Im städtischen Laster landet bei weitem nicht der komplette Sperrmüll, den Bürger an die Straße stellen – viele Dinge werden zuvor von osteuropäischen Händlern eingesammelt Foto: Achim Zweygarth

Vor elf Jahren hat die Stadt Stuttgart die Sperrmüllsammlung umgestellt. Seither wird nicht mehr zu festen Terminen, sondern nur noch auf Bestellung abgeholt. Das sollte professionelle Sammler aus Osteuropa ausbremsen. Doch die wissen sich zu helfen.

Stuttgart - Das Spektakel beginnt um 3.30 Uhr. Mitten in der Nacht wird es plötzlich taghell in der Bockelstraße in Stuttgart-Heumaden. Vor mehreren Häusern im Umkreis lagert jede Menge Sperrmüll, den die Anwohner am Vorabend oder bereits früher zur Abholung bereit gestellt haben. Für den nächsten Morgen haben sich die Männer von der Abfallwirtschaft Stuttgart (AWS) angekündigt. Doch der polnische Kleintransporter, der jetzt vorfährt, ist schneller. Auf seinem Anhänger ist eine Art Lichtmast aufgestellt, der die gesamte Umgebung beleuchtet. Zwei Männer steigen aus und beginnen mit großem Getöse, Möbel, Bretter, Kisten und anderen Sperrmüll zu durchsuchen. Was nicht gebraucht wird, landet im Gebüsch, auf dem Gehweg, vor den Hauseingängen oder auf der Straße. Nach zehn Minuten ist der Spuk vorbei, es geht weiter zu den nächsten Müllhaufen.

Am nächsten Morgen schüttelt eine Anwohnerin fassungslos den Kopf. „Für mich ist es völlig in Ordnung, wenn die Leute mitnehmen, was noch verwertbar ist. Dann werden die Sachen wenigstens noch benutzt“, sagt sie. Aber eine solche Sauerei anzurichten und dazu noch der Krach mitten in der Nacht, das sei untragbar. „Schon am Vortag habe ich fünf Mal aufräumen müssen. Kaum, dass der Sperrmüll vor dem Haus stand, ging es los mit Kleintransportern aus Polen, Ungarn, der Slowakei und sogar Litauen.“ Das sei man ja gewohnt, aber diesmal seien sich die Müllverwerter sogar in die Haare geraten und ohne Rücksicht auf die Anwohner vorgegangen.

Seit elf Jahren anderes Abholsystem

Vor elf Jahren hat die Stadt Stuttgart die Sperrmüllabholung umgestellt. Gab es zuvor zwei feste Termine im Jahr für jeden Stadtteil, muss jeder Bürger seither die Abfuhr selbst bestellen, wenn er sperrige Dinge loswerden möchte. Grund dafür war damals unter anderem das immer dominantere Auftreten zahlreicher professioneller Sammler aus Osteuropa. Medien schrieben gar von der „Sperrmüllschlacht“, bei der einheimische Sammler kaum noch zum Zug kämen und den auswärtigen Händlern Sachen zum Teil sogar abkaufen müssten, wenn sie etwas mitnehmen wollten. Nach einer schwierigen Umstellungsphase mit vielen wilden Müllhaufen in der Stadt und zahlreichen Klagen über das neue Modell hatte sich die Lage später etwas beruhigt.

Doch die professionellen Händler geben sich nicht geschlagen. Weil die AWS nicht einzelne Adressen in unterschiedlichen Stadtteilen abklappern kann, sondern im Sinne eines vernünftigen Ablaufs zahlreiche Bestellungen in derselben Gegend an einem Tag bündelt, lohnt sich die Anreise offenbar immer noch. „Vermutlich fahren die Händler einfach rum und bekommen dann schnell mit, wo an welchem Tag Sperrmüll rausgetragen wird“, sagt eine Sprecherin des städtischen Eigenbetriebs. Deswegen habe man kein festes Rotationsprinzip, um zu vermeiden, dass dieselben Gegenden immer in einer bestimmten Reihenfolge dran sind: „Wir jonglieren extra mit den Bezirken. Aber ansonsten können wir nichts weiter gegen Auswüchse tun.“

Beschwerden aller Art verzeichnet die AWS regelmäßig. Dabei geht es aber auch darum, ob Sperrmüll viel zu früh rausgestellt oder wild in Grünanlagen entsorgt wird. Auch Fälle, in denen Bürger fremden Abfall bei ihrem Sperrmüll vorfinden, der dann im Zweifel nicht mitgenommen wird, kommen immer wieder vor. „Wir sehen da aber keine heftigen Sprünge nach oben. Und solch extreme Fälle wie der in Heumaden sind die absolute Ausnahme“, betont die Sprecherin.

Anwohner melden verdächtigen Transporter

Doch manchmal wird sogar die Polizei tätig. „Wenn Bürger anrufen und sich über Sperrmüll beschweren, verweisen wir zunächst an die AWS. Es gibt aber auch Fälle, in denen wir einschreiten. Zum Beispiel beim Verdacht auf eine Umweltstraftat oder Ordnungswidrigkeit“, sagt Sprecher Thomas Geiger. Allein im August habe man acht Vorkommnisse verzeichnet. In sieben Fällen sei es um Beschwerden über abgelegten Sperrmüll gegangen, beim achten haben Anwohner ein verdächtiges Fahrzeug gemeldet, das im Wohngebiet hin- und herfuhr und deren Insassen sie für mögliche Einbrecher hielten. Bei der Überprüfung stellte sich heraus, dass es sich um Sperrmüllsammler aus Osteuropa handelte.

Für die lohnt sich die Anfahrt nach wie vor. „Hier gibt es immer noch genug. Man weiß schnell, wo abgeholt wird“, sagt ein Mann aus der Slowakei in gebrochenem Deutsch. Woher die Routenplanung bekannt ist, darüber will er keine Auskunft geben. Er zeigt stattdessen lieber auf einen uralten kaputten Fernseher auf einem Sperrmüllhaufen. „Aus solchen Geräten holen wir noch Kupfer und andere wertvolle Materialien“, sagt er. Das genüge, um ein bisschen Geld zu machen.

In Heumaden sind am Tag nach der denkwürdigen Nacht erst einmal Aufräumarbeiten angesagt. „Die Stadt empfiehlt ja, die Sachen erst morgens rauszustellen“, sagt eine Betroffene, „aber wie soll ich das machen, wir haben dafür fast drei Stunden gebraucht.“ Die Händler waren beim Durcheinanderwerfen deutlich schneller.