SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz vermisst bei merkel einen Plan für die Zukunft Foto: Daniel Kunzfeld

Martin Schulz ist gekommen, um zu bleiben. Im Interview bekräftigt er seinen Anspruch, SPD-Vorsitzender zu bleiben, ganz egal, wie die Bundestagswahl am 24. September ausgeht.

Berlin - Martin Schulz ist gekommen, um zu bleiben. Im Interview bekräftigt er seinen Anspruch, Vorsitzender der SPD zu bleiben, ganz egal, wie die Bundestagswahl am 24. September ausgeht.

Herr Schulz, Sie sind als gelernter Buchhändler ein Büchernarr. Wann hatten Sie zuletzt Gelegenheit, ein Buch zu lesen und welches war das?
Gestern Abend. Ich lese im Moment von Ernst Jünger „Das Sanduhrbuch“. Es ist eine Originalausgabe aus dem Jahr 1954, die ich am Rande einer Wahlkampfveranstaltung in Hamburg in einem Antiquariat gefunden habe. Jünger untersucht in dem Buch, wie mit der technischen Messung der Zeit der Mensch in den natürlichen Rhythmus eingreift. Das ist ein kleiner Luxus, den ich mir bei all dem Stress jeden Abend gönne: diese kleine Nische des Lesens. Dann bin ich für ein paar Momente in einer anderen Welt und kehre aus dieser erholter zurück.
Nehmen Sie aus dieser anderen Welt etwas für den Wahlkampf mit?
Das Buch hat natürlich mit meinem Alltag zu tun. Diese Beschleunigung, die wir alle durch modernes Zeitmanagement und die Digitalisierung erfahren, und die bei mir im Moment im Wahlkampf besonders extrem ausgeprägt ist, bleibt doch nicht ohne Folgen. Nehmen Sie so einen Tag wie heute. Der fängt in Frankfurt am Flughafen an, jetzt bin ich in Hannover am Maschsee, nachher fahre ich nach Braunschweig, dann steige ich ins Flugzeug nach München, spreche dort heute Abend auf dem Marienplatz vor ein paar Tausend Menschen und fliege danach nach Berlin. Es lohnt sich, das nicht nur zu mitzumachen, sondern auch darüber nachzudenken, was das aus den Menschen macht.
Zurück in diese Welt: Sie wollten ein zweites TV-Duell mit Angela Merkel, die lehnt dankend ab. Was wollten Sie ihr denn noch alles sagen?
Sie hat selbst beklagt, dass gar nicht über das Mega-Thema Digitalisierung diskutiert wurde. Das habe ich aufgegriffen und ihr vorgeschlagen, das nachzuholen. Wir haben auch über die Pflege, die von mir vorgeschlagene nationale Bildungsallianz, die Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen und Europa nicht reden können. Ich kann verstehen, dass Merkel da nicht drüber diskutieren will, denn sie hat zu all diesen Zukunftsfragen nichts zu sagen.
Warum soll Merkel nicht mehr Bundeskanzlerin sein?
Weil Sie keinen Plan für die Zukunft hat. Sie verwaltet den Bestand. Das erinnert an die bleierne Schwere, die in den letzten vier Kohl-Jahre auf diesem Land lastete. Wenn die Chefin eines Unternehmens keine Ideen mehr hat und nicht mehr investiert, dann ist schnell das Ende des Geschäftsmodells absehbar.
Auch Merkel will jetzt über den Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei reden, sie will mehr Geld für Pflege, Bildung, Digitalisierung ausgeben. Was hätten Sie als Kanzler noch exklusiv anzubieten?
Na, zum Beispiel Prinzipien und Begeisterung. Beim Thema Türkei-Beitrittsverhandlungen hat Frau Merkel in der Tat in Sekunden ihre Position abgeräumt. Atemberaubend! Wenn sie sich davon einen Vorteil verspricht, ändert sie in Windeseile ihre Meinung. Das aber schadet dem Land. Ich will, dass wir den Wohlstand dieses Landes so organisieren, dass er bei allen Menschen ankommt. Deshalb will ich, dass Bund und Länder in der Bildung endlich zusammenarbeiten. Es ist eine Schande für ein so reiches Land wie Deutschland, dass so viele Schulen in einem erbärmlichen Zustand sind. Wir wollen da zusätzlich 12 Milliarden Euro in die Hand nehmen. Wenn wir bei der Rente nicht eingreifen, riskieren wir eine massive Altersarmut, die zum großen Teil weiblich sein wird, weil Frauen mit ihren oft komplizierten Erwerbsbiografien den Preis zahlen. Dazu sagt Merkel – nichts. Und natürlich wollen CDU-Schwergewichte wie Wolfgang Schäuble die Rente mit 70. Wenn Merkel das dementiert, dann ist das ähnlich glaubhaft wie ihr Nein zur Pkw-Maut vor der letzten Wahl. Ein ganz entscheidender Unterschied ist außerdem, dass Merkel Milliarden in die Aufrüstung investieren will. Ich fände das verheerend. Merkel hat das Zwei-Prozent-Ziel der Nato akzeptiert, ohne sich dazu jetzt offen zu bekennen. Soll sie sich da doch mal dem Votum des Bundestages stellen. Das aber traut sie sich nicht.
Steinmeier hat das als Außenminister mitgetragen.
Das ist das Argument von Frau Merkel. Sie drückt sich um ihre Verantwortung. Die Bundeskanzlerin ist nicht berechtigt, diese Nation hinter verschlossene Türen in Cardiff auf eine Aufrüstung von jährlich bis zu 30 Milliarden Euro zu verpflichten. Darüber muss der Deutsche Bundestag entscheiden. Der hat über diesen Aufrüstungswahnsinn nie beraten. Am 24.´September können jetzt die Wählerinnen und Wähler entscheiden.