ür den Pferdemarkt wird in Filderstadt-Bernhausen die Straße gesperrt. Temporäre Sperrungen gibt es bald auch in Stuttgart. Foto: Günter E. Bergmann

Geht raus zum Spielen: Der Straßenraum soll nicht nur für Autos, sondern auch für spielende Kinder da sein. Die SPD schlägt temporäre Spielstraßen als Alternative zu fehlenden Spielplätzen vor – in einem Pilotprojekt soll dieses Konzept nun an drei Standorten getestet werden.

Stuttgart - „Ich habe in meiner Jugend noch Federball auf der Straße gespielt – das geht heute in Stuttgart fast nirgends mehr“, sagt Marita Gröger und seufzt. So wie die SPD-Stadträtin erinnern sich viele Menschen älteren Semesters daran, in der Kindheit unbeschwert auf der Straße gespielt zu haben – während sie indes die eigenen Kinder nicht mehr so ohne Weiteres und ohne Aufsicht zum Toben rauslassen. Überall sei zu viel Verkehr, zu viel Anonymität, kurz: es lauerten zu viele Gefahren.

Aber da ist dann auf der anderen Seite die Klage über den Mangel: die Kinder bewegen sich zu wenig, es gibt zu wenig Kinderspielplätze. Laut SPD stehen „gerade mal ein Drittel der Spielflächen zur Verfügung, die der Spielflächenleitplan vorsieht“. Zum Teil fehle einfach der Platz für weitere Spielflächen. Was also tun, um diesem Dilemma zu entkommen?

Man „muss öffentlichen Raum neu denken“

Die SPD-Gemeinderatsfraktion hatte bereits im Oktober 2016 den Antrag gestellt, „öffentlichen Raum neu zu denken“ und temporäre Spielstraßen einzurichten, damit Kinder zumindest zeitlich begrenzt den Straßenraum zurückerobern können. Zumal das mit „geringen zeitlichen und finanziellen Aufwand realisiert werden“ könne.

Bisher gibt es Straßensperrungen zu diesem Zweck in Stuttgart nur sehr sporadisch: Jährlich zum Beginn der Sommerferien veranstaltet die Initiative Schöne Straße e.V. eine temporäre Spielstraße in der Theobald-Kerner-Straße in Bad Cannstatt, auch die Rippoldsauer Straße am Uff-Kirchhof wird einmal im Jahr zum Kinderrefugium. In anderen Städte hingegen ist das Konzept der temporären Spielstraße regelmäßig umgesetzt, etwa in Bremen und Frankfurt.

„Das Projekt hat einige Tücken“

Die Stellungnahme der Stadt Stuttgart auf die Anfrage erfolgte eineinhalb Jahre später im Februar 2018. Darin steht: „Auch für die Landeshauptstadt Stuttgart wären mit der Institutionalisierung von temporären Spielstraßen große Vorteile verbunden“, so könnten damit etwa den „Defiziten an Spielflächen in Teilen entgegengewirkt werden“. Dennoch steuert die Stadt nurmehr mit angezogener Handbremse in Richtung institutionalisierter Spielstraße: Zunächst soll in dem Pilotprojekt 3x3 die „Möglichkeiten und Erfordernisse für die Einrichtung temporärer Spielstraßen“ erprobt werden. Dabei werden an drei Standorten jeweils drei Veranstaltungen im Sinne von temporären Spielstraßen durchgeführt. Der Auftakt soll im Mai sein.

Die Stuttgarter Kinderbeauftragte Maria Haller-Kindler leitet das Projekt: „Ich habe die Idee der SPD sehr gerne aufgegriffen, weil das Schaffen zusätzlicher Spielstätten Teil des Konzepts kinderfreundliches Stuttgart ist – und dabei muss man kreativ werden“. Sie erklärt, warum man dennoch bedächtig vorgeht: „Das Projekt hat einige Tücken – und wir wollen nicht, dass wir es, weil Klagen eingereicht werden, gleich wieder einstampfen müssen“.

Denn das war in Berlin der Fall: Im Prenzlauer Berg gehörte einmal in der Woche eine Straße nur den Kindern, doch nach einem Eilantrag einer Anwohnerin hat das Berliner Verwaltungsgericht die Teilzeit-Spielstraße gestoppt. Der Grund: Anders als ein Straßenfest habe die temporäre Spielstraße kein Programm oder einen Inhalt und sei deshalb keine Veranstaltung.

Die 3x3-Aktionen sollen einen klaren Veranstaltungscharakter haben

Das aber ist die Voraussetzung, damit man eine Straße sperren lassen darf, sagt Gisa Gaietto, Sachgebietsleiterin Veranstaltungen und Straßenrecht beim Ordnungsamt Stuttgart. Die 3x3-Aktionen hingegen sollen so konzipiert werden, dass sie einen Veranstaltungscharakter haben, betont Haller-Kindler. Deshalb lege man großen Wert darauf, dass jeweils ein Verein, eine Schule oder ein Jugendhaus sich um die temporäre Spielstraße kümmert. Gaietto: „Dazu gehört, dass die Anlieger informiert, die Verkehrsschilder eingerichtet und vor allem die Kinderspielgeräte aufgestellt werden.“

Welches die drei Standorte seien werden, das sei indes noch nicht entschieden, sagt Haller-Kindler. Gaietto spricht von vier Straßen, die derzeit noch in der engeren Auswahl sind. In den nächsten Tagen soll die Entscheidung fallen, derzeit werde noch der Brandschutz geprüft. Die sonstigen Auswahlkriterien: Die drei Straßen sollen Nebenstraßen sein, die kein großes Gefälle aufweisen. Zudem sollen sie in einem Bezirk liegen, in dem der Bedarf an Spielflächen nicht gedeckt ist, also etwa im Stuttgarter Westen, Bad Cannstatt oder Feuerbach.

Die Akzeptanz der Anwohner ist wichtig

Am wichtigsten seien neben den Hauptakteuren, also den Kindern, die Anwohner. „Auf ihre Akzeptanz kommt es an. Wir werden deshalb Sitzgelegenheiten anbieten und versuchen, ins Gespräch zu kommen“, sagt Haller-Kindler.

Wenn dann alles passt, soll im nächsten Schritt über eine langfristige Lösung nachgedacht werden. Das könnten eine Institutionalisierung nach dem Vorbild von Frankfurt oder Bremen sein, aber es bestehe auch die Möglichkeit, eine Straße dauerhaft zur Spielstraße zu machen, in der zwar Autos fahren dürfen, aber nur im Schritttempo. Damit man dort Federball spielen kann.