Am Kabinettstisch sitzen die Kanzlerin und ihre Minister. Sind die Ressortchefs verhindert, schicken sie ihre Staatssekretäre. Foto: Bundesregierung

Noch nie hat eine Regierung so viele Staatssekretäre beschäftigt: Union und SPD ernannten 35 parlamentarische Staatssekretäre. Lange galten die gutdotierten Posten als Karriere-Endstation. Doch für jüngere Politiker können sie ein Sprungbrett sein.

Berlin - Es gibt Bundestagsabgeordnete, die behaupten im Brustton der Überzeugung, dass sie nicht Staatssekretär werden wollen. Zu ihnen gehört der CDU-Wirtschaftspolitiker Carsten Linnemann. Linnemann, der als Vorsitzender der Unions-Mittelstandsvereinigung Ehrgeiz an den Tag legt, hatte Wochen vor der Aufstellung der Kabinettsliste durchblicken lassen, dass er kein Interesse an dem Amt hat. Eine Begründung lieferte er nicht, doch wer sich im Bundestag umhört, bekommt immer dieselben Antworten: Zu wenig Gestaltungsfreiheit und Profilierung.

Die parlamentarischen Staatssekretäre sind stets im Auftrag der Minister unterwegs. Wenn eine Sonderbriefmarke vorgestellt wird, erledigt das ein Finanzstaatssekretärs. Geht es um den Spatenstich für eine neue Bundesstraße, erscheint meist ein Staatssekretär aus dem Verkehrsressort. Ob Grußworte auf Messen oder lange Sitzungen in den Bundestagsausschüssen: Wenn die Minister keine Zeit haben, schicken sie ihre Vertreter. Lange galt ein Job als parlamentarischer Staatssekretär als Karriere-Endstation. Doch das stimmt nicht unbedingt. Das Interesse an dem Job ist jedenfalls riesig. Noch nie hat eine Regierung so viele Staatssekretäre ernannt wie die große Koalition.

Neuer Rekord bei Staatssekretären

Das Kanzleramt und die 14 Ministerien haben insgesamt 35 parlamentarische Staatssekretäre berufen. In der letzten großen Koalition waren es 33, auch das war schon Rekord. In einigen Ressorts tragen die Staatssekretäre den bedeutungsschwangeren Titel Staatsminister. An der Stellung ändert das nichts. Hinzu kommen noch die beamteten Staatssekretäre, von denen es je nach Größe des Ministeriums einen bis drei gibt. Die beamteten Staatssekretäre halten die Fäden im Ministerium in der Hand. Sie sind die Verwaltungsfachleute, die Apparat und Leute meist seit Jahren kennen.

Die beamteten Staatssekretäre sind mit dem Haus oft tief verwurzelt. Doch auch dies ändert sich gerade. Immer öfter befördern Minister enge Vertraute aus früheren Tätigkeiten – das macht Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) vor, der gleich zwei Führungskräfte aus seiner Hamburger Zeit als Erster Bürgermeister in Spitzenämter hievte.

Die große Koalition hat sich gleich zum Auftakt für eine wundersame Stellenvermehrung entschieden. Die Regierung schafft 209 neue Stellen. Allein Innenminister Horst Seehofer (CSU) beansprucht 104 neue Stellen, unter anderem für „heimatbezogene Innenpolitik“. Der Bundesfinanzminister Scholz, der als Kassenwart eigentlich ein gutes Beispiel sein sollte, erhält als Vizekanzler 41 neue Stellen. Auch das Kanzleramt bekommt mehr Personal für die Digitalisierung. Die grüne Haushaltspolitikerin Anja Hajduk spricht von einer ungeheuren Selbstbedienungsmentalität. Sie meint: „Ein Finanzminister sollte achtsam mit Steuergeldern umgehen.“ Die Regierung begründet die Ausweitung damit, dass im Innenministerium eine neue Abteilung für Heimat aufgebaut werde. Scholz wiederum benötige mehr Personal, weil er als Vizekanzler die Arbeit der SPD-Ressorts koordinieren soll.

