt wie die Liederhalle“ – ist froh, das Schmuckstück wenigstens an diesem Abend zeigen zu können.

2015 gab es den 45. Ball

Ausgerichtet wird der Frühlingsball, an dem es zur Freude der Besucher so schön plätschert, von Philia, dem Chor des Vereins Stuttgarter Bäcker. „Dieses Jahr hatten wir den 45. Ball“, berichtet Vorstand Rudolf Frank, selbst seit 1968 im Chor dabei. „Es ist einfach etwas Besonderes, wenn das Wasser läuft – ich sitze ja selbst seit 45 Jahren dran“, sagt er. „und es ist jedes Mal ein wunderbares Erlebnis, weil das Wasser ja auch ein bisschen Feuchtigkeit bringt und ich so die direkte Frische des Brunnens erlebe.“ Als der frühere Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster mal Gast bei dem Ball der Bäcker war, sei er schwer beeindruckt gewesen: „So schön war es in der Liederhalle noch nie“, habe er gesagt, berichtet Frank.

Dass der Springbrunnen nicht häufiger angestellt wird, hat mehrere Gründe. Zum einen muss er hergerichtet und geschmückt werden. Allein die Blumenbestückung beim sogenannten Bäckerball kostet eine fünfstellige Summe. Und: Es fallen ja auch etliche Plätze weg, weil auf jener Fläche eben keine Tische und Stühle platziert werden können. Das bedeutet geringere Einnahmen, als wenn das Parkett geschlossen bleibt.

Das allerdings nehmen die Stuttgarter Bäcker gerne in Kauf. Sie denken gar nicht daran, den Springbrunnen aufzugeben. „Das gehört einfach bei uns dazu“, sagt Frank. Während andere Bälle gerne schwächeln, kann sich Philia über nachlassendes Interesse nicht beklagen. Womöglich hängt diese anhaltend große Nachfrage eben mit jener Besonderheit zusammen. „Wir haben 1000 Gäste, damit sind wir zu 100 Prozent voll, also ausverkauft“, berichtet Frank. Wenn die Besucher langsam vom Foyer in den Beethovensaal schlendern, „gucken sie alle automatisch auf den Springbrunnen und auf den Blumenschmuck“. Und wenn das Wasser laufe, „dann hat man auch das Gefühl, dass die Luft besser ist“.

Fontäne bis zu sechs Meter hoch

Durch einen Zulauf unten „blubbert es zwei Stunden rein wie bei einer Badewanne“, schildert Hartmann plastisch die Vorbereitung. Drei Rohre sind es, die per Pumpe gesteuert werden. „Da kann man ganz schön Druck dahinter machen, die Fontäne geht bis fünf oder sechs Meter hoch.“ Theoretisch. In der Praxis belässt Philia es nach Franks Einschätzung eher bei etwa drei Metern. Der Grund, so Hartmann: „Der Beethovensaal ist ja eigentlich ein Musiksaal.“ Das bedeutet, die Akustik ist sehr gut, man hört also schon leise Töne deutlich.

Wenn nun die Fontäne höher als drei Meter steigt, ist hierfür erhebliche Energie nötig. Das wie auch das wieder herunterplätschernde Wasser sorgen für eine erhebliche Lautstärke, so dass der mögliche Höhenflug nicht völlig ausgereizt wird. Schließlich sollen die Besucher des Bäckerballs nicht beim Hörgenuss der Kapelle oder der anderen Darbietungen gestört werden. Wer selbst einmal das besondere Gefühl des plätschernden Wassers mitten im Beethovensaal erleben möchte – beim nächsten Frühlingsball am 19. März 2016 besteht die Gelegenheit dazu.

Entdecken könnte man auch noch etwas im Keller. Dort befinden sich jene ausgemusterten Polstersessel, an die sich ältere Liederhallengänger sicher noch erinnern. Vor acht Jahren wurden sie gegen schmale Stühle ausgetauscht, wodurch die Kapazität in der Halle um 200 Plätze erhöht werden konnte. „Die alten Sesselhaben immer mal wieder geknarzt, das ist bei Konzerten natürlich schwierig, wenn Sie sich nicht bewegen dürfen“, sagt Hartmann. Da große Teile der Liederhalle und somit auch die Sessel 1987 unter Denkmalschutz gestellt wurden, durften die alten Sessel jedoch nicht ausgemustert werden. Sie befinden sich im Untergeschoss – „dort ist es klimatisiert“, damit der Zahn der Zeit ihnen nicht weiter zusetzt.

Konzertorgel hinter Klappen versteckt

Genug entdeckt im Beethovensaal? Von wegen. Hinter den Fassaden steckt noch eine Besonderheit: eine Konzertorgel. Während in den Vorzeige-Konzertstätten anderer deutscher Großstädte die Orgel stets sichtbar ist, sind die Pfeifen im Beethovensaal hinter beweglichen Klappen verborgen. So circa zehnmal pro Jahr, schätzt Hartmann, erfüllen die kraftvollen Klänge den Saal. „6200 Orgelpfeifen, das ist richtig groß, manche Kirche wäre froh darüber.“

Vom Klangbild begeistert war auch einer der Stars des Genres, der 32-jährige amerikanische Organist Cameron Carpenter, der mittlerweile in Berlin lebt. Mit Händen und Füßen wirbelt das Enfant terrible über Manual und Pedal. Beim Auftritt des genialen Exzentrikers in der Liederhalle vor einigen Jahren kannte der Jubel keine Grenzen – und auch Hartmann war hin und weg, „das war einfach sensationell“.

Hintergrund zum Beethovensaal

1864 wurde im Stuttgarter Westen auf Initiative des Stuttgarter Liederkranzes die erste Liederhalle errichtet, diese wurde jedoch 1943 im Zweiten Weltkrieg zerstört.

Am 2. August 1956 wurde die neue Liederhalle als einer der wichtigsten Kulturbauten in Deutschland der Nachkriegszeit eröffnet – und feiert somit im nächsten Jahr 60-jähriges Bestehen. Forciert wurde die Halle vom damaligen OB Arnulf Klett, konzipiert wurde sie von den Architekten Adolf Abel und Rolf Gutbrod.

Die spielerische Architektur der neuen Halle fand Mitte der 1950er Jahre nicht nur Zustimmung. Vor allem der nackte Sichtbeton verärgerte viele Bürger. „Das ist doch noch nicht fertig, da ist nichts verputzt“, hieß es. Star-Geiger Yehudi Menuhin sagte allerdings: „Das ist der erste moderne Saal, der mir gefällt.“

Der Grundriss ist einem Konzertflügel nachempfunden, „auch das haben viele Konzertgänger noch gar nicht bemerkt“, so Liederhalle-Chef Norbert Hartmann. Im Mittelpunkt des Komplexes steht der Beethovensaal – mit 2200 Plätzen bei Bestuhlung und bis zu 3500 ohne Bestuhlung, etwa bei Popkonzerten.

1991 kam der Anbau mit dem Hegel- und dem Silchersaal hinzu. Dies führte dazu, dass mittlerweile jährlich 650 000 Besucher im Kultur- und Kongresszentrum Liederhalle verzeichnet werden. Im Sommer 2019 ist im Hegelsaal wegen Sanierungsarbeiten eine einjährige Schließung nötig. Kosten: 16,5 Millionen Euro.

Führungen durch die Liederhalle organisiert die Agentur Architektouren Stuttgart (www.architektouren-stuttgart.de).