Lars Castellucci traut sich zu, die unterschiedlichen Flügel im Landesverband miteinander zu versöhnen. Foto: dpa

Der Bundestagsabgeordnete Lars Castellucci fordert die baden-württembergische SPD-Chefin Leni Breymaier heraus. Nach einem Erfolg beim Mitgliedervotum und seiner Wahl auf dem Landesparteitag will er vor allem die Selbstbeschäftigung der Südwest-Genossen beenden.

Stuttgart - Im Duell zwischen Landeschefin Leni Breymaier und ihrem Vize Lars Castellucci plant die Südwest-SPD eine Mitgliederbefragung vom 1. bis 19. November. Das Ergebnis soll bindend sein für den Vorschlag des Landesvorstandes zum Parteitag am 24. November. Der Herausforderer stellt seinen großen Erfahrungsschatz als Plus heraus.

Herr Castellucci, wann haben Sie sich dazu entschlossen, gegen Leni Breymaier ins Rennen zu gehen?

Das war ein längerer Prozess des Abwägens über mehrere Monate. Den Ausschlag haben dann die nochmal schlechter gewordenen Umfragewerte im Sommer gegeben. Überall, wo ich hinkomme, ist klar: Es kann nicht einfach so weitergehen. Also muss man etwas verändern, grundlegend, mit frischen Ideen, dafür trete ich an.

Wer gibt Ihnen den nötigen Rückhalt?

Ich spüre den Rückhalt aus der ganzen Partei. Die allermeisten begrüßen die Möglichkeit zu einer demokratischen Auswahl. Die wollen wir auch nutzen, damit die Menschen draußen erkennen: in dem Laden ist Leben. Wir könnten Trübsal blasen angesichts des Abwärtstrends, aber wir machen uns auf. Was mich besonders freut: viele sind bereit, Verantwortung zu übernehmen und sich mit aller Kraft hineinzuwerfen.

Lässt sich schon nach gut zwei Jahren Amtszeit sagen, dass Leni Breymaier mit dem Neuaufbau gescheitert ist?

Mir geht es darum, nach vorne zu diskutieren. Ich möchte, dass wir in der SPD Baden-Württemberg Ideen schmieden, die das Land besser machen. Die internen Dinge müssen wir auch geordnet bekommen. Aber die Partei ist kein Selbstzweck – sie ist für die Menschen da.

Was wollen Sie inhaltlich anders machen?

Wir müssen uns als Volkspartei breit aufstellen und ein Angebot an alle Menschen in Baden-Württemberg machen. Ein Beispiel: Als ich in die SPD eingetreten bin, hatte sie auf ihrem Wahlplakat nur einen Baum. Daneben stand: Sozial-ökologische Modernisierung der Marktwirtschaft. Das ist die Tradition etwa von Hermann Scheer oder Ernst-Ulrich von Weizsäcker in Baden-Württemberg. An diese Tradition müssen wir anknüpfen. Ich will nicht, dass wir als eine Kohle-Partei daherkommen, sondern dass wir Motor der sozial-ökologischen Modernisierung sind. Da müssen wir im Zweifel auch in den Konflikt mit anderen Landesverbänden gehen, beispielsweise wenn es um den Hambacher Forst geht. Erst war Atomausstieg, jetzt brauchen wir Klarheit beim Kohleausstieg. Sonst produzieren wir im Südwesten Elektroautos und haben am Ende doch mehr CO2-Ausstoß, weil der Strom dafür aus Braunkohlemeilern kommt.

Kohlepolitik steht gerade nicht im Zentrum der Südwest-SPD. Wo also liegen die programmatischen Unterschiede zu Leni Breymaier?

Ich kann Ihnen an vielen Stellen sagen, wo ich programmatische Impulse geben möchte. Als Erstes müssen wir die Landespolitik in den Fokus nehmen. Der Landesverband hat in den vergangenen zwei Jahren eben nicht die Inhalte, die in der Landtagsfraktion erarbeitet worden sind, diskutiert und dafür gesorgt, dass sie verbreitet werden. Es mangelt den Menschen an Orientierung, wie es weitergehen soll. Wir müssen einen Zukunftsentwurf für das Land erarbeiten und ihn mit den Menschen diskutieren. Ich möchte die ganze SPD Baden-Württemberg zu einer Fortschrittspartei machen.

Warum hat der Landesverband diese Themen bisher ignoriert?

Weil er beschäftigt war mit vielerlei binnenorientierten Dingen. Die Menschen müssen spüren: Wir kümmern uns um ihre Anliegen. Ich würde meiner Partei gerne ein Programm verschreiben: 50 Prozent unserer Arbeitszeit verbringen wir draußen statt in Hinterzimmern oder Gremien.

Braucht Leni Breymaier nicht mehr Zeit? Der unter ihr angestoßene Erneuerungsprozess läuft doch jetzt erst richtig an?

Das muss man dann auch machen. Wir haben den Zustand der Partei nach der Landtagswahl sehr ehrlich analysiert. Mir geht es um radikalere Veränderungen als das, was bisher überlegt worden ist. Wir müssen unsere Kräfte bündeln und wieder Zusammenarbeit lernen. Zudem müssen wir die Organisation so verbessern, dass sie wirklich auf der Höhe der Zeit ist. Die SPD muss sich als Volkspartei in Baden-Württemberg sehen. Im Moment gibt es wenig, womit die Partei einen ordentlich verdienenden Facharbeiter überzeugen kann. Seine Sicht der Dinge ist nahe an unserer Programmatik – er verbindet diese aber nicht mit der SPD. Dieses Potenzial müssen wir besser ausschöpfen. Da sind noch nicht alle Konzepte fertig, aber der Anspruch muss sein, ein Angebot für die Breite der Gesellschaft zu machen.

