Generalsekretärin Luisa Boos ist seit gut einem Jahr im Amt und muss nun in einer der bisher größten Krisen der SPD agieren. Foto: Schiermeyer

Der Druck auf die SPD, in eine neue „Groko“ zu gehen, wächst. Die Generalsekretärin in Baden-Württemberg, Luisa Boos, beschreibt die Misere der Partei, die zunächst nur verlieren kann: Mitglieder vor allem. Umso wichtiger sei der Austausch mit der Basis.

Stuttgart - Die SPD steckt vor den Sondierungen mit der Union in einer Lage, in der sie zunächst auf jeden Fall Anhänger verlieren wird. Der Gedanke an eine Neuauflage der großen Koalition schreckt viele ab. Generalsekretärin Luisa Boos sagt, was dagegen zu tun ist.

Frau Boos, es sieht so aus, als strebe Martin Schulz in die große Koalition. Geht es jetzt nur noch darum, der Basis dieses Ziel zu vermitteln?
Dem würde ich klar widersprechen. Es geht jetzt darum, über die Zukunftsfragen zu reden. Dass man zuerst über die Inhalte spricht, bevor man sich auf eine Form festlegt, finde ich selbstverständlich. Für uns ist klar: Die Sondierungen sind ergebnisoffen. Ob am Ende eine schwarz-rot-grüne Kenia-Koalition, eine Tolerierungsform oder eine große Koalition steht, ist weiterhin offen. Die Basis müssen wir immer und in jedem Fall einbeziehen, denn unsere Mitglieder werden am Ende entscheiden.
Es bleibt dennoch der Eindruck, dass man sich dem Druck, in eine große Koalition zu gehen, nicht mehr entziehen kann?
Ich nehme natürlich auch wahr, dass der Druck auf die SPD zunimmt. Gleichwohl hat die SPD diese Situation nicht verursacht, sondern das Scheitern der Jamaika-Verhandlungen. Jetzt ist Angela Merkel in der Verantwortung, sich Bündnispartner zu suchen. Da liegt der Ball doch klar bei der Kanzlerin.
Bisher hat sich die Landesverbandsspitze eher gegen eine neue Groko ausgesprochen. Gehen Sie nun pragmatischer vor?
Ich glaube, niemand in der SPD Baden-Württemberg will unbedingt eine große Koalition. Wir waren am Ende der jüngsten Koalition der Meinung, dass keine großen Zukunftsprojekte mehr gemeinsam möglich sind. Jetzt haben wir eine neue Situation. Das bedeutet nicht, dass wir die vorher angestellten Überlegungen verwerfen – vielmehr müssen wir offen darüber sprechen, was wir im Sinne der Menschen, die uns vertrauen, gestalten können. Deswegen bin ich froh, dass wir nach den Sondierungen konkrete Inhalte auf dem Tisch haben werden. Dann können wir die Lage bewerten.
Seit der Agenda-Debatte war die SPD nicht mehr so uneins. Kann es die Partei zerreißen, weil an beiden Enden mit Macht gezogen wird?
Für mich ist das Gedankenexperiment einer Neuauflage der großen Koalition auch schwer. Ich kann auch die unterschiedlichen innerparteilichen Positionen gut verstehen: die historische Perspektive oder was es mit Blick auf die AfD für die Oppositionsrolle bedeutet. Wir werden ja auf einem Bundesparteitag im Januar über mögliche Koalitionsverhandlungen entscheiden. Wichtig ist es, bis dahin den Bezug zur Basis nicht zu verlieren – da sind gerade die Führungspersonen gefragt, Gespräche zu führen.
Müssen Sie etwas vertreten, was Sie nicht mit vollem Herzen vertreten können?
Dass die Lage schwierig ist, bestreitet niemand. Die Befürchtung unserer Mitglieder ist, dass eine Neuauflage der großen Koalition den Erneuerungsprozess der SPD stoppt. Das darf nicht passieren. Da habe ich als Generalsekretärin eine klare Haltung und sehe mich auch in der Verantwortung, die Erneuerung weiter voranzutreiben. Nachdem ich aber alle Varianten zur Regierungsbildung einmal durchgespielt habe, ist für mich eine Entscheidung eben nicht möglich, ohne die Inhalte anzuschauen. Ich habe bei der Mitgliederbefragung zur letzten Großen Koalition dagegen gestimmt, weil mich das Europakapitel absolut nicht überzeugt hat. Die Folgen des „Weiter so“ sehen wir ja jetzt mit dem Erstarken des Rechtsextremismus, dem Brexit und dem Fortbestand hoher Jugendarbeitslosigkeit in Teilen Europas, weil kein Spielraum für Investitionen eröffnet wurde. Für mich kommt es somit auch darauf an, was in den Sondierungen nicht vereinbart werden kann.
Man darf ja nicht erwarten, dass die SPD alle ihre Wunschprojekte durchbringt. Müssen Sie daher Austritte in großer Zahl fürchten?
Ich bekomme viele Mails von Mitgliedern, die sich klar positionieren und in denen zum Teil auch Austritte angekündigt werden. Ich nehme mir die Zeit, ausführlich zu antworten und auch anzurufen. Mir geht es nicht darum, die Mitglieder vom einen oder anderen zu überzeugen. Der Austausch ist mir wichtig. Wir müssen miteinander diskutieren, was die aktuelle Lage für die SPD, das Land und Europa bedeutet.
Kann die SPD in dieser Lage nur verlieren?
Kurzfristig ist es schwierig, ja. Egal, wie man sich entscheidet, verliert man Menschen in der Partei oder langjährige Wähler. Niemand weiß das besser als wir. Aber nochmal: Ich kann keine Entscheidung im luftleeren Raum treffen.
Auch die Union übt Druck auf die SPD aus. Erschwert sie damit eine Lösung?
Ja. Eigentlich dachte ich, dass sich die Union ihrer Verantwortung bewusst wäre. Ich nehme nun mit Verwunderung zur Kenntnis, dass sie vermeintlich vor Kraft nicht mehr laufen kann – obwohl sie uns braucht. Die Spielchen helfen nicht weiter.
Reicht denn die Vertrauensbasis für eine Zusammenarbeit mit der Union?
Das Vertrauen ist extrem angeschlagen – nicht nur wegen der Glyphosat-Entscheidung an der SPD vorbei. Es sind auch Punkte aus dem letzten Koalitionsvertrag nicht umgesetzt worden, siehe die Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit. Da müsste man vertrauensbildende Maßnahmen ergreifen, doch die Union macht genau das Gegenteil. Die SPD stellt sich ihrer staatspolitischen Verantwortung, während sich CDU und CSU zunehmend verantwortungslos verhalten.