Der Präsident des Gemeindetags, Roger Kehle, fordert eine Residenzpflicht für Flüchtlinge Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Die Flüchtlinge, da sind sich Experten einig, werden das Top-Thema in nächster Zeit bleiben. Was bisher vor allem auf Landesebene eine Rolle spielte, kommt nun in den Kommunen an.

Stuttgart - Anschlussunterbringung. Ein Begriff so wenig greifbar wie eine Handvoll Reißnägel. Was sich dahinter verbirgt, dürfte sich in den nächsten Monaten aber zu einem handfesten Problem entwickeln. Denn die Flüchtlinge aus Syrien und anderen Krisenherden dieser Welt, die in den vergangenen Monaten nach Deutschland kamen und in den Landeserstaufnahmestellen erst einmal Unterschlupf fanden, werden nun immer mehr auf die Landkreise und damit die Kommunen verteilt.

Kein Wunder also, dass Gemeindetag, Städtetag und Landkreistag nahezu nur noch ein Thema kennen: eben jene Anschlussunterbringung. Und was da auf die Basis zukommt, haben die drei kommunalen Spitzenverbände jetzt in einem zehnseitigen Papier zusammengefasst, das unserer Zeitung vorliegt. Das Schreiben ist einerseits Analyse des Ist-Zustands, andererseits aber auch ein schonungsloser Ausblick, was an finanziellen Belastungen zu erwarten ist. Vor dem Hintergrund, dass auch in den nächsten Jahren mit einer Zugangsrate von jährlich 130 000 Flüchtlingen zu rechnen ist und die Prognosen für den Familiennachzug zwischen vier und acht Angehörigen pro anerkanntem Asylbewerber liegen, wird die Unterbringung in Dörfern und Städten zunehmend zum Problem. „Es ist davon auszugehen“, heißt es in dem Papier, „dass jährlich zusätzlich 30 000 Wohnungen für die anerkannten Asylbewerber und deren nachgezogene Familien erforderlich werden“ – und das neben dem Bedarf an Wohnungen, den es für die einheimische Bevölkerung gibt. Hinzu kommt: Erste Analysen zeigen, „dass es bei den Flüchtlingen einen Trend hin zu Ballungsräumen gibt“.

In der Tat berichten Experten, dass es immer häufiger vorkommt, dass Asylbewerber nach wenigen Tagen oder Wochen ihre Sachen packen und weiterziehen. „Da hat ein Flüchtlingstourismus eingesetzt“, sagt ein Landrat aus einer ländlich geprägten Region. Für Roger Kehle, Präsident des Gemeindetags, kann das aber nicht sein. Eine erfolgreiche Integration der fremden Menschen gelinge nur, wenn „sie gleichmäßig in die Fläche verteilt werden“. Alles andere berge die Gefahr einer Ghetto-Bildung. Kehle, einer der führenden Köpfe in der aktuellen Debatte und Ausgangspunkt des Papiers, fordert die Politik deshalb auf, eine Residenzpflicht für die Asylbewerber einzuführen – und zwar verbunden mit Auflagen. „Ohne das können wir die ganze Sache nicht stemmen“, warnt er. Es müsse klar festgeschrieben werden, dass dem Asylbewerber die Leistungen gekürzt werden, wenn er auf eigene Faust woanders hinzieht.

Kommunalverbände rechnen mit Kosten von mindestens 4800 Euro pro Flüchtling jährlich

Noch etwas macht das Papier klar: Damit die Anschlussunterbringung erfolgreich verläuft, sollen die Flüchtlinge zur „möglichst verbindlichen Teilnahme“ an einem Integrations- und Sprachkurs, an einer beruflichen Qualifizierung sowie die Kinder zur Integration in den Kindergarten- und Schulalltag verpflichtet werden.

Doch das alles kostet Geld, viel Geld. So wird in der Hochrechnung mit jährlich 2400 Euro pro Asylbewerber für die Unterkunft gerechnet, für die soziale Begleitung kommen 1200 Euro pro Kopf hinzu. Für die Integration rechnen die Verbände mit einer Vollzeitstelle pro 50 Asylbewerber, was weitere 1200 Euro pro Kopf ausmacht. Weitere Posten: 1500 zusätzliche Kindergartengruppen mit 187,5 Millionen Euro Kosten; 90 Millionen Euro für die Schulsozialarbeit; eine Aufstockung der Mittel für die Ehrenamtlichen; Investitionskosten für den Wohnungsbau von rund 3,75 Milliarden Euro,weshalb das Sonderbauprogramm des Landes für die Städte und Gemeinden „erheblich aufgestockt“ werden müsse; 600 Millionen Euro für den Bau von neuen Kinderbetreuungseinrichtungen; und eine noch nicht näher bezifferte Zahl beim Neubau von Schulräumen, „da der Familiennachzug die Zahl von schon jetzt 32 000 Flüchtlingskindern im Land noch einmal deutlich in die Höhe treiben wird“.

Angesichts der Grobrechnungen fordert Kehle deshalb vom Bundestag wie von der Landespolitik zügige Entscheidungen: „Da ist es mir relativ egal, ob die Sache nun Einwanderungs- oder Integrationsgesetz heißt.“ Klare Regelungen über die Rechte und Pflichten der Flüchtlinge müssten her, zudem müsse Kostentransparenz geschaffen werden. Durch die Übergriffe rund um Silvester in Stuttgart, Köln und anderswo sei „die Frage der Sicherheit“ zudem zum Sorgenfaktor vieler Menschen geworden.

Mit den Zuweisungen der Asylbewerber an die Kommunen werde „der Druck jetzt massiv zunehmen“. Kehle warnt deshalb davor, die Debatten unendlich fortzuführen. Es müsse vielmehr das Ziel sein, „möglichst in der ersten Jahreshälfte“ in Verhandlungen mit dem Land zu einer Lösung zu kommen. „Wenn jetzt nicht Klartext geredet wird, schürt das nur die Ängste in der Bevölkerung, und den extremen Parteien werden die Leute in die Arme getrieben.“