Verloren: Juso-Chef Kevin Kühnert verlässt das Rednerpult einer der dem Mitgliederentscheid über die Groko vorangegangenen SPD-Regionalkonferenzen. Sein Werben für ein Nein fand keine Mehrheit. Foto: AP

Deutschland steht vor zu großen Herausforderungen, als dass es von einer lustlosen Koalition geführt werden sollte. Deshalb haben die SPD-Mitglieder falsch entschieden, meint StN-Chefredakteur Christoph Reisinger.

Stuttgart - Schade, SPD! Mit ihrem Mitglieder-Ja zur dritten Koalition mit CDU und CSU unter Kanzlerin Angela Merkel haben die Sozialdemokraten eine wunderbare Gelegenheit verpasst, dem Land einen großen Dienst zu erweisen.

Der hätte darin bestanden, die Tür weit aufzustoßen zum Wechsel in den Top-Etagen der etablierten Parteien. Viel wichtiger: zu einer Konzentration dieser Parteien auf die Herausforderungen, in deren Bewältigung Wohl und Wehe der Republik auf absehbare Zeit liegen werden. Als da sind: der schwindende Zusammenhalt der Gesellschaft, große Chancen und zugleich radikale Umbrüche und die Bedrohung persönlicher Freiheit durch die Folgen der Digitalisierung, die vielen Krisen und Kriege rund um Europa.

Schon vor dem Start madig gemacht

So aber bekommt Deutschland eine Koalition, die seit der Wahl im September den Nachweis führt: Ihr fehlen Wille und Idee. Der CDU ist außer Merkels vierter Kanzlerschaft kein Ziel eingefallen, zu dem der gemeinsame Weg führen soll. Der CSU nur eines, das irgendwie nach Flüchtlingsobergrenze aussehen sollte. Die SPD-Spitze, offenkundig orientierungslos, hatte zwar Ziele; aber den Weg, sie mit der Union zu erreichen, hat sie vom Auftakt ihres Wahlkampfs bis weit über das Scheitern der schwarz-grün-gelben Jamaika-Verhandlungen hinaus madig gemacht. Und die wollen das Land zusammen in die Zukunft führen?

Die Autorität ist aufgezehrt

Wie wenig mehr als eine Notgemeinschaft die nächste Groko ist, wird sich zeigen. Ebenso, wie stark Merkels durch unbestreitbare Verdienste erworbene Autorität in Europa, in der Bevölkerung, in Regierung und Partei gelitten hat.

Schließlich zeichnen sich große Bewährungsproben ab: Ein Handelskrieg gegen die engsten Verbündeten, wie ihn US-Präsident Donald Trump vom Zaun gebrochen hat, kennt nur Verlierer. Als ersten den Wohlstand in den beteiligten Staaten. Die Angriffe auf Demokratie und Rechtsstaat durch autoritäre Regime, Fundamentalisten und ihre Jünger werden nicht abnehmen. Die Krisen von EU und Euro mögen gedämpft sein, gelöst sind sie nicht. Und nicht gebannt ist die Gefahr, dass der Syrien-Krieg auf Nachbarländer übergreift und abermals Millionen von Menschen in die Flucht treibt.

Als ob’s kein Morgen gäbe

Das alles ist kein Grund, nur schwarz zu sehen. Die schwarz-rote Koalition gibt mit ihrer Status-Quo-Fixieriung aber ernüchternd wenig Anlass, auf eine rosige Zukunft zu bauen. Nicht zuletzt, weil sie sich so richtig einig und entschlossen nur in einem zeigt: Steuergeld ausgeben, als ob’s kein Morgen gäbe.

christoph.reisinger@stuttgarter-nachrichten.de