Ein schwerer Tag für Hannelore Kraft: Kurz nach der Schließung der Wahllokale erklärte sie ihren Rücktritt als SPD-Vorsitzende in Nordrhein-Westfalen. Foto: dpa

Die SPD erleidet in ihrem Stammland eine historische Niederlage: Mit ihrem bisher schlechtesten Ergebnis in Nordrhein-Westfalen muss Hannelore Kraft das Amt des Ministerpräsidenten dem CDU-Herausforderer Armin Laschet überlassen. Der hat mehrere Optionen.

Düsseldorf - Durch die Gassen der Düsseldorfer Altstadt dröhnt aus der Kneipe „Meilenstein“ die Stadionhymne „You’ll never walk alone“ – Du gehst niemals allein. Die Fortuna hat den Fall in die dritte Fußball-Liga soeben verhindert. Gleich nebenan, im Quartier Bohème, hat die SPD ihre Anhänger versammelt. Sie sollte die Hymne künftig zu ihrer Leitmelodie machen. Immer wieder muss sich die sozialdemokratische Gemeinde nach bitteren Niederlagen neu aufrichten – so wie an diesem Sonntagabend, als die Partei in Nordrhein-Westfalen ein historisches Desaster sozusagen im heimischen Stadion erlebt.

Das Bohème ist eine angesagte Eventstätte in der Altstadt. DJ-Größen legen an den Wochenenden für das Partyvolk auf. Doch die SPD bietet ausschließlich Abstiegsstimmung. Mit Totenstille nehmen die Genossen die Prognose und die erste Hochrechnung zur Kenntnis. Ihre Spielführerin Hannelore Kraft – sonst eine leidenschaftliche Anhängerin von Borussia Mönchengladbach – bahnt sich um 18.18 Uhr, tapfer beklatscht, einen Weg durch den Saal. Drei Minuten benötigt sie, um ihren Abschied als Landeschefin sowie als Bundesvize zu erklären. „Damit die NRW-SPD eine Chance auf einen Neuanfang hat.“ Die Betroffenheit steht dem Anhang ins Gesicht geschrieben. Tränen fließen, als Kraft sagt: „Ich habe mein Bestes gegeben, doch es hat nicht gereicht.“ Die SPD habe das Vertrauen der Menschen nicht wieder gewinnen können. Um 18.22 Uhr entschwindet sie mit Mann Udo gen Landtag. Es ist das abrupte Ende einer Ära bei der SPD in NRW.

Bei der CDU knallen die Sektkorken schon vor der Prognose

Derweil wird die CDU-Landeszentrale an der Wasserstraße unweit des Landtags zur Partyhochburg, notdürftig verschönert mit aufwendiger Dekoration. 2010 und 2012 hatte man hier schwere Pleiten unter Jürgen Rüttgers und Norbert Röttgen ertragen müssen. Diesmal knallten schon vor der Prognose die Sektkorken. Begrüßt wird der künftige Regierungschef Armin Laschet mit den obligatorischen „Armin, Armin“-Rufen. Nun steht es 3:0 für die CDU, gemessen an den Landtagswahlen 2017. Der Meistertitel bei den Bundestagswahlen ist zum Greifen nahe. Laschet, treuer Anhänger des Viertligisten Alemannia Aachen, hat das Spiel gedreht. Er hat in den letzten Minuten zur Konkurrentin aufgeschlossen und in der Nachspielzeit den Siegtreffer gesetzt. Der neue Landesvater ist ein umgänglicher Mann – aber kein Charismatiker. Selbst in den eigenen Reihen ist er anfangs zu harmlos erschienen. Doch holte er im Vergleich mit Kraft immer weiter auf.

Zudem hatte die CDU das richtige Gespür für die Themen: Staus und Sicherheit treibt die Menschen am meisten um – auf dieser Stimmungswelle ließ sich prächtig surfen. „Mehr Polizei. Weniger Einbrüche“, lautete ein Slogan. Sie schürten die Unsicherheit, dass man den Eindruck gewinnen musste, NRW sei ein „failed state“, ein gescheiterter Staat – das Ruhrgebiet eine einzige Stauzone und „No-go-Area“. Dabei produziert der Ballungsraum naturgemäß mehr Pendlerverkehr und mehr Kriminalität – schon wegen der Zuwanderung. Ignoriert wurde auch, dass die CDU in der Regierung von 2005 bis 2010 unter dem Motto „Privat vor Staat“ Tausende Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut hat. „Viele kleine Polizeiwachen wurden geschlossen“, empört sich ein Sozialdemokrat, „dann stellt sich der Laschet hin und macht einen auf Sicherheit“. Wie er den lädierten Ruf des Landes wiederherstellen will, hat Laschet selbst noch nicht bedacht.

Das Festhalten am Innenminister kommt Kraft teuer zu stehen

Seine Gegenspielerin hat zuletzt vieles gut gemacht. Kraft hatte ihre Schwächephase hinter sich gelassen: ein grausiges Jahr 2016 mit der Kölner Silvesternacht, mit gesundheitlichen Problemen und dem Verlust der Mutter. Im Wahlkampf präsentierte sich die Mülheimerin wieder als umtriebige Kümmerin. Die SPD-Familie zeigte sich geeint wie lange nicht. Diese Geschlossenheit könnte jetzt aber aufbrechen. Vor allem das Festhalten an Innenminister Ralf Jäger wird Kraft intern zum Vorwurf gemacht. Der umstrittene Jäger, von der CDU zum Pannenminister abgestempelt, war Krafts wunder Punkt. Zudem hat Kraft die SPD im Bund ausdrücklich gebeten, „bei der Wahl nur über Landesthemen entscheiden zu lassen“, wie sie im Quartier Bohème bekräftigt. „Ich habe diese Entscheidung getroffen und stehe dazu.“ Kurz: ihre Strategie führte ins Abseits.

Hannelore Sanchez Penzo, ein einfaches Parteimitglied seit 32 Jahren, spricht wohl für viele, wenn sie sehr kritisch mit Kraft umgeht: Die Niederlage sei das Ergebnis ihrer Politik. Jäger etwa hätte früh entlassen werden müssen, und die Bildungspolitik sei ein Desaster gewesen. Rot-Grün habe auf die falschen Kernthemen gesetzt. Damit ist auch der schwächelnde Koalitionspartner Grüne um Schulministerin Sylvia Löhrmann gemeint, die ebenso kein Spitzenamt der Partei mehr bekleiden will.

Laschet könnte sogar seine Lieblingsfarben schwarz gelb – die der Alemannia nämlich – realisieren, wenn es mit der FDP zum Bündnis reicht. Seine Anhänger in der CDU-Landeszentrale jubeln bei jedem Ergebnis, das die Linke unter der Fünf-Prozent-Marke zeigt. Sie wollen mit Mehrheit eindeutig eine CDU-FDP-Koalition.

Als „besonders furchtbar“ stuft ein Genosse diese Aussicht ein. Die Mülheimerin Hannelore Kraft will nur noch eine „gute Wahlkreisabgeordnete“ sein. Doch muss sie sich nicht mehr nach dem neuen Teamchef richten – sie hat sich ausgewechselt.