Volker Brümmer hat 23 Jahre gespielt. So lange, bis das Geld nicht einmal mehr für ein Eis für seine Tochter reichte und er 300 000 Euro Schulden angehäuft hatte. Der 52-Jährige erzählt hier ganz offen, wie es so weit kommen konnte.
Filder - Irgendwann stand er an den Bahngleisen. Er war nur noch einen Schritt davon entfernt, sein Leben zu beenden. Er fühlte sich wertlos. Er hatte alles verloren: sein Geld, seine Freunde und seine Familie. Er hatte alle betrogen, vor allem aber sich selbst. Doch dann sah er das Gesicht seiner Tochter vor sich und entschied, für sie weiterzuleben. Er machte einen Schritt zurück, der Zug rauschte vorbei.
Noch heute spüre er den Sog, wenn er von diesem dunkelsten Moment in seinem Leben erzählt, sagt Volker Brümmer. Er ist 52 Jahre alt, groß, sportlich gekleidet in Jeans, Sneakers und grauem Kapuzenpulli. Die grauen Haare sind ganz kurz, und durch die dunkel gerahmte Brille schauen wache, graugrüne Augen. Brümmer sitzt im Besprechungsraum der Evangelischen Gesellschaft (Eva) an der Büchsenstraße in Stuttgart. Er kennt das Gebäude gut. Den Menschen dort hat er viel zu verdanken.
Es begann, als er zehn Jahre alt war
Brümmer war pathologischer Spieler. 23 Jahre lang verzockte er sein Geld, vor allem an Automaten. Es begann, als er zehn Jahre alt war. Damals warf er zum ersten Mal zwei Mark, die er von der Oma bekommen hatte, in einen Automaten – und verlor. Freilich, dieses eine Mal war es noch keine Spielsucht, er war nur neugierig gewesen, aber er hatte Blut geleckt. Das Blinken der bunten Lichter löste etwas in ihm aus.
Mit 13 oder 14 Jahren war es an einer Pommesbude das Wechselgeld. Und der Automat spuckte einen Gewinn von 150 Mark aus. Ein Schlüsselerlebnis, weiß Brümmer heute. Als junger Mann machte er eine Ausbildung zum Fliesenleger, bekam sein erstes eigenes Geld – und hatte mit 18 Jahren 2000 Euro Schulden. Die Summe wuchs schnell, und mit ihr die Zahl der Lügen.
Er fand die große Liebe – und belog sie
Nach außen wahrte er den Schein. Er ging zur Arbeit und spielte Fußball. Doch das Geld, das er verdiente, verzockte er. Genauer gesagt: Er verzockte mehr Geld, als er verdiente. Mit 25 Jahren hatte er einen Schuldenberg von 75 000 Euro angehäuft. Das Leben ist eben teuer, redete er sich ein. Miete, Kleider, Lebensmittel, das alles schlägt zu Buche. Das Spielen kam in seiner Kalkulation nicht vor.
Brümmer fand die große Liebe – und belog sie. Er zog morgens den Blaumann an, verabschiedete sich von seiner Frau und ging aus dem Haus, nur um seinen Chef anzurufen und sich krank zu melden. Dann verbrachte er die Zeit an Automaten. Als seine Tochter geboren wurde, wollte er bei ihr sein, darum spielte er nun mehr und mehr online – Nächte lang. Geld hatte die junge Familie schon lange keines mehr. Brümmer jonglierte mit den Summen von Kredit zu Kredit. Dann kam der Tag, an dem er nicht einmal mehr das Geld in der Tasche hatte, um seinem Kind ein Eis zu kaufen. Damals war seine Tochter vier Jahre alt. Sie blickte zu ihm auf, doch er fühlte sich ganz klein, denn er hatte 300 000 Euro Schulden. Als ihm das bewusst wurde, sah Brümmer keinen anderen Ausweg mehr, als sich vom Zug ins Jenseits befördern zu lassen.
Geld hatte die junge Familie schon lang keines mehr
Zum Glück habe er es nicht gemacht, sagt Brümmer heute, zwölf Jahre später. Er googelte das Wort „Spielsucht“ und fand die Adresse der Eva. Anderthalb Jahre lang war er in Therapie. Bei der Eva fühlte er sich wieder wie ein Mensch. Und er sah, dass es andere mit ähnlichen Problemen gab. Der Weg war hart. Sein Bruder wandte sich von ihm ab, seine Ehe ging kaputt, er meldete Privatinsolvenz am.
Heute ist Brümmer ehrenamtlicher Suchtkrankenhelfer. Seit mehr als zehn Jahren leitet er eine Selbsthilfegruppe bei der Eva. Und er ist Referent in den Seminaren der Stuttgarter Spielbanken, welche diese für ihre Mitarbeiter anbieten, um sie für das Thema Sucht zu sensibilisieren. So will er andere vor dem schwierigen Weg bewahren, den er gegangen ist.