Eine Mitarbeiterin der Aufsichtsbehörde für Notfallsituationen beruhigt das weinende Baby einer Familie, die vor dem Krieg in der benachbarten Ukraine an die rumänisch-ukrainische Grenze geflohen ist. Foto: dpa/Andreea Alexandru

Die Hilfsaktionen aus der Region laufen an: Der Förderverein Kinderheim Zsobok aus dem Bottwartal engagiert sich gemeinsam mit den Bewohnern des rumänischen 260-Seelen-Dorfes für die Flüchtlinge aus der Ukraine. Auch in Höpfigheim und Ludwigsburg gibt es Spendenaktionen.

Marbach/Bottwartal - Istvan Gal ist am Mittwochnachmittag schon wieder irgendwo in Ungarn. Der Bürgermeister der Gesamtgemeinde Almas in Rumänien, zu der auch das Dorf Zsobok gehört, ist auf dem Rückweg von Murr – mit dem Sprinter des Fördervereins Zsobok, vollgeladen mit Hilfsgütern für die Menschen, die aus der Ukraine flüchten.

In Murr hat sich Istvan Gal Anfang der Woche mit Bürgermeister Torsten Bartzsch, dem Marbacher Dekan Ekkehard Graf und Vertretern des Fördervereins getroffen, um zu besprechen, wie die Hilfe jetzt schnell und unbürokratisch ins Laufen gebracht werden kann. Am Freitag will Istvan Gal weiter an die rumänisch-ukrainische Grenze fahren, um dort herauszufinden, wie man helfen kann.

„Wir haben uns gleich entschlossen, zu helfen“

Seit mehr als 30 Jahren engagiert sich der Förderverein Kinderheim Zsobok mit Mitgliedern aus Marbach und dem Bottwartal für das 260-Seelen-Dorf im Norden Rumäniens. Dass das jetzt selbst anderen Hilfe leistet, lässt aufhorchen. „Dass von euch das Signal kommt, zu unterstützen und dass ihr jetzt schon selbst die Strukturen und Fähigkeiten habt, den Menschen aus eurem Nachbarland zu helfen, macht mich sehr stolz“, sagte Vereinsmitglied Michael Gassner am Montagabend im Murrer Rathaus zu Istvan Gal. „Wir haben uns gleich entschlossen, zu helfen“, so der rumänische Bürgermeister. Im Kinderheim gibt es genug Zimmer, zudem stehen im Ort noch zwei Häuser bereit, „das ist schon alles vorbereitet“, berichtet er.

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Zur ukrainischen Grenze sind es von Zsobok aus rund 230 Kilometer. Viele aus der Region haben Bekannte und Partnerschaften in der Ukraine. „Sie sagen, die Situation ist sehr schlecht“, berichtet Istvan Gal. Es gibt kein Geld, kein Benzin, keine Lebensmittel – auch in Gegenden, in denen nicht gekämpft wird. Gal: „Wir sind sehr traurig, dass so etwas in Europa im 21. Jahrhundert passiert.“

In Sighetu Marmației, dem Grenzort, kommen, so hat Istvan Gal von seinem Bürgermeister-Kollegen erfahren, viele Flüchtlinge an. Einige bleiben nur kurz, bis sie zu Freunden oder Verwandten in ganz Europa weiterreisen können. „Andere wissen nicht, wohin sie gehen sollen, sie wollen im besten Fall so schnell wie möglich wieder zurück nach Hause.“ Und so lange können sie im nicht weit entfernten Zsobok Unterschlupf finden. Der Förderverein wird die Zsoboker dabei unterstützen. „Das schaffen wir zusammen“, sagt Michael Gassner. Derzeit seien vor allem Geldspenden (Infos unter www.ejw-marbach.de) gefragt und „sobald wir wissen, was die Menschen brauchen, werden wir auch Sachspenden annehmen“.

