Szene aus dem Computerspiel „Silence 2“. Foto: dpa, Hersteller (2)

Mehr als eine halbe Million Besucher werden erwartet, wenn die Branche auf der Gamescom in Köln fünf Tage lang neue Entwicklungen vorstellt.

Stuttgart/Köln - Die Realität gibt dieser Tage Anlass genug, sich in virtuelle Traumwelten zu flüchten. Das mag, zumindest zum Teil, die Anziehungskraft erklären, die von Computer- und Videospielen ausgeht. Doch spätestens seit Handys, PCs und Konsolen praktisch permanent mit dem Internet verbunden sind, sind Games auch zu einem Medium der Kommunikation und der Begegnung geworden. Das zeigt sich auch auf der Gamescom, die bis Sonntag in Köln ihre Pforten geöffnet hat.

 

Viele Fans erscheinen verkleidet als Videospielhelden, die Messe wird begleitet von Vortragsreihen und Diskussionsrunden, und in der „Business Area“ verhandeln Fachbesucher über die Trends von morgen. Insgesamt eine halbe Million Besucher werden auf dem Messegelände erwartet. Mehr als 800 Aussteller aus über 50 Ländern kämpfen um Aufmerksamkeit für ihre Produktionen, die nicht selten Budget von weit über 30 Millionen Euro verschlingen.

Am Mittwoch öffnete die Computer- und Videospielemesse zunächst für die Fachpresse, ab Donnerstag ist auch das Publikum geladen. Wegen nicht eingelöster Gutscheincodes gebe es für alle Publikumstage noch wenige Hundert Tagestickets, teilte der Veranstalter Koelnmesse mit. Die Tickets seien im Online-Shop zu den regulären Verkaufspreisen verfügbar – solange der Vorrat reiche. Eigentlich war die Messe bereits Wochen im Voraus ausverkauft. Die Messe findet in diesem Jahr unter starken Sicherheitsmaßnahmen statt. Besucher sollen, wenn möglich, Taschen und Rucksäcke zu Hause lassen.

Raffinierte Technik: Datenbrillen liefern mehr Realismus

Im Zentrum des Interesses steht in diesem Jahr „Virtual Reality“, kurz VR. Mittels spezieller Brillen werden die Spieler in digitale Welten versetzt, in denen sie sich weitgehend frei bewegen können. Eines der Probleme, mit denen die Technik zu kämpfen hat, ist der begrenzte Raum, der dem Spieler im eigenen Wohnzimmer zur Verfügung steht. Die Tricks, solche Limitierungen zu kaschieren, werden allerdings immer raffinierter. Hightechgeräte wie „Oculus Rift“ für rund 700 Euro dürften allerdings nur etwas für echte Enthusiasten sein. Zumal man einen leistungsstarken PC zum Erzeugen der Bilddaten braucht.

Demgegenüber hat Sonys ab Oktober für rund 400 Euro erhältliche VR-Brille den Vorteil, dass sie sich direkt an die aktuelle Playstation 4 anschießen lässt. Viele Dritthersteller entwickeln bereits Titel für „PlayStation VR“. So produziert die japanische Firma Capcom ihren Schocker „Resident Evil 7“ parallel zur regulären Version zusätzlich in VR. Das Spiel wird so zu einer Art interaktiver Geisterbahn, die im Juni auf der E3 in Los Angeles gleichermaßen Entsetzen und Begeisterung auslöste.

Ob VR nun ein Erfolg wird oder nicht: Die Branche braucht solche Impulse, um nicht im immer Gleichen zu erstarren. Aus der Gamesbranche hervorgegangene Technologien wie VR oder 3-D-Simulationen seien zudem „für die Zukunftsfähigkeit einer modernen Volkswirtschaft unverzichtbar“, sagt Dr. Maximilian Schenk, Geschäftsführer des Bundesverbands Interaktive Unterhaltungssoftware. Dennoch lasse Deutschland durch mangelnde Unterstützung ein großes Wachstumspotenzial ungenutzt. Computer- und Videospiele gelten hierzulande vielfach noch als ungesunde Zeitverschwendung, Kontroversen wie die kürzlich wiederaufgeflammte „Killerspiel“-Debatte tragen auch nicht zur Verbesserung des Images bei.

„Wir haben durchaus erfolgreiche Entwickler, doch es fehlen die globalen Erfolgsgeschichten“, sagt Carsten Fichtelmann, Chef der Hamburger Firma Daedalic. Während sich etwa Polen derzeit zur global erfolgreichen Spieleschmiede entwickle, hinke man diesem in Ziel im eigenen Land weit hinterher. Als Ursache nennt Fichtelmann „einen Mix aus höheren Gehältern, strengeren Arbeitsbestimmungen und weniger Know-how“. Die Förderung falle im Gegensatz zu Ländern wie Kanada, wo etliche große Studios mit Hunderten von Mitarbeitern beheimatet sind, dürftig aus.

