Deutliche Worte: DOSB-Präsident Alfons Hörmann Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Der Sport steckt in einer Glaubwürdigkeitskrise – und benötigt Hilfe von außen. Das zumindest meint Alfons Hörmann. „Die Staatsgewalt hat eine andere Autorität“, sagt der DOSB-Chef – und findet noch viel mehr deutliche Worte.

Stuttgart - Irgendwie passte der Sonntagmorgen ins Bild, an Rückschlägen hat es im Funktionärsleben des Alfons Hörmann zuletzt schließlich nicht gemangelt. Das Scheitern der Münchner Olympiabewerbung erlebte er noch als Präsident des Deutschen Skiverbands (DSV), mittlerweile ist der Allgäuer Vorsteher aller im Land organisierten Sportler im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) – und auch die Hamburger Kandidatur hat das Volk nicht gewollt. Dazu die Querelen im internationalen Sport – und dann auch noch das: „Aus Garmisch musste ich unverrichteter Dinge wieder abreisen.“

Gut, ganz so große Ausmaße wie mancher Skandal, der den Sport zuletzt erschütterte, hatte die Absage des Weltcup-Riesenslaloms am Fuße der Zugspitze nicht, aber Hörmann hätte schon gerne zugeschaut, wie Felix Neureuther oder Fritz Dopfer den Hang hinunterjagen. Das Wetter aber spielte nicht mit, weshalb sich der Unternehmer erst in den Rückreiseverkehr einreihte – um dann doch noch zum sportlichen Genussmenschen zu werden. Bei Tennis, Wintersport – und natürlich Handball am heimischen TV-Gerät. „Es war herausragend“, sagt Hörmann am Tag danach.

Dieser Tag nach dem sportlichen Ausnahme-Wochenende mit dem Erfolg der Handballer bei der EM, von Angelique Kerber bei den Australian Open und den Siegen zahlreicher Wintersportler führt Hörmann nach Stuttgart. Ein Podiumsgespräch am Abend, davor der Besuch in der Redaktion unserer Zeitung – und wie überall, wo der 55-Jährige auftritt: viele bohrende Fragen zum Ist-Zustand in der einst so heilen Welt des Sports. Und nach Lösungen für die Zukunft.

Neues Leistungssport-Konzept soll kommen

Die will Hörmann präsentieren. In einem Bereich zumindest, den er selbst beeinflussen kann. Bis zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro im Sommer soll die Entwicklung eines neuen Leistungssport-Konzepts für das Land abgeschlossen sein. „Da werden wichtige Weichenstellungen vollzogen“, kündigt Hörmann an. Es geht beispielsweise um die Struktur der Olympiastützpunkte und die Förderung der Athleten, „wir sind auf der Zielgeraden“, ergänzt Hörmann, der erst in der vergangenen Woche mit Innenminister Thomas de Maizière die nächsten Schritte besprochen hat. Zudem redet er von einem „ermutigenden Weg für Sportdeutschland“. Trotz der Rückschläge.

Die Winterspiele 2022 wollte der DOSB ins Land holen, die Bürger der beteiligten Regionen hatten was dagegen. Dann sollte Hamburg Kandidat für die Sommerspiele 2024 werden, im Herbst gab es wieder ein Nein der Bevölkerung. Der Genickschlag saß, und wer Hörmann nun reden hört über die Möglichkeiten eines weiteren Versuchs, der glaubt so wenig wie der Sportfunktionär selbst an einen baldigen dritten Anlauf – trotz der Vorlagen vom Wochenende.

Den EM-Triumph der Handballer sahen über 13 Millionen Menschen im TV, 1,5 Millionen Zuschauer verfolgten Kerbers Sieg in Melbourne, und die Reichweite des Wintersports ist ohnehin immens. „Dort, wo Spitzenleistungen gebracht werden“, folgert Hörmann, „sind die deutschen Bürger auch abseits des Fußballs für Sport zu begeistern.“ Das Wochenende wertet er daher als „wichtiges Signal fürs Land und die Medien“. Wohl wissend, dass sich an der Dominanz der Kicker in der öffentlichen Wahrnehmung kaum etwas ändern wird – und finanzkräftige Sponsoren wie etwa Red Bull mit spektakulären Formaten längst mit am Kuchen knabbern. So ein bisschen Olympia-Gefühl kam dennoch auf bei vielen, die am Samstag und Sonntag am Bildschirm mitfieberten. Doch Hörmann hat eben auch festgestellt: „Begeisterung für die olympische Idee heißt noch lange nicht, dass ich die olympische Idee vor der eigenen Haustür umgesetzt sehen möchte.“

Viel Basisarbeit habe man in Hamburg geleistet, in Schulen, Vereinen und anderen wichtigen gesellschaftlichen Gruppen. Lange bestätigten die Umfragen den Weg, dann kam der Schock – und für den DOSB-Chef die Einsicht: „Dieses unbefriedigende Ergebnis muss zu gründlichem und selbstkritischem Nachdenken führen.“ Sind Olympische Spiele in Deutschland womöglich auf Sicht kein Thema mehr?

