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Die SPD geht aus der Bürgerschaftswahl in Hamburg als klarer Sieger hervor. Strahlt das Ergebnis auch auf die Bundespolitik aus?

Hamburg - Um 18.15 Uhr kommt der Mann des Tages. Das Veranstaltungszentrum in der Nähe des Hamburger Hauptbahnhofs platzt aus allen Nähten, das Astra-Bier fließt in Strömen, die Leute sind euphorisiert. Als sich Peter Tschentscher mit seiner Frau Eva Maria quer durch den Saal in Richtung Bühne schiebt, skandieren sie „Peter, Peter“ und „Bürgermeister, Bürgermeister“. Der Jubel ist grenzenlos bei der SPD-Wahlparty.

Tschentscher könnte jetzt einfach mitjubeln und sich zu überdrehten Siegerposen hinreißen lassen. Aber er bleibt bescheiden, was eine Menge aussagt über ihn und sein Amtsverständnis. Als er auf der Bühne das Wort ergreift, erinnert er an den fragilen Zustand der Bundes-SPD und die Widrigkeiten, der auch die Hamburger Partei in den vergangenen Monaten ausgesetzt gewesen ist. Aber sie habe geschlossen gekämpft und „einen Wahlkampf hingelegt, den uns noch Anfang des Jahres niemand zugetraut hat“. Das war es auch schon. Jetzt hebt Tschentscher doch einmal kurz beide Daumen für die Kameras. Dann geht es ab Richtung Messe, wo die TV-Stationen ihre Wahlstudios aufgebaut haben.

Die Hamburger wählten Kontinuität

So sehen also Sieger aus. Die SPD mag bundesweit darniederliegen. In Berlin mögen die Verhältnisse angesichts des Thüringen-Debakels äußerst schwierig sein. Doch als die Wahllokale in Hamburg am Sonntagabend schließen, bestätigt sich, was die Demoskopen zuletzt deutlich vorhergesagt hatten: Die Wähler in der Hansestadt wollen keinen Wechsel, sondern Kontinuität. Und zwar mit einem sozialdemokratischen Bürgermeister an der Spitze und starken Grünen an seiner Seite.Der 54-jährige Peter Tschentscher und die SPD gehen als klare Sieger aus der Bürgerschaftswahl hervor. Sie müssen gegenüber dem Urnengang von 2015 zwar Stimmenanteile abgeben. Aber zwischen den Umfragewerten auf Bundesebene, wo die Partei um die 15 Prozent herumdümpelt, und dem Wahlergebnis in Hamburg liegen Welten. In den letzten Wochen vor der Wahl zog die SPD in der Hansestadt allen Konkurrenten davon. Die Grünen wiederum können mit Spitzenkandidatin Katharina Fegebank ihren Stimmenanteil verdoppeln. Der Höhenflug, den sie fast im gesamten Land erleben, setzt sich in Hamburg fort. „Ich bin gerührt“, sagt die Wissenschaftssenatorin bei der Wahlparty – und tanzt auf der Bühne.

„Wir haben die anderen vor uns her getrieben“

Das ganz große Ziel hat die Ökopartei freilich verfehlt: Fegebank, die in wenigen Tagen 43 Jahre alt wird, wollte selbst Erste Bürgermeisterin werden. Als erste Frau in der Geschichte der Hansestadt und als erste Grüne. So platzt der Traum der Partei, neben Winfried Kretschmann aus Baden-Württemberg noch einen zweiten Regierungschef in den Ländern zu stellen. „In Baden-Württemberg wäre Katharina Fegebank mit diesem Ergebnis Ministerpräsidentin geworden“, tröstete Grünen-Chef Robert Habeck. Der Schmerz dürfte sich angesichts des starken Ergebnisses in Grenzen halten. Die Entscheidung, die SPD herauszufordern, sei völlig richtig gewesen, sagte Fegebank: „Wir haben die anderen vor uns her getrieben mit unseren Themen.“

Bei den Sozialdemokraten, auch im Bund, ist die Erleichterung über das Ergebnis mit Händen zu greifen. Der freie Fall der einst stolzen Partei ist möglicherweise gestoppt. Die Botschaft dieses Wahlsonntags lautet: Mit den richtigen Kandidaten an der Spitze können die Sozialdemokraten gewinnen – so wie Anfang September, als es in Brandenburg Dietmar Woidke gelang, den Ministerpräsidenten-Sessel zu verteidigen.

In Hamburg gewann jetzt allerdings eine SPD, die es anderswo in der Republik in dieser Form nicht gibt. Es ist eine ziemlich bürgerliche Partei, die weit in alle Milieus hineinragt und auch das Vertrauen der Wirtschaft und der Kaufmannschaft genießt. Das ist wichtig in einer Stadt, die von Hafen, Handel und Industrie lebt. „Die ganze Stadt im Blick“, lautete Tschentschers Motto.

Wichtige Themen waren Verkehrspolitik und Wohnbau

Der ehemalige Oberarzt ist ein typischer Vertreter dieser Hamburg-SPD. Er ist politisch aus demselben Holz geschnitzt wie sein Amtsvorgänger Olaf Scholz, der im Frühjahr 2018 das Bürgermeisteramt aufgab, um Vizekanzler und Finanzminister in Berlin zu werden. Scholz und seine Leute werden den Wahlerfolg in Hamburg jetzt ganz besonders genießen. Schließlich mussten er und seine Tandem-Partnerin Klara Geywitz sich im vergangenen Jahr im Kampf um den SPD-Parteivorsitz dem linken Duo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans geschlagen geben. Diese stehen für eine ganz andere, traditionellere SPD. So richtig Lust aufs Regieren haben sie bisher nicht.

Im Hamburger Wahlkampf waren die beiden Vorsitzenden unerwünscht. Wenn sich die Partei in der kommenden Zeit mit der Frage beschäftigt, wie sie sich für die Bundestagswahl 2021 in Stellung bringen soll, dürften die Erfahrungen aus Hamburg eine beträchtliche Rolle spielen. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil jedenfalls sprach an seinem Geburtstag von einem „tollen Abend für die SPD insgesamt“. Die Sozialdemokraten in der Hansestadt hätten „wahnsinnig gekämpft“.

Im Wahlkampf war es vor allem um die Verkehrspolitik und den Wohnungsbau gegangen. Hamburg hat die gleichen Probleme wie alle wachsenden Metropolen. Auch hier konnte Tschentscher den Pragmatiker geben. Er plädiert er für eine Stärkung von Rad, Bus und Bahn, ohne die Autos aus der Innenstadt zu verdrängen. In Sachen Wohnungsbau gilt Hamburg bundesweit als Vorbild. Zuletzt geriet Tschentschers SPD wegen ihrer Kontakte zur skandalumwitterten Warburg-Bank unter Rechtfertigungsdruck. Geschadet hat das kaum.

Schon vor der Wahl hatte Tschentscher deutlich gemacht, dass er sich gut vorstellen kann, das Bündnis mit den Grünen fortzusetzen. Theoretisch gibt es noch eine zweite Option, nämlich eine Koalition mit der atomisierten CDU. Vermutlich wird Tschentscher auch dies prüfen – und sei es nur, um die gestärkten Grünen unter Druck setzen zu können.