Kirstin Kruger-Weiß im Meditationsraum des Spirituellen Zentrum – im Hintergrund der neu gestaltete Kirchenraum. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Stadtdekan Christian Hermes hatte einen guten Riecher – die Millionen-Investition für den Umbau von St. Fidelis zum Spirituellen Zentrum hat sich gelohnt. Das Interesse der Menschen ist trotz Corona ungebrochen. Im September starten neue Angebote.

Stuttgart - Einfach mal still hinsetzen und dem Herrgott Dankeschön sagen. Das kann man in jeder Kirche. Ja, sogar an jedem beliebigen Ort. Und doch laden manche Räume mehr dazu ein – zu versinken, zu meditieren, zu beten, innezuhalten. Der neu gestaltete Kirchenraum von St. Fidelis in der Seidenstraße ist so ein Ort. Er wirkt grenzenlos, weit und doch intim genug für ein Zwiegespräch mit Gott und der Welt. Dieses Gefühl teilen viele, die zum ersten Mal das Spirituelle Zentrum betreten, das seit vergangenen Advent seine Pforten geöffnet hat. „Die Klarheit und die Helligkeit schätzen viele. Man könne hier tiefer eintauchen, sagen die Besucher“, erklärt Kirstin Kruger-Weiß, die zusammen mit Pfarrer Stefan Karbach die so genannte Station S der katholischen Kirche leitet.

Im Gegensatz zu manch anderen Angeboten haben die Pandemie und der Lockdown dem spirituellen Zentrum wenig anhaben können. Das Interesse ist ungebrochen. Offenbar hat Stadtdekan Christian Hermes mit seiner Millionen-Investition ins Herz der Menschen getroffen. Die Sehnsucht nach Tiefe, Entschleunigung und einer erfahrbaren Spiritualität im Alltag wird hier erfüllt. Kruger-Weiß glaubt, dass es auch an verschiedenen Zugängen für Menschen liege. Ganz gleich ob man über die Kunst, Literatur, Musik, die Meditation, Yoga oder die Stille angesprochen wird, für alles gilt: „Es kommen Menschen, die keine klassischen Kirchgänger sind.“ Zudem, so glaubt Kruger-Weiß, „überraschen wir viele, die so etwas der Kirche gar nicht zugetraut haben. Menschen, die hier so sein können, wie sie sind“. Eingeladen seien Menschen unterschiedlicher Religionen und Weltanschauungen. Im Oktober startet zum Beispiel ein Qi-Gong-Kurs, der dazu anleitet, über die Bewegung zu innerer Ruhe zu finden.

Mix aus Tradition und Neuem

Das Erfolgsgeheimnis liege in der Mischung aus Tradition und Neuem. Grundlage ist die mystische Einheits- oder Gottes-Erfahrung, die in der Geschichte des Christentums lange zurückgedrängt wurde. Und wie gesagt: Der Weg zu dieser Erfahrung kann über die Kontemplation, die Musik oder andere Formen gehen. Auch hier hat St. Fidelis aufgerüstet: „Der Raum ist klanglich ein Traum“, sagt Kruger-Weiß und betont, dass die Orgel erweitert und verbessert wurde. „Gemeinsam mit den Menschen entdecken wir altbewährte Formen von Spiritualität und Kontemplation, probieren aber auch neue experimentelle Wege aus“, erklärt die Theologin. Wer jedoch lieber über Musik in die Stille eintaucht, für den seien am 17. und 18. Oktober und im Advent die musikalischen Meditationen das richtige. Oder der Tag der Achtsamkeit und des Schweigens am 31. Oktober.

Auch bei Gottesdiensten am Sonntagabend unterscheidet sich das Spirituelle Zentrum vom Gewöhnlichen. „Sie werden einmal im Monat bewusst frei, offen und anders gestaltet, sagt Pfarrer Stefan Karbach: „In diesen Gottesdiensten wollen wir keinem festen Schema folgen, sondern Neues ausprobieren und in freier Form feiern. Wir werden verschiedene Stilmittel ausprobieren und uns auf diese Weise einem Thema nähern.“ So wird sich zum Beispiel der Mediziner Thomas Kuhn am 27. September mit der Heilung aus religiöser und medizinischer Sicht befassen. Am 11. Oktober widmet sich der Sonntagabendgottesdienst dem Leben Franz von Assisis.

Neues Programm im September

Seit Anfang September wird all dies im neuen Programm, das eine Mischung aus regelmäßigen und einmaligen Veranstaltungen und Kursen bietet, umgesetzt. Zu den festen Angeboten gehört jeden Mittwochabend (19 bis 20 Uhr) die „Stille mittendrin“, bei der sich die Besucher mal von Texten, Bildern, mal von Musik inspirieren lassen, um dann gemeinsam in die Stille einzutauchen. Zu den neuen Formaten zählt der spirituelle Experimentierraum, der sich an Menschen zwischen 35 und 60 Jahren wendet. Start ist der 21. September mit einem Schnupperabend. „Immer wieder spüren wir eine Sehnsucht, anders leben zu wollen. Aber im Alltag bleibt dafür wenig Raum. In dem Experimentierraum wollen wir dieser Sehnsucht Raum geben, uns austauschen und inspirieren“, sagt Kirstin Kruger-Weiß.

Aber das Spirituelle Zentrum will nicht nur Menschen aus der Stadt einladen, es geht auch hinaus in die Stadt: Mit dem Konzept „KunstbetrAchtungen“ kooperiert man mit dem Kunstmuseum. An drei Donnerstagen wird jeweils ein Kunstwerk eingehender betrachtet. Impulse und Meditationen dienen dabei den Teilnehmern als Anregung. Raus auf Straßen und Plätze gehen, Begegnungen mit Menschen suchen, heißt es auch beim Angebot „Vor den Mauern – Begegnung, die verwandelt“ am 28. November. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer spüren zur Einstimmung auf den Advent dem Leben Franz von Assisi nach, dessen Begegnung mit einem Aussätzigen vor den Stadtmauern von Assisi seine Sicht auf die Welt grundlegend veränderte. Fast wie bei der Station S: Beim Spirituellen Zentrum könnte die Begegnung innerhalb der Mauern für eine neue Erfahrung sorgen.