Noch ist es schwer vorstellbar, dass Sigmar Gabriel der SPD noch einmal die Richtung weist. Aber er zwischen ihm und Andrea Nahles schwelt ein Machtkampf. Foto: dpa

Auf der Vorstandsklausur am Wochenende will die Parteichefin die SPD mit Sachpolitik profilieren. Aber in der Partei gibt es längst Szenarien für ihre Ablösung.

Berlin - Krisen sind in der SPD schon so gewohnte Zustände, dass sie vom Normalzustand kaum noch zu unterscheiden sind. Deshalb ist es schwierig festzustellen, ob die aktuellen Hakeleien tatsächlich Anzeichen für neue Umbrüche in der Partei sind. Ab Sonntag treffen sich die Spitzen zu einer zweitägigen Vorstandsklausur. Es soll um Sachthemen gehen, aber es gibt hartnäckige Gerüchte, dass Parteichefin Andrea Nahles um ihren Posten fürchten muss. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Wie ernst ist die Lage?

Sie ist auch für SPD-Verhältnisse sehr ernst. Alle Umfragen zeigen katastrophale Werte. Im Bund stagniert die SPD bei inakzeptablen 15 Prozent. Bei der Europawahl im Mai droht die älteste deutsche Partei ihren zweiten Platz im Parteienspektrum der Republik an die Grünen zu verlieren. Zudem könnte bei den dortigen Landtagswahlen sogar die traditionelle SPD-Hochburg in Bremen fallen. Und das alles, obwohl die SPD-Minister in der Regierung aktiver und mitunter auch erfolgreicher agieren als so manche Unionskollegen. Gerade das bringt Andrea Nahles in Bedrängnis: schlechte Umfragen trotz guter Politik – da liegt der Reflex nahe, die lamentable Situation am Spitzenpersonal festzumachen.

Auf wen kann Nahles sich verlassen?

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig hat sich demonstrativ hinter Nahles gestellt und Spekulationen zurückgewiesen, sie strebe nach dem Amt. Auch die einflussreiche rheinland-pfälzische Amtskollegin Malu Dreyer gehört nicht zu den Umstürzlern. Selbst die Ministerriege steht noch zu Nahles. Heiko Maas hat ihr gerade den Rücken gestärkt. Olaf Scholz akzeptiert sie als Parteichefin, hat aber immerhin selbst Ambitionen auf eine kommende Kanzlerkandidatur angedeutet. Das kann Andrea Nahles aber nicht beruhigen, denn es gibt gewichtige Strömungen, die gegen sie arbeiten.

Wer sind ihre Gegner?

Als Alt-Kanzler Gerhard Schröder jüngst massiv gegen Nahles zu Felde zog, ihr „Amateur-Fehler“ vorwarf und ihr die wirtschaftspolitische Kompetenz absprach, bekam er viel Kritik – aber auch Unterstützung. So stellte sich der Chef der NRW-Landesgruppe in der Bundesfraktion, Achim Post, hinter Schröder. Zuspruch erhielt Schröder auch vom niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius. Tatsächlich gibt es eine Achse der mächtigen Landesverbände Niedersachsen und NRW, die Nahles gegenüber sehr kritisch eingestellt sind. Für die Vorsitzende ist das alarmierend. Schröder, Post, Pistorius eint eine Wunschvorstellung: Sie wollen den von Nahles abservierten ehemaligen Außenminister, Vizekanzler und Parteichef Sigmar Gabriel zurückholen. Der lässt keinen Zweifel daran, dass er sich für den geeigneten Mann hält, um den havarierenden SPD-Tanker wieder flott zu machen. Sein jüngster Tweet hat das glasklar gemacht. So lobte er nicht nur das von Hubertus Heil vorgeschlagene Grundrenten-Modell, sondern watschte Nahles gleich dafür ab, in ihrer Zeit als Sozialministerin die Grundrente nicht durchgesetzt zu haben. Allerdings: Gabriel hat mit seiner poltrigen Art in der SPD-Führung so viele verärgert, dass eine Rückkehr kaum vorstellbar ist. Seine Unterstützer aber haben einen Plan.

Die Szenarien

Andrea Nahles will die SPD über erfolgreiche Sacharbeit wieder wählbar machen. Das ist das strategische Ziel der Vorstandsklausur vom Wochenende. Deshalb ist das Grundrenten-Thema für die Partei wichtig. Mehr Gerechtigkeit, mehr Sozialstaat – das klassische SPD-Profil soll wieder geschärft werden. Wenn das gelingt, könnte bei den anstehenden Wahlen im Mai, das Schlimmste verhindert werden. Bis dahin wird Nahles ziemlich sicher im Amt bleiben, weil niemand Interesse daran haben kann, einen neuen Hoffnungsträger in gleich zwei aussichtslose Wahlkämpfe zu schicken.

Wenn es aber bei den Frühlingswahlen zur Katastrophe kommt, ist alles möglich. Der Ausstieg aus der großen Koalition dürfte dann schwer zu vermeiden sein. Das aber wäre fast zwangsläufig mit Neuwahlen verbunden – und einem personellen Neuanfang. Schleunigst bräuchte die Partei einen Kanzlerkandidaten. Da wird interessant, dass Altkanzler Schröder das Instrument des Mitgliedervotums wieder ins Spiel brachte. Genau das nämlich wäre die Chance für Sigmar Gabriel: Das Partei-Establishment würde ihn sicher nicht mehr rufen. Aber vielleicht griffe die Parteibasis nach dem letzten Strohhalm. Denn dass Gabriel mobilisieren kann, steht außer Zweifel. So manche in der SPD setzen auf diese Operation: Letzte Hoffnung Gabriel.