Spitzen gegen Digel

„Wie es in der Zukunft gelingen kann, die olympische Idee mehrheitsfähig zu machen, ist aus heutiger Sicht schwer zu beantworten“, sagt Hörmann und will mit dem DOSB zumindest keiner Stadt mehr anbieten, mit ihr ins Rennen zu gehen. Sollte eine Kandidatur noch einmal in Erwägung gezogen werden, müsste sich eine Stadt zunächst zu einer Bewerbung bekennen – wobei Hörmann skeptisch wirkt, wenn er Gedanken daran in Worte packt. Denn er weiß nun: „Es ist sehr, sehr schwer, in unserem Land oder vergleichbaren Ländern Zustimmung für ein solches Projekt zu erhalten.“ Die Effekte – atmosphärisch, infrastrukturell, städtebaulich – in ihrer Gesamtheit seien einfach schwer rüberzubringen, und „wenn man dann eher im Zweifel ist, wiegt jedes negative Argument schwer“. Äußere Umstände steigern die Bedenken zudem. Vor allem, wenn es mehr als genug davon gibt.

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB), der Fußball-Weltverband Fifa, der Leichtathletik-Weltverband IAAF – alle lieferten zuletzt ihre großen und noch größeren Skandale. Der Mangel an Vertrauen und Glaubwürdigkeit ist riesengroß. Das gilt ganz generell, das gilt aber besonders für die handelnden Personen. Alfons Hörmann fand dabei zuletzt deutliche Worte, zum Beispiel, als es um die Rolle von Helmut Digel ging. Der Sportsoziologe saß jahrelang im IAAF-Führungszirkel um den Präsidenten Lamine Diack, dessen skandalösen Machenschaften mittlerweile ans Licht gekommen sind. Digel will davon nichts gewusst haben, Hörmann findet, der ehemalige IAAF-Vize sei „seiner Verantwortung nicht gerecht geworden“. „Was mich nach wie vor stört“, ergänzt der DOSB-Präsident am Montag, „ist, wenn einer andere belehrend angeht, seiner eigenen Verantwortung aber nicht konsequent nachkommt.“ Als Vorsitzender der Marketingkommission habe Digel IAAF-Geschäfte mit Diacks Familienmitgliedern zumindest toleriert. Von einem deutschen Funktionär in einem internationalen Spitzenamt erwartet Hörmann allerdings ein ganz anderes Verhalten.

Wer unlautere Machenschaften in Funktionärskreisen wittere, für den gebe es nur zwei Möglichkeiten, findet Hörmann und nennt Beispiele aus seiner Zeit im Biathlon-Weltverband IBU: „Entweder ich sorge dafür, dass solche Dinge abgestellt werden – oder ich weiß, was zu tun ist.“ Den eigenen Rücktritt anbieten und damit ein klares Signal der Ablehnung nach außen senden. Weil diese Freiwilligkeit unter den Granden der Sportpolitik aber so weit verbreitet ist wie Schneegestöber am Äquator, hegt Hörmann durchaus Zweifel an der Selbstreinigungskraft des Sports.

Der Sport allein kann es nicht schaffen

Zwar sei durch zahlreiche Enthüllungen schon einiges in Bewegung gekommen, sagt der passionierte Skiläufer aus dem Allgäu, er weiß aber auch: „Der Sport ist an manchen Stellen offensichtlich nicht in der Lage, die Dinge in der geforderten Geschwindigkeit und Klarheit anzugehen.“ Die „Staatsgewalt“, fügt er an und nennt den Fifa-Skandal als wegweisendes Beispiel, „hat da eine ganz andere Autorität und Durchschlagskraft“. Entsprechend habe auch die Aufdeckung der IAAF-Machenschaften erst Fahrt aufgenommen, seit die französische Staatsanwaltschaft „in die Bütt gegangen ist“. Die Folge: Russlands Leichtathleten ist die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro vorerst untersagt. Dass sie in Brasilien tatsächlich fehlen werden, glaubt Hörmann allerdings nicht.

Vielmehr rechnet der 55-Jährige damit, dass sich einzelne russische Athleten zur Not ihre Teilnahme vor dem Sportgerichtshof Cas erstreiten würden – und dann doch wieder Konkurrenten für die deutschen Sportlerinnen und Sportler werden. Die sollen in Rio dennoch das Ergebnis von London 2012 (44 Medaillen) wiederholen, höher will der DOSB-Chef die Erwartungen nicht schrauben. Auch wenn das vergangene Wochenende zum Träumen verführt.