Lokalchef Holger Gayer im Gespräch mit SPD-Fraktionschef Martin Körner. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Martin Körner steht einem Bevölkerungswachstum in Stuttgart positiv gegenüber. „Wir können doch keine Mauer um die Stadt herum bauen“, sagt der SPD-Fraktionschef und wirft dem OB vor, sich viel zu wenig um bezahlbare Wohnungen zu kümmern.

Stuttgart - Der Stuttgarter SPD-Fraktionschef Martin Körner fordert neue Baugebiete an den Rändern der Stadt, um mehr bezahlbare Wohnungen zu schaffen. Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) kusche dagegen vor den Einzelinteressen mancher Nachbarn, die eine Bebauung in ihrer Umgebung verhindern wollten.

Herr Körner, welchen Wengert wollen Sie in der Stadt zwischen Wald und Reben zuerst roden, um Wohnungen zu bauen?
Gar keinen. Aber wir sehen, dass wir dringend neue Wohnungen brauchen und sind bereit, dafür auch an den Rändern das eine oder andere Neubaugebiet zu erschließen.
Der Gemeinderat hat dank einer Kehrtwende der SPD beschlossen, die Planungen für das Wohngebiet Schafhaus wieder aufzunehmen. Jürgen Zeeb von den Freien Wählern nannte das einen „historischen Moment“.
Von einem historischen Moment würde ich nicht sprechen. Tatsache ist, dass die SPD und andere Fraktionen das Projekt vor acht Jahren gestoppt haben, weil es keine Einigung bei der Erschließung gab. Aber vor acht Jahren hatten wir auch eine völlig andere Wohnungssituation. Nach München sind wir mittlerweile Nummer zwei bei den Mieten in der Republik. Im Schnitt kostet der Quadratmeter in einer Wohnung in Stuttgart zehn Euro. Das ist weit mehr als in Frankfurt oder Hamburg, wo acht Euro aufgerufen werden. Daher brauchen wir neue Wohnungen, um die Mieten ein bisschen zu dämpfen.
Am Schafhaus sollen 250 Wohnungen vorwiegend in Einfamilien- und Reihenhäusern entstehen. Ist das allen Ernstes die Antwort der SPD auf die Wohnungsnot in Stuttgart?
Das ist ein Teil der Antwort. 250 Wohnungen sind ja nicht wenig, da haben bis zu 1000 Leute Platz. Und vergessen Sie nicht: Dieses Grundstück steht in der berühmten „Zeitstufenliste Wohnen“, in der OB Kuhn die Perspektiven für den Wohnungsbau in Stuttgart aufgezeigt hat.
Darin ist von 24 000 Wohnungen die Rede.
Aber leider stoßen wir fast überall auf Widerstand, wenn wir konkret werden wollen.
Widerstand von den bösen Nachbarn?
Von Leuten, die in der Nähe wohnen und natürlich ihren freien Blick aufs freie Feld erhalten wollen. Das kann ich übrigens gut verstehen. Was aber nicht geht, ist, dass der gleiche OB, der die Zeitstufenliste vorlegt, im selben Atemzug sagt: Ach, hier wollen wir doch lieber keinen Wohnungsbau, weil es Schwierigkeiten mit den Anwohnern gibt. Tatsache ist, dass wir den Bürgern reinen Wein einschenken und zumindest die Flächen bebauen müssen, die in der Zeitstufenliste vorgesehen sind. Wir können nicht bei jedem Baugebiet, das ein bisschen umstritten ist, einen Rückzieher machen.
Also gilt für die SPD das Prinzip Innen- vor Außenentwicklung nicht mehr?
Die Unterscheidung zwischen Innen- und Außenentwicklung ist manchmal zu akademisch. Wir brauchen ein Ja zu den Grundstücken, die in der Zeitstufenliste Wohnen stehen. Und danach brauchen wir schnell das neue Rosensteinquartier; da geht es um bis zu 7000 neue Wohnungen, . . .
. . . die frühestens 2025, 2026, 2027 oder 2028 gebaut werden können – je nachdem, wann Stuttgart 21 fertig wird.
Aber zwischen 2025 und 2028 ist ein Unterschied. Wir müssen Gas geben, damit wir eine Planung haben, wenn S 21 fertig wird. Zudem müssen wir bei den aktuellen Projekten Gas geben. Nehmen Sie den Neckarpark: Auch dort dauert es zu lange, bis die ersten Wohnungen entstehen.
OB Kuhn hat die Frage aufgeworfen, wie viele Einwohner Stuttgart haben sollte. Wie lautet die Antwort der SPD?
