Hat die Zukunft im Blick: Wolfgang Drexler. Foto: dpa

Karriere und Familie als Hemmnisse für körperliche Fitness: Wie Vereine im Land neue Mitglieder für sich gewinnen – das wurde auf dem Sportkongress diskutiert.

Stuttgart - Beim 10. Stuttgarter Sportkongress wurde viel über die Zukunft der Vereine diskutiert. Die Trendforscherin Anja Kirig rät den Clubs zu mehr Flexibilität, Vernetzung und Mut zur Veränderung.

Der Mensch wurde schon immer vom Wunsch getrieben zu wissen, was sein mag. Auch die Futurologin Anja Kirig beschäftigt sich damit, was aus dem, was war und was ist, einmal werden könnte. Seit 2004 ist die Trendforscherin für das Zukunftsinstitut in München tätig. In der Studie „Sportivity“ untersucht sie, wie es sich verhält mit der Balance zwischen Leben, Arbeit und Sport. Sie kam dabei zum Schluss, dass die Menschen zwischen 30 und 50 Jahren kaum mehr Zeit für Sport haben. Damit war die 37-Jährige die passende Expertin für die Podiumsdiskussion beim 10. Stuttgarter Sportkongress, die unter dem Motto „Sport und Bewegung in der Zukunft – mit dem Verein?“ stand.

„Oft steht der Wunsch nach Sport und Bewegung im Widerspruch zu Familie und Berufsaufbau, und in diese Lücke fallen die 30- bis 50-Jährigen“, sagt Anja Kirig. Für den Verein sei es deshalb wichtig zu erkennen, dass sich Menschen den Sport mittlerweile selbst organisieren und dabei nicht unbedingt auf eine Vereinsmitgliedschaft angewiesen sind. „Viele Menschen wollen draußen Sport treiben, und hier muss der Verein Angebote schaffen und sich vor allem flexibler zeigen“, sagt Anja Kirig.

Stillstand ist Rückschritt

In ihrer Untersuchung hat sie ein nach wie vor großes Stadt-Land-Gefälle festgestellt. Dazu passt das Beispiel des SC Staig (zwischen Illertissen und Ulm gelegen). Von den 3181 Einwohnern sind 2050 Mitglieder im Verein, der seit 2000 von Ulrike Geiselmann geführt wird. „Wer sich nicht verändert, der macht automatisch Rückschritte“, sagt Ulrike Geiselmann. Die bemerkenswerten Zahlen fielen allerdings nicht vom Himmel. Seit drei Jahren betreibt der Club mit Erfolg das fiss, ein familiäres Fitness- und Gesundheitszentrum, das sich auf ein gesundheitsorientiertes Training samt Reha und Prävention ausgerichtet hat.

Einen anderen Weg, um neue Mitglieder zu gewinnen, geht der TB Bad Rotenfels bei Gaggenau. Mit dem Programm Jump, das für Jugendliche mit Power steht, können sich Kinder bei verschiedenen Angeboten meist am Samstagnachmittag austoben, auch wenn sie keine Mitglieder im Verein sind. „Viele Vereine haben keine Ideen, wohin es gehen soll, und halten an überkommenen Strukturen fest, wir sind inzwischen auch bei Facebook vertreten“, sagt Andreas Stahlberger, der Vorsitzende des TB Bad Rotenfels und des Turngaus Mittelbaden. Vernetzung ist auch ein Stichwort, das Anja Kirig gerne aufgreift. „Die Sehnsucht nach Gemeinschaft ist nach wie vor groß, aber die Leute organisieren sich eben in den sozialen Netzwerken, die dann so illustre Namen haben wie beispielsweise die veganen Kletterer“, sagt die Zukunftsforscherin.

Drexler nimmt die Politik in die Pflicht

Gerhard Semler, Abteilungsleiter Bildung und Sport der Stadt Ulm, ist für 76 Sportvereine zuständig und setzt auf sogenannte Bildungsbüros. Ein Mitarbeiter vermittelt dabei zwischen Vereinen und Bildungseinrichtungen wie Schulen und Kindergärten. Anja Kirig rät den Vereinen aber auch, in die Betriebe hineinzugehen. „Sie sollten dort flexible Bewegungsangebote in die Betriebe integrieren“, sagt die Trendexpertin. Für Wolfgang Drexler, Präsident des Schwäbischen Turnerbundes (STB), sind auch Angebote wie Sport im Park ein erfolgreiches Modell, über das immer wieder Menschen den Weg in die Vereine finden. Drexler, Vizepräsident des baden-württembergischen Landtags, nimmt aber auch die Politik in die Pflicht. „Wir brauchen möglichst viele Stellen im Bereich Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ), aus denen dann auch Arbeitsplätze entstehen können“, sagt Drexler. Nur mit entsprechendem Personal könne man das Projekt Verein in der Ganztagsschule auch zuverlässig umsetzen.

Der TB Neckarhausen verfolgt wieder eine andere Strategie, die zugleich auch eine sehr menschliche Komponente hat. Seit dem 1. September absolviert in dem 24-jährigen Syrer Firas Abu Khraish erstmals in Baden-Württemberg ein Flüchtling ein FSJ-Jahr in einem Sportverein und ist damit für alle ein wichtiges Bindeglied geworden. „Die Flüchtlinge von heute sind die Mitglieder von morgen“, sagt Steffen Erb, Vorstand für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des TB Neckarhausen. Dem wollte auch Anja Kirig nicht widersprechen.