Auszeichnung: Joachim Löw, Maria Höfl-Riesch, Robert Harting (v. li.) Foto: Baumann

Es kommt nicht häufig vor, dass sich ein Sportler des Jahres für die Auszeichnung entschuldigt: Robert Harting tat dies im Kurhaus von Baden-Baden. Dem Diskus-Europameister war die Wahl unangenehm. Die ebenfalls gekürte Maria Höfl-Riesch nutzte sogar noch drastischer Worte.

Baden-Baden - Es gehört zu den wichtigsten Traditionen beim alljährlichen Festakt zu Ehren der besten deutschen Sportlerinnen und Sportler, sich über jene aufzuregen, die es nicht für nötig gehalten haben, im prunkvollen Kurhaus von Baden-Baden vorbeizukommen. Das war auch diesmal nicht anders. Beim nächtlichen Miteinander in den Gängen, Sälen und Lounges machte die Frage die Runde: Ist es denn wirklich nicht möglich, dass sich von der Mannschaft des Jahres mehr Spieler auf der Bühne präsentieren als ein einziger? Joachim Löw musste froh sein, dass ihn von seinen Weltmeister-Helden wenigstens der tapfere Christoph Kramer begleitete. Der Bundestrainer versuchte, die restliche Schar der urlaubenden Fußball-Nationalspieler aus der Schusslinie zu nehmen: „Da muss man auch ein bisschen Verständnis haben. Für die Spieler war das Jahr mit unglaublichen Strapazen verbunden. Sie wollen jetzt jeden freien Tag nutzen.“

Für den größeren Aufreger als die Mannschaft des Jahres im Mini-Format sorgte die Wahl von Robert Harting. Es spricht für seine Reife und sein – bisher eher wenig ausgeprägtes – Feingefühl, dass der Diskus-Europameister seine Trophäe an diesem Abend am liebsten mit seinen hinter ihm platzierten Goldmedaillen-Gewinnern aus dem Wintersport geteilt hätte: „Es ist mir schon etwas unangenehm, dass ich gewonnen habe“, räumte der 2,01 Meter große Koloss kleinlaut ein – und zog Parallelen zu seiner Grundschulzeit in Cottbus: „Da habe ich einmal das Kindersportfest gewonnen – und danach haben mich die Klassenkameraden nicht mehr gemocht.“ Jetzt, im Alter von 30 Jahren, ist er bei der Wahl der Sportjournalisten noch vor dem Nordischen Kombinierer Eric Frenzel und dem Rodler Felix Loch gelandet. „Bei ihnen habe ich mich gleich entschuldigt“, sagte Harting, der nach seinem Kreuzbandriss Ende Januar wieder mit dem Training beginnen will, peinlich berührt.

Harting ist ein Typ. Sein Engagement für die Sportlotterie, seine Furchtlosigkeit im Umgang mit Funktionären, sein Mut zur Meinung machen ihn zu einem besonderen Athleten. Diesmal flogen ihm im Bénazet-Saal, dem Wohnzimmer des deutschen Sports, die Sympathien wegen seiner Demut zu. Was nichts daran änderte, dass die Sportlerin des Jahres mit der Wahl von Deutschlands Sportler des Jahres alles andere als einverstanden war. „Wenn man bei den Herren schaut, finde ich es eher bedenklich, dass ein Europameister aus dem Sommer anscheinend mehr wert ist als ein Olympiasieger aus dem Winter. Vor allem, weil er es ja jetzt zum dritten Mal in Folge war“, monierte Maria Höfl-Riesch. Man müsse die Wahl akzeptieren, sagte die 30-Jährige nach der Gala mit 700 geladenen Gästen, darunter IOC-Präsident Thomas Bach. „Aber für den Wintersport ist es eigentlich sehr traurig, und ein bisschen ein Armutszeugnis“, ergänzte die Ski-Queen, die ihre Karriere nach der vergangenen Saison beendet hatte. Unterstützung bekam sie sogar von einem Kollegen Hartings aus der Leichtathletik: „Bei aller Liebe zur eigenen Sportart hätte meiner Meinung nach ein Olympiasieger gewinnen sollen“, twitterte Stabhochsprung-Weltmeister Raphael Holzdeppe.

Als es dann später wurde im Kurhaus, die Volleyballer mit den Nebenwirkungen von Caipirinha experimentierten und zu ausgewählten Discoklängen von DJ Josh Kochhann blaue Blitze über die Tanzfläche zuckten, diskutierte Robert Harting immer noch mit anderen Sportlern. Seine Schiene am Knie hinderte ihn, selbst aktiv zu werden. Und der Überraschungsgast des Abends hatte sich schon im Hotel in Sicherheit gebracht: Hartings Oma Renate. Die quietschfidele Dame hatte ihrem Enkel auf der Bühne den Pokal überreicht. „Es war schon immer mein Traum, ihm diese Auszeichnung zu übergeben“, sagte sie. Gerade diese Auszeichnung. In deren Wahl-Präambel steht: „Gesucht wird mehr denn je das Vorbild, eine Persönlichkeit des Sports. Ausgesprochen erfolgreich natürlich, aber auch durch Haltung und Charakter aufgefallen.“

Daher mag die Wahl zum Sportler des Jahres 2014 umstritten sein, eine himmelschreiende Ungerechtigkeit ist sie nicht.