Ich nenne keine Zahl, weil ich das für eine technokratische Debatte halte. Die Menschen kommen zu uns, weil es hier Jobs gibt. Wir können doch keine Mauer um die Stadt herum bauen und sagen: Wir haben jetzt 610 000 Einwohner, wir lassen keinen mehr rein. Nein, wir sind eine offene Stadt, und wir freuen uns auch über Zuzug. Bevölkerungswachstum ist ein Indiz dafür, dass die Stadt boomt und lebenswert ist. Und wir müssen dafür sorgen, dass sich Normalverdiener die Stadt wieder leisten können.
Wie viele neue Wohnungen braucht Stuttgart, um dieses Ziel zu erreichen?
Im Gegensatz zum OB, der nur 1800 neue Wohnungen pro Jahr will, meinen wir, dass jährlich mindestens 2500 neue Einheiten notwendig sind. Außerdem muss die städtische Wohnungsbaugesellschaft SWSG gestärkt werden. Langfristig streben wir an, dass die SWSG ihren Bestand von 18 000 auf 30 000 Wohnungen steigert.
Wie wollen Sie das finanzieren?
Mit den Rücklagen, die die Stadt heute auf den internationalen Kapitalmärkten oder in Festgeldern anlegt. Beide Anlagenformen bringen momentan so gut wie keine Verzinsung. In fünf Jahren wollen wir 250 Millionen Euro in Grundstücke investieren. Die größere Schwierigkeit ist es, die Grundstücke zu finden. Deswegen brauchen wir Vorkaufsrechte für bebaute und unbebaute Grundstücke. Und die Stadt muss bereit sein, auch mal größere Ensembles am Stück zu kaufen, wenn sie auf den Markt kommen.
Die SPD schüttet munter des Finanzbürgermeisters Füllhorn aus.
Wir wissen, dass das nicht billig ist und wir dieses Ziel nicht morgen erreichen werden. Aber die genannten 30 000 Wohnungen sind ja keine gegriffene Zahl, sondern entsprechen ungefähr zehn Prozent des gesamten Stuttgarter Wohnungsbestandes. Frankfurt und Hamburg haben 14 Prozent in städtischer Hand, bei uns sind es nur sechs Prozent. Daran sehen Sie, dass unser Ziel realistisch ist.
Im Kreis Ludwigsburg klagen private Unternehmen gegen ihre städtischen Konkurrenten wegen Wettbewerbsverzerrung. Die Begründung der Kläger nimmt ziemlich genau Ihre Argumentation auf. Befürchten Sie, dass dies auch in Stuttgart geschehen wird?
Nein. Die SWSG ist ein anerkannter Partner in der Branche.
Das ist die Wohnungsbau Ludwigsburg (WBL) auch.
Das mag sein. Aber es ist das gute Recht einer Stadt, das soziale Bauen als eine zentrale kommunale Aufgabe zu definieren.
OB Kuhn nimmt für sich in Anspruch, genau das jetzt zu tun. Er stellt in Aussicht, dass 2017 bis zu 400 Sozialwohnungen gebaut würden . . .
. . . nachdem es in den ersten vier Jahren seiner Amtszeit pro Jahr 55 waren. Sein Ziel waren jährlich 600 geförderte Wohnungen. Das zeigt: Kuhn hat seine Ziele meilenweit verfehlt und muss beim Thema Wohnen dringend einen Zahn zulegen.
Und doch sind Sie einer Meinung mit ihm und fordern mehr Einsatz der Region.
Der OB hat bisher nur in Sonntagsreden gesagt, dass sich die Region auch beim Wohnen als Einheit begreifen solle. Wir haben einen konkreten Vorschlag gemacht, den er bisher nicht ausreichend unterstützt hat.
Wer sollen die Partner in einer regionalen Wohnungsbaugesellschaft sein?
Städte und Gemeinden, die merken, dass sie die gleichen Probleme wie Stuttgart haben und beim sozialen Wohnungsbau etwas tun müssten, aber keine Instrumente dazu haben. Erzieherinnen, Busfahrer und andere Normalverdiener haben auch in der Nachbarschaft von Stuttgart Schwierigkeiten, eine bezahlbare Wohnung zu finden.

Politisches:
Martin Körner, Jahrgang 1970, führt die neunköpfige SPD-Fraktion im Rathaus seit 2014. Bei der damaligen Gemeinderatswahl hatten die Sozialdemokraten nur noch 14,3 Prozent der Stimmen erhalten. Der Bezirksvorsteher des Stuttgarter Ostens galt damals als Hoffnungsträger der Genossen und versucht immer wieder, sich als Kontrapunkt zu OB Fritz Kuhn (Grüne) zu profilieren. Er arbeitet als parlamentarischer Berater für die SPD im Landtag.

Persönliches
: Körner ist verheiratet und hat eine Tochter. An Stuttgart mag er die „nette Nachbarschaft, die kulturelle Vielfalt und unseren Fußweg in die Innenstadt“.