SPD-Partei und Fraktionschefin Andrea Nahles zeigt sich selbstkritisch Foto: dpa

SPD-Chefin Andrea Nahles analysiert die Fehler der Partei – und legt eine neue Strategie vor. Sie treibt die Frage um, wie die Sozialdemokraten wieder als Alternative zur Union erkennbar werden können.

Berlin - Das muss man der SPD zugestehen: So schonungslos wie sie hat noch keine regierende Partei die eigenen Defizite benennen lassen. Auf gut 100 Seiten hat eine Expertengruppe das historisch schlechte Abschneiden der Genossen bei der Bundestagswahl aufgearbeitet. Der Befund, der alle Ebenen der Parteiarbeit betrifft und über den am Montag erstmals in den Parteigremien diskutiert wurde, könnte verheerender kaum sein.

Es fehlte demnach vor der Bundestagswahl an allem. So habe es keinerlei schlüssige strategische Konzepte gegeben, klare Botschaften wurden ebenso vermisst wie eine professionelle Kampagnenführung. Die Reichweite sozialer Medien sei völlig unterschätzt, der Pflege der digitalen Kanäle eine viel zu geringe Bedeutung beigemessen worden. Und natürlich habe es sich als „Kardinalsfehler“ herauskristallisiert, dass mit Martin Schulz ein völlig unvorbereiteter Kandidat ins Rennen geschickt wurde, der trotz anfänglicher Euphorie gemeinsam mit einem überfordertem Team in unzähligen taktischen Wendungen jegliche Orientierung habe vermissen lassen. Keiner habe am Ende noch gewusst, wofür die SPD eigentlich stehe und was „mehr Gerechtigkeit“ eigentlich bedeuten solle.

Nahles fordert mehr Ordnung

SPD-Chefin Andrea Nahles wird der Bericht kaum überraschen, sie hat die Situation nie beschönigt. Für Nahles ist die Aufarbeitung des fünfköpfigen Teams unter Leitung des ehemaligen „Spiegel“-Korrespondenten und langjährigen SPD-Berichterstatters Horand Knaup deshalb ein willkommenes Dokument, um es jenen vorzuhalten, die, wie sie zu sagen pflegt, „den Schuss nicht gehört haben“.

Nahles zieht auch schon erste Konsequenzen. So will sie nach drei „Sturzgeburten“ bei der Kür des Kanzlerkandidaten die Frage vor der Bundestagswahl 2021 frühzeitig entscheiden. „Wir wollen die Spitzenkandidatur früher und geordneter klären“, sagt sie. Wann das sein soll, verrät sie freilich noch nicht. Die Autoren des Berichts, unter ihnen der erfahrene Kampagnenprofi Frank Stauss, empfehlen als Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Werbekampagne einen Vorlauf von mindestens eineinhalb, „besser zwei Jahren“. So chaotisch wie die letzten drei Male dürfe es jedenfalls nicht mehr zugehen, wenn die Partei überleben wolle.

Neue Zukunftspläne für die Sozialdemokraten

Im September 2008 wurde Frank-Walter Steinmeier nach dem Rücktritt des damaligen Vorsitzenden Kurt Beck viel früher als geplant zum Kandidaten ausgerufen. Peer Steinbrück geriet vier Jahre später unter der Regie von Parteichef Sigmar Gabriel völlig überstürzt in die Rolle des Jägers von Kanzlerin Angela Merkel, weil Steinmeier in einer Hintergrundrunde mit Journalisten zuvor ausgeplaudert hatte, dass es auf Steinbrück hinauslaufe. 2017 schließlich rief Gabriel per „Stern“-Interview Schulz, der davon selbst erst zwei Tage zuvor erfahren hatte, zum Kandidaten aus und düpierte damit selbst seine engsten Vertrauten im Willy-Brandt-Haus. In allen drei Fällen gab es keinerlei Konzeption für den Ernstfall. In der Parteizentrale arbeiteten unterschiedliche Machtzentren eher gegen- als miteinander.

Viel mehr noch als die Kandidatenkür treibt Nahles die Frage um, wie die SPD wieder als Alternative zur Union erkennbar werden kann. „Haltung braucht Klarheit“, sagt sie. Leichter gesagt als umgesetzt in einer Partei, in der bei wichtigen Themen wie der Flüchtlingsfrage, dem Klimaschutz oder in der Russlandpolitik die Positionen teilweise schon seit Jahren nicht mehr zur Deckung gebracht werden können. Nahles will darüber hinaus auch den eigenen „Ideenvorrat wieder auffüllen“. Die SPD sei programmatisch ausgezehrt, müsse neue Zukunftspläne im Zeitalter der Digitalisierung entwickeln.