Leni Breymaier soll die Genossen im Südwesten wieder ans Licht führen. Foto: dpa

Die SPD Baden-Württemberg sucht mit Leni Breymaier den Weg aus der tiefen Krise. 85 Prozent der Delegierten wählen sie beim Landesparteitag in Heilbronn zur Vorsitzenden. Die umstrittene Generalsekretärin Luisa Boos kommt mit einem Votum von 59,7 Prozent durchs Ziel.

Heilbronn - Noch die vergangenen Tage hatten Böses ahnen lassen: einen unberechenbaren Landesparteitag, bei dem der eine oder andere Kandidat des Führungsteams schwer beschädigt wird – und die Landesvorsitzende gleich dazu. Doch die ärgsten Bedenken werden in der Heilbronner „Harmonie“ von einer Woge der Harmonie überrollt: Mit dem respektablen Wahlergebnis von 85 Prozent wird Leni Breymaier zur Heilsbringerin der geschundenen baden-württembergischen SPD erhoben. 264 stimmen für sie, 35 kreuzen Nein an, zwölf enthalten sich. „Die Partei hat zueinander gefunden“, bilanziert sie.

Es ist zunächst am alten Landesvorsitzenden, die Verkrampfung zu lösen und die Signale auf Einheit zu stellen: Am Ende seiner 40-minütigen Abschiedsrede appelliert Nils Schmid an die Geschlossenheit der Genossen. „Nur gemeinsam werden wir die großen Herausforderungen meistern“, ermahnt er die mehr als 310 Delegierten. An seinem Rückhalt für das neue Spitzenpersonal soll es keine Zweifel geben. „Fest überzeugt“ sei er, dass Leni Breymaier „die Richtige ist, um die SPD in die Zukunft zu führen“. Gerade weil sie beide so unterschiedlich seien, „werde ich sie unterstützen“.

Abschied von Nils Schmid nach sieben Jahren im Amt

Schmid betont, dass es sich die SPD bei einem Landtagswahlergebnis von 12,7 Prozent nicht leisten könne, sich auseinander dividieren zu lassen. Man möge die zur Wahl stehenden Kandidaten nicht als Linke oder Netzwerker wahrnehmen, sondern als eigenständige Personen, „so wie sie sind“. Womit auch die umstrittene Favoritin Breymaiers für den Generalsekretärsposten, Luisa Boos, gemeint ist.

Sieben Jahre hat Schmid den Landesvorsitz geführt. In dieser Zeit sei es ihm immer wichtig gewesen, den inneren Zusammenhalt der SPD zu erhalten. Soll heißen: An diesem Vorbild möge man sich ein Beispiel nehmen. „Ich habe immer das Gefühl gehabt, mit einem hochanständigen Menschen zu tun zu haben“, ruft Leni Breymaier dem Exminister hinterher, der 2017 in den Bundestag einziehen will. Der „Nils“ sei zwar „nicht der emotionalste“, doch „wenn man uns beide klonen würde, würde es die richtige Mischung ergeben“.

Streiten „ohne Harmoniesoße“

Das Feld ist damit bereitet für die bisher wichtigste Rede, auf die sie sich so intensiv vorbereitet hat wie nie zuvor. Von der Grippe der vergangenen Tage ist nichts mehr spürbar. Breymaier dreht auf: „Die SPD wird gebraucht für all das, was mir wichtig ist“, sagt sie. „Ich glaube an die Sozialdemokratie.“ Ohne diese sehe sie keine politischen Mehrheiten für ihre Themen der sozialen Gerechtigkeit. Man dürfe kein Klima zulassen, in dem sich SPD dafür rechtfertigen muss, dass sie eine linke Volkspartei ist. „Natürlich ist sie das.“ Ihre Grundwerte seien „nicht Geld, Macht und Sex – sondern Freiheit, Gleichheit, Solidarität“.