Die Grünen-Frau Hajduk fragt, warum nicht an anderer Stelle gespart wird. Vor der Regierungsbildung war der Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) Vizekanzler. Doch die für ihn geschaffenen Stellen im Auswärtigen Amt sollen nicht wegfallen. Deutlich wird das an einzelnen Personalentscheidungen: Der beamtete Staatssekretär, der im Außenministerium bis vor Kurzem Gabriels Vizekanzleramt leitete, ist mit gleichem Status und Gehalt zumindest vorläufig wieder im Wirtschaftsministerium tätig.

Die Regierung sattelt so immer weiter drauf. Der Bund der Steuerzahler beziffert die Kosten auf zusätzlich 20 Millionen Euro pro Jahr. Ein parlamentarischer Staatssekretär verdient einschließlich seiner gekürzten Abgeordnetendiät und der Kostenpauschale monatlich rund 20 000 Euro.

Personalaufbau der FDP löste noch Aufschrei aus

Die Regierung argumentiert zwar, gemessen am gesamten Personalaufwand fielen die neuen Stellen kaum ins Gewicht. Dennoch lässt sich feststellen, dass mit jedem Regierungsstart erst einmal mehr Leute eingestellt werden. Als die FDP-Minister 2009 viele Parteigänger in ihren Häusern unterbrachten, löste dies einen Aufschrei aus. Dass die große Koalitionen von 2013 und 2018 genauso verfuhren, scheint weniger Reaktionen hervorzurufen.

Was sagen die Betroffenen dazu? Steffen Bilger, CDU-Bundestagsabgeordneter aus Ludwigsburg und seit drei Wochen parlamentarischer Staatssekretär im Verkehrsministerium, sieht sich keineswegs in der Defensive. Das Verkehrsministerium habe die Zahl der parlamentarischen Staatssekretäre von früher drei auf zwei gesenkt. Mit Blick auf seinen Terminkalender sei er nicht der Meinung, dass die Leitungsebene des Ministeriums überbesetzt sei. Zu Bilgers Aufgaben gehört es, die Kontakte in die Länder zu halten. Deshalb sei er viel unterwegs. „Die Menschen erwarten, dass politische Vertreter des Ministeriums bei Veranstaltungen vor Ort anwesend sind“, erzählt er.

Aber es gehe nicht nur um Auftritte bei Veranstaltungen. Der parlamentarische Staatssekretär kümmert sich auch um Themen wie Digitalisierung, Straßenbau und Auto. Bilger widerspricht dem Eindruck, ein parlamentarischer Staatssekretär habe nichts zu entscheiden. „Die Gestaltungsmöglichkeiten sind definitiv vorhanden“, sagt er. Für ihn sei der neue Job auch deshalb eine spannende Herausforderung, weil er Erfahrungen in einem Ministerium sammle. Ähnlich sieht das auch der baden-württembergische CDU-Abgeordnete und Wirtschaftsstaatssekretär Thomas Bareiß. „Ich brauche keinen Versorgungsposten und will auch keinen.“ Gereizt habe ihn, dass er als parlamentarischer Staatssekretär gestalten könne. Er ist im Ministerium für die Energiethemen verantwortlich.

In den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, dass das Amt des parlamentarischen Staatssekretärs keine Einbahnstraße sein muss. Gerade jüngere Abgeordnete haben bewiesen, dass sich diese Position als Sprungbrett eignet. Der frühere Finanzstaatssekretär Jens Spahn (CDU) ist jetzt Gesundheitsminister. Peter Altmaier, einstiger parlamentarischer Staatssekretär im Innenressort, leitet nun das Wirtschaftsministerium. Auch der jetzige Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) fing als Staatssekretär an. Ob parlamentarische Staatssekretäre selbst Politik machen können, hängt allerdings davon ab, welchen Spielraum ihnen die Minister lassen.