Der designietre Kanzlerkandidat Martin Schulz sorgt derzeit für einen Höhenflug der SPD in den Umfragewerten. Foto: dpa

Was will Martin Schulz? Bisher reichen dem Hoffnungsträger der SPD einige linke Schlagworte, um die Union das Fürchten zu lehren. Nun wird er ein bisschen konkreter.

Bielefeld - Jubel brandet auf, als Martin Schulz die Stadthalle in Bielefeld betritt. So als gehe für die Sozialdemokratie im Saal mit ihm eine rote Sonne auf. Jubel, für was eigentlich? Mehr als ein Gefühl von Hoffnung ist es ja nicht, das der designierte Kanzlerkandidat bisher anzubieten hatte. Allerdings sind Umfragewerte von bis zu 32 Prozent schon mal was für eine Partei, in der einige bald selbst nicht mehr an den Anspruch glaubten, Mitglieder einer Volkspartei zu sein.

In Bielefeld soll von Schulz nun mehr zu erfahren sein. Das hatten die Leute, die derzeit am Vorwahlkampf des ehemaligen EU-Parlamentspräsidenten basteln, zumindest versprochen. Liegt ja auch nahe, auf einer „Arbeitnehmerkonferenz“ ein wenig deutlicher zu skizzieren, wie denn nun die von ihm so oft beschworene „soziale Gerechtigkeit“ aus seiner Sicht gestaltet werden soll.

Schulz setzt allerdings weiterhin vor allem auf große Emotionen. Noch, das wird in Bielefeld deutlich, ist für ihn nicht die Zeit gekommen, seine Ziele in Spiegelstrichen aufzulisten. „Jetzt freuen wir uns auf den, der die SPD gerade glücklich macht“, kündigt ihn der Chef der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA), Klaus Barthel, an. Auf jenen Mann, der an selbigem Tag die Schlagzeile „Schulz will Agenda 2010 korrigieren“ geprägt habe. Wieder tosender Beifall, Bravo-Rufe. Die Partei schnappt nach solchen vagen Sätzen wie nach den Weisungen eines Propheten.

Schulz spricht wie Jesus im Blaumann

Martin Schulz spricht denn auch wie ein Prediger, variiert dabei alle Sprachbilder, die das Wort „gemeinsam“ hergibt. 65 Minuten Pathos liefert er in schlichter, aber eingängiger Rhetorik. Wenig Neues ist dabei, neu ist höchstens das Selbstbewusstsein des Vortrags. Sozialdemokratie in einfacher Sprache ist das. Er könnte anders, differenzierter, konkreter, aber er will es so wolkig in diesen Tagen, wo allein schon sein Name die SPD nach oben zieht. Er hat intuitiv gemerkt, dass der ihm zunächst angelastete Makel der innenpolitischen Ahnungslosigkeit als Vorzug ausgelegt wird, wenn er als demütiger Erforscher der Alltagssorgen durch die Lande reist. So tritt er auf in diesen Tagen. In Bielefeld erinnert er an einen Altenpfleger in Moers, dessen Schicksal er in seinem Tagebuch verewigt habe. „Pfleger ist etwas für Melancholiker“, habe der zu Schulz vor wenigen Tagen gesagt. Die „Diskrepanz zwischen dem was man tun kann und dem, was man tun will, ist schwierig“, zitiert ihn Schulz. Zurück bleibe bei dem Mann ein schlechtes Gefühl und die Gewissheit, dass es die alten Menschen besser verdient hätten. „Das“, so Schulz, „darf in einem der reichsten Länder der Welt nicht der Fall sein.“

Seine Gegner würden ihm nun vorwerfe, dies sei ein „Einzelschicksal“, nicht zu verallgemeinern. „Aber es geht doch gerade darum, um die Einzelschicksale.“ Es gebe „keine Gerechtigkeit, solange noch einem Einzelnen in diesem Land Ungerechtigkeit wiederfährt“, sagt Schulz und er klingt dabei nicht wie ein anzugtragender ehemaliger Strippenzieher Europas sondern wie Jesus im Blaumann. Er wolle „eine Verbindung zwischen dem Grundgesetz und unserer Politik herstellen“ – als sei das für die SPD bisher keine Selbstverständlichkeit gewesen.

Ein wenig konkreter wird er dann doch noch, getreu seinem Motto, dass die verunsicherten Menschen im Falle seiner Kanzlerschaft die Kontrolle über ihr Leben zurück erhalten sollen. Das Arbeitslosengeld 1 will er verlängern, Arbeitsministerin Andrea Nahles arbeite da mit ihm zusammen an einem Konzept. Eine Korrektur der Agenda 2010 sei das, ganz klar. „Fehler zu machen, ist nicht ehrenrührig“, sagt er. „Wichtig ist: wenn Fehler erkannt werden, dann müssen sie korrigiert werden.“ Einiges sei schon geschehen: Mindestlohn, Entlastung der Kommunen, Elterngeld plus, bessere Renten. Das aber reiche nicht.

Schulz meidet es, konkret zu werden

Den Gewerkschaften verspricht er eine Stärkung der Betriebsräte und seinen vollen Einsatz für die Tarifbindung. Wer einen Betriebsrat gründen wolle und Wahlen vorbereite, dem dürfe nicht gekündigt werden. Befristete Verträge sollen erschwert werden. Ansonsten liefert er das sozialdemokratische Standardrepertoire. Kostenfreie Bildung von der Kita bis zur Hochschule fordert er, finanziert mit jenen Steuerüberschüssen, die Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) jenen schenken wolle, die eh schon genug hätten. Die Früchte der Digitalisierung müssten auch den Angestellten zugutekommen, durch kürzere Arbeitszeiten zum Beispiel. Auch hier meidet er es aber, konkreter zu werden.

Einen harten, glasklaren Kurs fährt Schulz hingegen gegen den US-Präsidenten Donald Trump. Der führe ein „Kabinett aus Militärs und Wall-Street-Bankern“, attackiere Justiz und die Medien. Wer das tue, der „legt die Axt an die Grundlagen der Demokratie, ob es der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika ist oder durchgeknallte Populisten in Dresden oder Leipzig.“

In dieser zerfasernden Gesellschaft seien die „alten sozialdemokratischen Tugenden das modernste Politikangebot, dass es in diesem Lande gibt.“ Mündige Bürger auf gleicher Augenhöhe, „keiner Herr und keiner Knecht“, das sei „das Programm für die Zukunft“. Die Genossen begeistert er damit und würden vermutlich ewig klatschen, wenn Schulz ihnen nicht drohen würde: „Hört auf zu klatschen, sonst gibt es kein Mittagessen.“