Martin Schulz greift vor seinen Parteianhängern in die Rhetorikkiste. Foto: factum/Weise

Der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz tourt in der Hoffnung auf ein politisches Erdbeben durchs Land. Auf dem Böblinger Marktplatz überzeugt er.

Böblingen - Die Inszenierung gibt einen Hinweis auf das Selbstverständnis des Martin Schulz. „Martin Schulz live, Beginn: 15 Uhr“. So war es überall in Böblingen plakatiert. Um 15.48 Uhr rollen zwei Limousinen auf den Böblinger Marktplatz, Kennzeichen NRW 4 und NRW 5. Dann läuft er ein, einem Boxer zum Kampf gleich, zwischen roten Bändern. Journalisten mussten sich anmelden zu diesem Auftritt, samt Geburtsort und -datum, „aus Sicherheitsgründen“, wie die SPD wissen ließ. Das gab es nicht bei Wolfgang Schäubles Auftritt in Böblingen Anfang des Monats. Christian Lindner war gar ohne jede Sicherheitsvorkehrung gekommen.

Mit einer Stunde Verspätung steht Schulz auf der Bühne

Ein Stunde nach Beginn der Veranstaltung steht Schulz schließlich auf der Bühne. Mit einiger Gewissheit spricht dort oben ein weiterer in einer langen Reihe erfolgloser SPD-Kanzlerkandidaten, die 1983 mit Hans-Jochen Vogel begann und seither nur von Gerhard Schröder unterbrochen wurde. Er braucht ein politisches Erdbeben, um Angela Merkel im Amt abzulösen. „Wir kämpfen nicht für Meinungsforscher, wir kämpfen für unsere Überzeugungen.“ Das sagt Schulz zu den Umfragewerten der SPD. Er braucht mindestens einen Funken, der ins Publikum springt, um womöglich doch noch einen roten Flächenbrand zu entfachen. Jeden Tag bis zum 23. September absolviert er zwei Auftritte wie diesen. Noch am Abend werden die Ludwigshafener dieselbe Rede hören wie jetzt die Böblinger.

Zu deren Beginn deutet nichts auf ein verbales Feuer hin. Schulz zählt die Namen all derer auf, die in der vergangenen Stunde für Kurzauftritte auf der Bühne standen. Gefühlt war das jeder SPD-Kandidat im Umkreis von 200 Kilometern.

Kommentatoren werfen ihm vor, das Charisma eines Lokführers zu haben

Kommentatoren haben Schulz vorgeworfen, er habe das Charisma eines Lokführers oder wahlweise eines Sparkassenangestellten. Das passt ihm in seine Rede von Respekt und Gerechtigkeit. „Was ist das für eine arrogante Haltung?“, ruft er. Nicht ihm gegenüber, aber gegenüber den Sparkassenangestellten und Lokführern.

Abgesehen davon, dass jene Kommentatoren danebenlagen. Vieles von dem, was er fordert, hat man von anderen SPD-Kandidaten schon gehört: gleicher Lohn für gleiche Arbeit, keine Verlängerung der Lebensarbeitszeit, bezahlbare Miete für jeden, kostenlose Kinderbetreuung. Aber Schulz kann den Funken springen lassen, in Worten, deren Klarheit das Volk so vermisst bei Angela Merkel.

Die AfD-Spitzen zitiert er im schnarrenden Tonfall des Joseph Goebbels, dann wird er laut: „Diese Organisation der Hetzer ist eine Schande für unsere Nation.“ Schulz kanzelt Trump ab und Erdogan. Er wirft der Bundeskanzlerin vor, sie schade der Demokratie, weil sie sich der Diskussion über die Zukunft des Landes verweigere. „Nehmen Sie den Telefonhörer, Frau Merkel, ich stehe zur Verfügung“, ruft er. Schulz kann auch leise, nachdenklich, und das Publikum hört ihm zu in schweigender Andacht. Ginge es um einen Rhetorik-Wettbewerb, würde er mit Gewissheit gewinnen gegen Angela Merkel, aber es geht eben um einen neuerlichen Versuch der SPD, den Kanzler zu stellen.