Derzeit sind vor allem Geldspenden gefragt

Hilfe für die Ukraine kommt aber auch aus Höpfigheim. Für Tina Siber, die die „Flutopferhilfe aus’m Ländle“ mit ins Leben rief und die sich gemeinsam mit ihrem Mann und vielen weiteren seit vergangenem Sommer im Ahrtal engagiert, war das nur folgerichtig. „Wir arbeiten dort mit 55 anderen Organisationen zusammen. Wir haben die Kontakte, wir haben die Transportmittel.“

Die Flucht dauerte 47 Stunden

Diese Kontakte hat Tina Siber gleich spielen lassen und innerhalb weniger Tage schon mehrere Unterkünfte für Flüchtlinge aus der Ukraine organisiert. Am Mittwochmorgen kam bereits eine Mutter mit Kind in einem möblierten Apartment in Böblingen an. Sie ist 47 Stunden mit Bus und Bahn unterwegs gewesen. Die Ukrainerin war bis Januar Sängerin auf der Aida und bat nun einen Kollegen um Hilfe, um vor dem Krieg fliehen zu können. Der wiederum hatte die Kontakte zu den Helfern von der Ahr.

Aber nicht nur Unterkünfte werden derzeit benötigt, auch Geld- und Sachspenden. Ein paar Dinge, die an der Ahr nicht gebraucht wurden, sind auch noch da, berichtet Tina Siber. Sie zählt unter anderem haltbare Lebensmittel, Verbandsmaterial oder Powerbanks auf, die benötigt werden. „Keine Klamotten“, betont sie. Ein Paypal-Konto ist eingerichtet, weitere Spenden können nach Rücksprache unter tina24flohr@hotmail.de abgegeben werden.

Auch die Erich Kästner Realschule in Steinheim plant für Montag eine Sammelaktion für die Ukraine. Genauere Infos werden noch bekannt gegeben. In etwa drei Wochen wollen Tina Siber und ihr Mann Richtung ukrainische Grenze fahren, um die Hilfsgüter dort abzugeben und gegebenenfalls auch Leute mit hierher zu nehmen.

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Die Jungen Liberalen Ludwigsburg starten bereits an diesem Freitag, 4. März, eine Spendenaktion für Opfer vor Ort sowie Geflüchtete. Sie findet von 10 bis 18 Uhr auf dem Marktplatz in Ludwigsburg statt. Die Sachspenden werden anschließend zur polnischen Caritas in Ząbkowice Śląskie transportiert.

Dringend benötigt werden, so der Kreisvorsitzende Andrey Belkin, unter anderem Erste-Hilfe-Kästen, Verbände, Desinfektionsmittel, Schmerzmittel, Medikamente, Taschenlampen, Batterien, Powerbanks, Decken, Schlafsäcke, Kopfkissen, Isomatten, Handtücher, Windeln, Babynahrung, Schnuller, Wasser, Lebensmittel mit langer Haltbarkeit und Drogerieartikel.

Wohnraum wird auch noch gesucht

„Licht im Osten“
Wie Tina Siber von der „Flutopferhilfe aus’m Ländle“, die sich jetzt auch für die Ukraine engagiert, sind viele Menschen, Institutionen, Firmen und Gemeinden dabei, Hilfe zu organisieren. So können beispielsweise über „Licht im Osten“ Pakete mit Hilfsgütern bei Schreibwaren Stegmaier in Kirchberg abgegeben werden. Infos unter www.lio.org/de.

Wohnraum gesucht
Die Gemeinde Erdmannhausen hat bereits auf ihrer Homepage dazu aufgerufen, dass sich die Bürger über Wohnraum, den sie bereit stellen könnten, Gedanken machen sollen. „Wir sind in enger Abstimmung mit dem Landratsamt und den politischen Entscheidungsträgern, welche praktischen Auswirkungen dieser Krieg auf uns als Kommune hat und wie wir helfen und unterstützen können“, so der Bürgermeister Marcus Kohler. „Wir wissen nicht, was auf uns in nächster Zeit zukommen wird. Sollten Sie zum Beispiel Wohnraum zur Verfügung haben, den Sie potenziell an ukrainische Kriegsflüchtlinge zur Verfügung stellen wollen, freuen wir uns über eine Rückmeldung an rathaus@erdmannhausen.de.“ Bislang gebe es noch keine Aufforderung von Bund oder Land, ukrainische Kriegsflüchtlinge aufzunehmen. „Daher dient diese Abfrage lediglich der Potenzialanalyse, was wir im Stande sind, im Notfall zu leisten.“