Der Sitz der Geno in einem Geschäftshaus am Ludwigsburger Bahnhof: Zuletzt gab es 200 000 Euro Verlust – pro Monat. Foto: factum/Weise

Häuslebauer mit wenig Geld haben der Geno eG vertraut – doch 16 Jahre nach dem Start ist die Genossenschaft pleite. Viele Anleger fürchten um ihr Geld, die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Gründer. Wie konnte es soweit kommen?

Ludwigsburg - Immer sicher und flexibel Wohnen“: der Slogan, mit dem die Ludwigsburger Wohnbaugenossenschaft Geno im Internet wirbt, dürfte für viele ihrer Mitglieder in diesen Tagen wie Hohn klingen. Denn der Traum der Genossenschaftler, mit Hilfe der Geno ohne großes Eigenkapital und ohne Kredite von der Bank zu einer Wohnung oder einem eigenen Haus zu kommen, ist geplatzt: Die Geno ist pleite.

Das Ludwigsburger Amtsgericht hat das Insolvenzverfahren gegen die Genossenschaft eröffnet – und es dürfte eine der spektakulärsten Pleiten in der jüngeren Ludwigsburger Stadtgeschichte sein. Es geht um Verluste in Millionenhöhe, wütende Anleger, einen erbitterten Machtkampf im Vorstand und um Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen Betrugs und Insolvenzverschleppung. Ein Wirtschaftskrimi in vier Kapiteln.

Kapitel 1: Wirtschaftliche Misere

Mittendrin in diesem Chaos steht der Stuttgarter Anwalt Dietmar Haffa von der Kanzlei Schultze und Braun. Ihn hat das Gericht zum Insolvenzverwalter bestimmt, er muss nun schauen, ob die Geno noch zu retten ist. Entscheiden wird darüber eine Gläubigerversammlung im Oktober. „Es bedarf erheblicher Sanierungsmaßnahmen“, so viel kann Haffa schon heute sagen. Die Kennzahlen der Pleite sind erschreckend: Auf rund 18 Millionen Euro schätzt der Insolvenzverwalter die Außenstände. Insgesamt sind in den vergangenen Jahren Verluste von mehr als 25 Millionen aufgelaufen. Zuletzt verlor das Unternehmen rund 200 000 Euro – pro Monat.

Diese „Vernichtung von Vermögen“ will Dietmar Haffa stoppen. Sein erster Schritt: 20 von rund 30 Mitarbeitern der Genossenschaft haben Anfang August die Kündigung bekommen. Zudem wurden sechs „Wohnkompetenzzentren“, also Filialen, in denen die Kunden neue Verträge mit der Geno abschließen konnten, geschlossen, um die Mieten zu sparen.

Mittelfristig will Haffa es schaffen, dass sich die Geno mit den Mieteinnahmen aus den rund 100 eigenen Immobilien selbst tragen kann. Dafür müssen die Ausgaben drastisch gekürzt werden. Neue Mitglieder darf die Geno derzeit nicht aufnehmen, neue Verträge abschließen auch nicht.

„Maßgeblichen Anteil“ an der finanziellen Misere hat laut dem Insolvenzverwalter der ehemalige Vorstand um den Firmengründer Jens Meier. Seit dem Unternehmensstart im Jahr 2002 habe es die Geno nur in 2007 geschafft, schwarze Zahlen zu schreiben. In den übrigen 15 Jahren verbuchte man Verluste in Millionenhöhe.

Insolvent ist nicht nur die Genossenschaft, sondern auch die Geno AG, eine Tochtergesellschaft, die für den Vertrieb zuständig war. Chef auch hier: Jens Meier. Laut dem Insolvenzverwalter der AG, Steffen Beck, musste das Geschäft bereits stillgelegt werden, weil die Genossenschaft keine Neukunden mehr akquirieren darf. Viele der einst 64 Mitarbeiter haben die Firma in den vergangenen Monaten verlassen, der Rest bekam am 1. August die Kündigung.

Kapitel 2: Streitende Vorstände

Die wirtschaftliche Misere ist nicht die einzige Baustelle für den Insolvenzverwalter – denn ein völlig zerstrittener Vorstand lähmt seit Monaten das Unternehmen. Im Mai hatte der Aufsichtsrat den Firmengründer Meier sowie ein weiteres Vorstandsmitglied suspendiert, garniert mit heftigen Vorwürfen. Unter anderem von Steuerhinterziehung und schwerer Untreue war die Rede. Der Aufsichtsrat installierte zwei seiner Mitglieder als neue Vorstände. Die Geschassten wehrten sich rechtlich gegen ihre Suspendierung, scheiterten aber vor dem Stuttgarter Landgericht mit ihrer Forderung, wieder ins Amt gehievt zu werden.

Ende Juni setzte eine außerordentliche Mitgliederversammlung die beiden ehemaligen Vorstände allerdings wieder ein – und bestätigte gleichzeitig die beiden neuen Chefs im Amt. Zudem wurde ein fünftes Mitglied in den Vorstand berufen. Nachdem inzwischen zwei Vorstände aus eigenen Stücken ausgeschieden sind, besteht die Führungsetage noch aus drei Männern, einer davon der Firmengründer Meier. In der Vorstandsetage verläuft also eine Front zwischen zwei verfeindeten Lagern – mit schwerwiegenden Folgen.

