Johannes Kahrs bekennt sich ausdrücklich zu dem neuen SPD-Kurs, der die Endlos-Debatten über Hartz IV beenden soll. Foto: dpa

Auch Johannes Kahrs, der Sprecher der Parteirechten in der SPD, unterstützt die umfassenden Reformpläne seiner Partei und fordert Solidarität mit der geschwächten Vorsitzenden ein.

Berlin. - Johannes Kahrs ist Sprecher des Seeheimer Kreises in der SPD und damit ein Führungsfigur des rechten Parteiflügels. Im Interview mit unserer Zeitung fordert er von der Partei Solidarität mit der kritisierten Parteichefin Andrea Nahles.

Herr Kahrs, welche Bedeutung hat die SPD-Klausur für die Partei?

Wir wollen uns auf eine Neujustierung des Sozialstaats verständigen. Mit dem Papier der Parteiführung kommt der Prozess der inhaltlichen Erneuerung zu einem guten Abschluss. Ich finde das Papier sehr gelungen.

Erstaunlich für einen Seeheimer, der Gerhard Schröders Politik gestützt hat. Die SPD wirft Hartz IV doch über Bord…

Als die Agenda 2010 beschlossen wurde, war Deutschland der kranke Mann Europas. Nach den 16 Jahren Stillstand unter Kohl war dieses Paket notwendig und gut. Es hat uns 15 Jahre Wohlstand und einen grundlegenden Abbau der Arbeitslosigkeit gebracht. Heute aber gibt es andere Herausforderungen: Die Digitalisierung gefährdet viele Jobs. Menschen in der Mitte ihres Arbeitslebens werden umschulen müssen. Für diese Umwälzungen brauchen wir ein neues Instrumentarium. Unser Arbeitslosengeld Q - für Qualifizierung - ist so ein Punkt.

Dennoch, es ist ein Abschied von Schröders Politik.

Die Seeheimer haben für die Agenda gekämpft. Sie hat ihren Auftrag erfüllt. Aber die Zeiten haben sich geändert. Das müssen wir anerkennen.

Wäre diese Neuaufstellung nicht glaubwürdiger, wenn sie in eine andere machtpolitische Perspektive eingebettet würde? Die neuen SPD-Positionen wären eher mit Rot-Rot-Grün durchzusetzen als mit der Union…

Vor dem Gang in die neuerliche große Koalition haben wir uns personell ganz neu aufgestellt. Das unterfüttern wir nun mit neuen Inhalten. Davon wollen wir in dieser Koalition so viel wie möglich umsetzen. Der Wähler hat uns für vier Jahre gewählt. Dann gehen wir in einen nächsten Bundestagswahlkampf, in dem wir dem Wähler sagen: Wir würden gerne ohne die Union regieren, denn mit ihr können wir unsere Ziele nicht vollständig umsetzen. Aber man kann bei sechs Parteien im Bundestag nicht vor der Wahl eine Festlegung auf eine bestimmte Koalitionsoption treffen.

Die vereinbarte Zwischenbilanz sollte also nicht zum Koalitionsbruch führen?

Ich plädiere dafür, im Oktober oder November zu prüfen, was man in der Koalition geschafft hat: Wenn wir bis zum November ein gutes Stück des Koalitionsvertrags umgesetzt haben und es gibt es eine Perspektive, den Rest auch noch zu schaffen – dann plädiere ich dafür, dass man weitermacht. Aber das kann ich aus heutiger Sicht noch nicht sagen. Da schauen wir uns auch genau die Prozesse in der Union an.

Haben Sie Befürchtungen, dass die Genossen ausgerechnet in Zeiten knapper werdender Ressourcen wieder eine neue Lust am Geldausgeben entdecken – Stichwort Grundrente und längeres Arbeitslosengeld?

Die Lust sehe ich eher bei der Union. Seit Wolfgang Schäuble nicht mehr Finanzminister ist, häufen sich riesige Zusatzforderungen an den Haushalt. Man sehe die Forderung nach einer Erhöhung des Wehretats um zwei Prozent. Das wären 40 Milliarden Euro mehr pro Jahr. Dagegen meldet die SPD lediglich an einem Punkt, der Grundrente, einen Bedarf von fünf bis sieben Milliarden Euro an.

Zu den Personalfragen: Sind Sie mit Ihrer Vorsitzenden total zufrieden?

Andrea Nahles hat in der Öffentlichkeit nicht immer das beste Image. Aber ich schätze sie dafür, was sie in den vergangenen Jahren erreicht hat: Sie hat es als Arbeitsministerin gut gemacht, sie macht als Fraktionsvorsitzende einen guten Job. Sie hat es als Vorsitzende geschafft, die Partei inhaltlich neu aufzustellen. Deshalb finde ich einen Großteil der Kritik, die ich vernehme, einfach unfair. In der Situation, in der sich die SPD gerade befindet, brauchen wir überhaupt keine Personaldebatten.

Das geht gegen den Altkanzler?

Ich hatte Gerhard Schröder stets verteidigt – oft gegen Anwürfe der Altvorderen in der Partei. Warum? Wenn man aus der Politik raus ist, dann ist man raus. Und Ratschläge können auch Schläge sein. Es ist wichtig, dass wir diejenigen, die den Karren ziehen und die Arbeit machen, unterstützen. Es muss eine Solidarität geben mit denen, die in der Partei den Laden zusammenhalten. Da darf nicht jeder fröhlich vor sich hin nörgeln. Ich habe keinen Bock auf alle Debatten, die die inhaltliche Neuaufstellung der SPD überdecken.

Gilt der alte Grundsatz uneingeschränkt weiter, dass der oder die Vorsitzende das erste Zugriffsrecht auf die Kanzlerkandidatur hat?

Ja. Das ist so, das war so, das ist gut so. Das ist das Vorrecht der Parteivorsitzenden.

Gerhard Schröder hat das Instrument der Mitgliederbefragung zur Bestimmung des Kanzlerkandidaten ins Spiel gebracht. Was halten Sie davon?

Gar nichts. Unsere Erfahrungen damit waren durchaus nicht so gut. Dafür haben wir Parteitage und Delegierte.

Gibt es in der Partei eine Perspektive zur Wiedereinbindung von Sigmar Gabriel?

Ich bin ein großer Fan von Sigmar Gabriel. Ich habe ihn immer unterstützt. Er ist einer der besten, den wir haben. Ich habe es bedauert, dass er nicht die Kanzlerkandidatur übernommen hatte. Ich finde, dass er und Martin Schulz wichtig sind für unsere Partei. Sie müssen eine wichtige Rolle spielen. Politik ist ein Mannschaftssport. Den spielt man gemeinsam. Ich kann allen in meiner Partei nur empfehlen, Sigmar Gabriel und Martin Schulz mitzunehmen und überall einzubauen.