Kann ein interner Wahlkampf die Gräben nicht noch vertiefen?

Ich stehe dafür, die Partei zu einen und traue mir zu, sie zusammenzuführen. Ich gehöre keinem der immer wieder zitierten Flügel an. Bei elf Prozent sind wir gut beraten, wenn wir uns jetzt nicht ständig weiter untereinander aufteilen.

Der Landesverband besteht aus vielen Strömungen wie Linken oder Netzwerkern. Leni Breymaier hat versucht, die Konflikte nicht noch nach außen zu tragen. Wie wollen Sie da erfolgreicher sein?

Darüber habe ich mit vielen Leuten gesprochen. Wenn ich mir das nicht zutrauen würde, dann würde ich auch nicht kandidieren. Ich erhalte zahlreiche Rückmeldungen aus den Kreisverbänden, die sagen: Du kannst das hinbekommen. Wir brauchen wieder ein Ziel, für das wir gemeinsam streiten. Die Basis versteht doch gar nicht mehr, um was es bei den Grüppchen gehen soll.

„Mit mir finden die Strömungen nicht mehr statt“

Das Lagerdenken wird trotzdem mit großer Inbrunst betrieben?

Ich kann nur zusagen: Mit mir als Landesvorsitzendem finden diese Strömungen auf Landesebene nicht mehr statt. Es soll sich nicht mehr jeder in seine Wohlfühlgruppe zurückziehen, wo alle mehr oder weniger einer Meinung sind. Ich will, dass wir die Dinge wieder miteinander klären und zu gemeinsamen Ergebnissen kommen. Und genauso müssen wir viel mehr mit Menschen außerhalb der Partei diskutieren.

Die SPD soll die „modernste Landespartei“ werden, sagen Sie. Was schwebt Ihnen an strukturellen Änderungen vor?

Ein Beispiel: Ich will die SPD zur Partei der nächsten Generation machen. Niemand macht der Jugend bisher ein Angebot, auch mal in Politik hineinschnuppern zu können. Wir müssen aber immer wieder die nächste Generation für unsere Demokratie und unser Gemeinwesen gewinnen. Jede Jugendfeuerwehr oder Ministrantengruppe macht uns vor, wie gute Jugendarbeit aussieht. Da liegt ein Riesenpotenzial. Ich habe ein klares Konzept dafür erarbeitet, jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, sich bei uns auszuprobieren. Das will ich als Landesvorsitzender umsetzen.

Sie sind Bundestagsabgeordneter genauso wie Leni Breymaier – können Sie öfter im Land präsent sein als bisher?

Wir Abgeordnete sind an 22 Wochen im Jahr von Montag bis Freitag in Berlin gebunden. Mein Lebensmittelpunkt ist aber mein Heimatstädtchen Wiesloch und damit Baden-Württemberg. Und natürlich muss ich dann mehr im Land unterwegs sein, als ich das als stellvertretender Landesvorsitzender war. Klar ist aber auch: der Wiederaufstieg der SPD ist keine Einmann-Show, sondern ein Gemeinschaftsprojekt.

In jedem Fall brauchen Sie einen Generalsekretär Ihres Vertrauens – der käme dann aus der Fraktion?

Ich trete nicht im Tandem an. Doch kann der Landtagswahlkampf, der am Tag nach dem Landesparteitag beginnt, nur in enger Verzahnung von Partei und Fraktion gut organisiert werden. Deswegen habe ich in der Fraktion dazu aufgerufen, zu klären, ob sich von dort oder aus dem engeren Umfeld ein Kandidat oder eine Kandidatin dafür zur Verfügung stellt.

Muss ein neuer Landesvorsitzender nicht zwingend auch Spitzenkandidat bei der Landtagswahl werden?

Jetzt lassen Sie uns erst einmal den Weg zum Parteitag gut bewältigen. Danach werden wir einen geordneten Prozess haben, in dem wir diese Frage miteinander klären.

Sie sind seit 13 Jahren stellvertretender Vorsitzender – ein Begleiter des SPD-Niedergangs. Macht dies den Anspruch, den Neustart zu organisieren, nicht problematisch?

Ich wundere mich über manches, was da gesagt wird. Zumal das für Leni Breymaier als langjährige Stellvertreterin genau so gilt. Aber sei’s drum, wir beide werden das nun mit großem Anstand die nächsten Wochen durchhalten – da kann ich alle, die an diesem Prozess teilhaben, nur aufrufen, es uns gleich zu tun. Ja, ich bin seit dreizehn Jahren stellvertretender Landesvorsitzender, ich war fast zehn Jahre Vorsitzender des größten Kreisverbands, davor Ortsvereinsvorsitzender, lange im Stadtrat und Kreistag. Sehen Sie es doch so: Diese Erfahrung spricht für mich.

Wäre eine intern unverbrauchte Kraft nicht geeigneter, die Lager zu versöhnen und voran zu marschieren?

Das ist Demokratie: Es kann gerne noch jemand weiteres antreten. Ich bin 44 Jahre, habe eine Menge Energie und Lust, das mit vielen anderen zusammen zu wuppen. Ich kenne die Partei wie meine Westentasche. Ich weiß, wie sie tickt, und bin für die Aufgabe, die ich mir gestellt habe, aufgrund der langjährigen ehrenamtlichen Erfahrung bestmöglich qualifiziert. Nur jemand, der die Partei gut kennt und versteht, kann sie auch gut in die Zukunft führen.