Denn aufgrund des Streits schickte das Amtsgericht die Geno in ein reguläres Insolvenzverfahren, nachdem zunächst eine Sanierung in Eigenregie angeordnet worden war. Dies sei aufgrund der Streitigkeiten in der Führungsetage aber nicht mehr möglich, entschied das Gericht. Dietmar Haffa wurde zum starken Mann bestimmt, ohne ihn darf derzeit keine Entscheidung getroffen werden. Der Vorstand ist nicht mehr im operativen Geschäft tätig.

Der Firmengründer Meier wehrt sich in einer Mail an die Genossenschaftler gegen die Vorwürfe. Der Aufsichtsrat habe „von hinten zugestochen“ und die Insolvenz für ein Unternehmen angemeldet, „welches über eine ausreichende Finanzkraft verfügt, aber mit geringer Liquidität ausgestattet ist“. Innerhalb kurzer Zeit hätten fünf Menschen „unser Schiff durch ihre Ahnungslosigkeit zerschellen lassen“.

Kapitel 3: Alarmierte Ermittler

Wie die Staatsanwaltschaft bestätigt, ermittelt sie seit 2015 gegen die zwei langjährigen Vorstände, darunter Meier. Es geht um Betrug und Insolvenzverschleppung. Der Ursprung der Ermittlungen waren Anzeigen von Geno-Mitgliedern.

Auch der Aufsichtsrat hat Anzeige gegen zwei Vorstände gestellt. Sie sollen „hunderttausende Euro veruntreut“ haben, zudem sollen Spesenabrechnungen falsch ausgestellt worden sein und die Insolvenz, die sich bereits 2017 abgezeichnet habe, verschleppt worden sein. Laut dem Aufsichtsrat hat die Geno Schadenersatzansprüche gegen die beiden Vorstände von mehr als zwei Millionen Euro. Eine Summe, die das Amtsgericht Ludwigsburg nach aktuellem Stand für realistisch hält. Es sei zu erwarten, dass „Ansprüche in dieser Höhe bestehen“, heißt es.

Kapitel 4: Wütende Anleger

Aktuelle wie ehemalige Mitglieder der Genossenschaft fürchten nach der Insolvenz um ihre Einlagen. Allein bei mehr als 2000 Altgenossen, die zum Teil bereits vor Jahren bei der Geno ausgetreten sind, gibt es laut dem Insolvenzverwalter Außenstände von geschätzt mehr als 14 Millionen Euro.

Einer Interessengemeinschaft, die der Leipziger Journalist Thomas Bremer gegründet hat, haben sich mittlerweile rund 70 ehemalige oder derzeitige Mitglieder der Geno angeschlossen. Die sei ihm in den vergangenen Jahren „wie ein Selbstbedienungsladen vorgekommen“, sagt Bremer. Ziel seiner Gemeinschaft sei es, die Genossenschaft über das Insolvenzverfahren zu sanieren. Ein Neustart könne aber nur mit anderem Führungspersonal gelingen. „Sonst fehlt jede Glaubwürdigkeit“.

Ein Geschäftsmodell mit Risiken

Es klingt nach einer spannenden Idee: Menschen, die ein eigenes Heim beziehen wollen, werden Mitglied in einer Genossenschaft. Nachdem sie eine recht geringe Einlage gezahlt haben, sind sie nach wenigen Jahren berechtigt, eine Wohnung oder ein Haus der Genossenschaft zu beziehen ohne für die Baukosten aufkommen zu müssen. Über die Jahren zahlen sie eine Miete an die Genossenschaft , spätestens nach 35 Jahren können sie das Objekt kaufen. Zu einem Preis, der zu Vertragsbeginn festlegt wurde.

Doch so schön dieses Modell des Optionskaufs, wie die Geno ihre Geschäftsidee nennt, klingt – so viele Tücken gibt es auch. Die größte: Die wenigsten Geno-Mitglieder sind in den vergangenen 16 Jahre überhaupt in den Genuss einer eigenen Wohnung gekommen. Aktuell besitzt die insolvente Genossenschaft rund 100 Objekte in ganz Deutschland. Weniger als drei Prozent der Genossenschaftler haben also eine Wohnung oder ein Haus zugeteilt bekommen. „Das ist viel zu wenig“, sagt Ingo Schorlemmer von der Kanzlei Schultze und Braun, die die Insolvenz der Geno abwickelt, „es hat etwas im Geschäftsmodell nicht gestimmt.“ Über die Jahre habe die Genossenschaft mehr als 10 000 Mitglieder gehabt: „Man müsste erwarten, dass der Immobilienbestand viel höher ist.“ Es liege daher die Frage nahe, wo das Geld der Genossen geblieben sei.

Verbraucherschützer hatten in der Vergangenheit immer wieder auf die Risiken des Modells aufmerksam gemacht. Schon 2015 berichtete zum Beispiel die Stiftung Warentest über finanzielle Probleme bei der Geno und setzte die Genossenschaft auf eine Warnliste mit unseriösen oder hochriskanten Geldanlageangeboten.