Auch die künftige Landeschefin, an deren Wahl schon zu diesem Zeitpunkt kein Zweifel mehr bestehen kann, appelliert an die Geschlossenheit. „Das heißt nicht Harmoniesoße, wir können uns gerne streiten wie die Kesselflicker – intern.“ Sozialdemokraten gingen gern kritisch miteinander um und verfolgten „Fehler anderer fast bis in die Kindheit zurück“. In den Kreisverbänden spielten derlei Flügelkämpfe aber keine Rolle.

Breymaiers Rede überzeugt die Skeptiker

Breymaier streift ihre Lieblingsthemen Rente, Krankenversicherung, bezahlbares Wohnen und den Umgang mit Rechtsextremismus – „Sozialdemokratie pur“, wie sie immer wieder anmerkt. Ihre Positionen sind bekannt. Daher zählt mehr, wie sie diese rüberbringt. Die Genossen haben ein großes Verlangen nach leidenschaftlicher Ansprache. Breymaier bedient diesen Wunsch gern und bestückt ihre 55-minütige Rede mit zahlreichen Bonmots: Sozialdemokraten müssten sich am Gartenzaun für alles rechtfertigen, was „der Gabriel“ gesagt hat. Warum nähmen sie all die Mühen auf sich? „Wir machen das, weil wir vielleicht ein bisschen irre sind, aber auch weil wir gestalten wollen“, sagt die bisherige Verdi-Landeschefin. Sie wolle nicht nur für die Bäuche der Menschen argumentieren, was die AfD der SPD voraus hätte. „Ich will auch die Herzen und Köpfe erreichen.“ Am Ende verspricht die 56-Jährige: Sie werde sich „in diesem Leben nicht mehr für den diplomatischen Dienst bewerben“. Soll heißen: Verbale Übertreibungen sind bei ihr auch weiterhin einzukalkulieren.

Andreas Stoch, der Fraktionschef im Landtag, sieht seine Erwartung erfüllt: „Dass wir es endlich wieder schaffen, mit einer Sprache zu sprechen, die die Menschen wieder verstehen.“ Die SPD müsse die Selbstbeschäftigung hinter sich lassen und nach vorne schauen. Auch die frühere Landeschefin Ute Vogt zeigt sich beruhigt, ihre Besorgnis der vergangenen Wochen sei gewichen: „Du hast geschafft, das Wir voranzustellen“, lobt sie Breymaier. Die Befindlichkeit des Einzelnen habe hintanzustehen. Juso-Landeschef Leon Hahn hebt nach der „starken Rede“ hervor: „Das ist die Leni Breymaier, die ich mir wünsche.“

Luisa Boos wird Generalsekretärin

Folglich muss auch Luisa Boos, die intern so Vielgescholtene, nicht mehr bang um ihre Wahl zur Generalsekretärin sein. Ein „Grundgegrummel“ stellt ein Vorstandsmitglied fest. Breymaier muss daher wortreich für die 31-Jährige werben. Boos sei nicht bloß jung und Frau und alleinerziehend, sondern kenne die Ebenen der Partei. Noch in den vergangenen Tagen gab es Versuche, die früheren Streitereien bei den Jusos mit einem umfassenden „Dossier“ alter Facebook-Auszüge ans Licht zu zerren. Boos nennt die rückwärtsgewandte Auseinandersetzung „okay“ – „damals war nicht alles richtig“. Doch habe sie vor fünf Jahren mit anderen Genossen auch dazu beigetragen, einen Nazi-Aufmarsch in ihrer Heimat zu verhindern. Dann schiebt sie einen wichtigen Satz ein, der auch auf die aktuelle Auseinandersetzung um ihre Person bezogen werden kann: „Das macht die Sozialdemokratie aus: Zusammenstehen, wenn es mal nicht so einfach ist.“

Während der Rede wird es plötzlich still im Saal – alle wollen die Reizfigur hören. Drei Botschaften vermittelt Luisa Boos der Gemeinde: Sie stehe erstens für ein klares sozialdemokratisches Profil und werde zweitens leidenschaftliche Wahlkämpfe organisieren. Drittens sollen die Mitglieder intensiver eingebunden werden. Sie müssten spüren, dass ihre Stimme wichtig ist. Die Mitwirkung in der Partei solle attraktiver werden. „Die Meinungsbildung muss von unten nach oben erfolgen“, betont Boos. Im Anschluss wird sie von 59,7 Prozent der Delegierten ins Amt gewählt. 187 sind für sie, 96 stimmen mit Nein, 30 enthalten sich.