Ungeahnte Freiheit: In Spielen werden reale Orte nachgebaut

Umso wichtiger ist eine Messe wie die Gamescom, auf der die Branche ihre Vielfalt zeigen kann. Die Palette reicht von kunstvoll erzählten interaktiven Märchen wie Daedalics „Silence“ bis hin zu riesigen Spieluniversen, in denen der Spieler so viele Freiheiten hat wie nie zuvor. Sonys PS4-Highlight „No Man’s Sky“ treibt die Gigantomanie gar so weit, dass die unvorstellbare Zahl von mehr als 18 Quintillionen (eine Zahl mit 30 Nullen) computergenerierter Planeten auf ihre Erkundung warten. Selbst die Entwickler kennen nur einen Bruchteil ihres eigenen Spiels. Für Ubisofts „Watch Dogs 2“ wurde dagegen mit San Francisco ein ganz realer Ort detailliert nachgebaut. Um eine im Spiel gestellte Aufgabe zu lösen, stehen dem Spieler bis zu hundert Optionen zur Verfügung.

Der „Tatort“-Star Fahri Yardim, selbst ein bekennender „Daddelhead“, glaubt an Spiele als kommunikatives Medium: „Man trifft ja online auf richtige Menschen, misst sich mit echten statt nur mit künstlichen Intelligenzen. Videospiele sind eine Kunstform und haben sich von dem bildungsbürgerlichen Dünkel, der dahinter immer permanente Bedrohung und Verblödung vermutete, zum Glück sehr weit emanzipiert.“ In dem Science-Fiction-Spektakel „Titanfall 2“ übernimmt Yardim die Sprechrolle eines gigantischen Kampfroboters.

Bessere Hardware: Neue Konsolen sind leistungsstärker

Für die Berechnung der komplexen Kunstwelten wird eine potente Hardware benötigt. Pünktlich zum Messebeginn bringt Microsoft für rund 400 Euro die Xbox One S auf den Markt, die kleiner und zugleich leistungsstärker sein soll als der Vorgänger. Auch Sonys PS4 Neo ist eine hochgezüchtete Version der aktuellen Playstation und wie die Xbox S mit einem Ultra-HD-Laufwerk zum Abspielen von 4K-Discs ausgestattet. Gaming mit 3840 x 2160 Pixeln, der vierfachen HD-Auflösung, wird aber wohl noch mit keinem der beiden Geräte möglich sein. Die höhere Rechenleistung schlägt in einer verbesserten Bildrate und zusätzlichen Grafikeffekten nieder. Über Nintendos im März 2017 erscheinende NX darf spekuliert werden. Es soll sich um einen Hybrid aus stationärer und mobiler Konsole mit abnehmbaren Controllern handeln. Unter dem Codenamen „Project Scorpio“ hat Microsoft bereits die nächste Xbox auf der Agenda. Sie soll erstmals Gaming in 4K ermöglichen. Die laut Hersteller „leistungsstärkste Konsole aller Zeiten“ wird wohl erst Ende kommenden Jahres erscheinen – und ist damit ein Fall für die Gamescom 2017.

Neuerscheinungen

Wer auf der Messe ein neues Spiel ausprobieren möchte, muss sich vorab meistens beim Aussteller registrieren, um einen festen Termin zu bekommen. Schlange stehen muss man oft trotzdem.

Titanfall 2

Im zweiten Teil des Kampfroboter-Spektakels kommen auch Solospieler auf ihre Kosten. Die Kämpfe innerhalb und außerhalb der Stahlkolosse bringen Abwechslung und lassen kaum Zweifel, dass auch „Titanfall 2“ ein Hit wird. EA, für PC, PS4 und Xbox One, Erscheinungstermin (ET): 28. Oktober

Civilization VI

Wie immer in der legendären Reihe gilt es, sein Volk zur erfolgreichsten Zivilisation zu machen. In Teil 6 sind Stadtplanung sowie kulturelle Entwicklung wichtiger denn je. Hinter der bunten Optik steckt ein höchst komplexes Spielsystem. 2K, für PC, ET: 21. Oktober

Dishonored 2

Action-Adventure mit einer aufregenden Mischung aus Cyberpunk, Mystik und zufallsgeneriertem „Schicksal“. Die spielerischen Möglichkeiten sind praktisch unbegrenzt. So kommt man durch die Levels, ohne auch einen Gegner zu töten. Bethesda, für PC, PS4 und Xbox One, ET: 11. November

The Legend of Zelda: Breath of the Wild

Eine offene Spielwelt, ein Held, der klettern und springen kann und dessen Fähigkeiten nach dem Rollenspielprinzip weiterentwickelt werden. So viel Freiheit hatten Zelda-Fans noch nie. „Breath of the Wild“ wirkt erwachsener als alle vorherigen Folgen. Nintendo, für Wii U und NX, ET: 2017

Silence

Die kunstvoll erzählte Geschichte eines Bruders, der seine Schwester während fiktiver Kriegswirren verliert und in einem fantastischen Paralleluniversum wiederfinden muss, geht auch aufgrund hochaktueller Bezüge ans Herz. Daedalic, für PC, Mac, PS4, Xbox One, ET: Herbst 2016

Deus Ex: Mankind Divided

„Deus Ex“ ist ein Vorreiter des nichtlinearen Gameplay: Jede Entscheidung hat Auswirkungen auf den Fortgang der Handlung. Packender Science-Fiction-Thriller darüber, wie sehr der Mensch ungestraft in die Natur eingreifen darf. Square Enix, für PC, PS4 und Xbox One, ET: 23. August 2016