Leni Breymaier reagiert entspannt: „Die Prozentzahl ist mir relativ egal bei dem Vorlauf, den wir hatten.“ Sie läge in dem Bereich der Resultate, die die Generalsekretäre in den letzten 15 Jahren eingefahren hätten – dies sei nun mal Demokratie. Einen „Plan B“ für den Fall, dass ihre Favoritin die Mehrheit verfehlt, habe sie nicht gehabt.

Boos werde eine „großartige Arbeit“ machen, so Breymaier. Die Genannte wird es dennoch schwer haben, ihre hochfliegenden Pläne umzusetzen. Speziell die von Anfang an bestehende Skepsis in der Fraktion legt sich mit diesem Parteitag nicht. Es wäre ein „Wunder“, wenn diese mit Boos nun gut kooperieren würde, sagt einer der Abgeordneten. Dabei ist es ein erklärtes Ziel, die Arbeit von Landesverband und Fraktion enger zu verflechten – eine unverkennbare Schwachstelle bisher.

Rolland setzt sich gegen Wölfle durch

Bei einer Kampfabstimmung für den ersten Vize-Posten setzt sich Gabi Rolland (Freiburg) mit 161 Stimmen gegen Sabine Wölfle (Emmendingen) mit 143 Stimmen durch. Dieses Votum ist notwendig, weil sich die Südbadener zuvor nicht auf eine der beiden Landtagsabgeordneten einigen konnten. Weiterhin werden in die vierköpfige Stellvertreterriege gewählt: der Heubacher Bürgermeister Frederick Brütting (Nordwürttemberg) mit 80,1 Prozent der Delegierten sowie die bisherigen Vize Lars Castellucci (Nordbaden) mit 83,8 Prozent und Hilde Mattheis (Südwürttemberg) mit 59,7 Prozent. Brütting hat kurz vor dem Parteitag noch den Oberbürgermeister von Schwäbisch Hall, Hermann-Josef Pelgrim, in einer internen Abstimmung der Nordwürttemberger sehr klar aus dem Feld geschlagen.

Aus vielen Beiträgen wird deutlich, dass die Erneuerung mit diesem Parteitag erst beginnen soll. Um mit den Beschlüssen flexibler reagieren zu können und mehr Raum für inhaltliche sowie strukturelle Diskussionen zu schaffen, wird konkret ein „kleiner Parteitag“ beschlossen – zudem eine Mandatsträgerkonferenz, um die Kommunalpolitiker intensiver zu beteiligen.

Finanzielle Handlungsfähigkeit bedroht

Eher unbeachtet bei so viel Jubel zeichnet der Schatzmeister Karl-Ulrich Templ eine düstere Finanzsituation. Demnach „ist die Handlungsfähigkeit der Partei“ im nächsten Landtagswahlkampf bedroht. In jedem Jahr bis 2021 fehlen wegen des schlechten Wahlergebnisses und des „dramatischen Rückgangs bei der Wahlkampfkostenerstattung“ sowie wegen der geringeren Anzahl von Landtagsabgeordneten 420 000 Euro – insgesamt 2,1 Millionen Euro, die man für den nächsten Wahlkampf zurücklegen müsste. Folglich wird ein harter Sparkurs eingeleitet, den der Landesvorstand schon im Juni beschlossen hat: So gibt es eine Deckelung der Personalausgaben im Landesverband, eine Anhebung aller monatlichen Mitgliedsbeiträge ab fünf Euro um jeweils einen Euro sowie einen Solidarbeitrag aller Abgeordneten von 50 Euro pro Monat. Die kommunalen Wahlbeamten und politischen Beamten werden aufgefordert, 30 Euro pro Monat zu entrichten.