Abgekämpft und enttäuscht: Nils Schmid, Rolf Gaßmann und Marcela Quintana de Koehler in der Alten Kanzlei Foto: Lichtgut/Julian Retig

Die SPD hat in Stuttgart ihr bisher schlechtestes Wahlergebnis bei einer Landtagswahl eingefahren. Von Party konnte daher in der Alten Kanzlei keine Rede sein. Stattdessen gab es tröstende Worte von Nils Schmid und Applaus für die geleistete Kärrnerarbeit.

Stuttgart - Passender hätte der Nachtisch gar nicht sein können: Sauerkirschen zu Mousse. Rot wie die Parteiflagge und so sauer wie etliche der Genossen in der Alten Kanzlei bei der Wahlparty der SPD.

 

Aber was heißt hier Party? Trauerkreis mit Wundenlecken wäre passender. Schließlich hatten die Stuttgarter Sozialdemokraten am Sonntag ihre bisher größte Niederlage bei einer Landtagswahl zu verkraften. 11,9 Prozent, rund acht Prozentpunkte weniger als 2011, als das Thema Stuttgart 21 das Klima bei der Landtagswahl entscheidend beeinflusst hatte. Höhenflüge hatte niemand erwartet, doch um 17.30 Uhr, bei Bier und Rotwein, hofften die Genossen noch. „Die Bildungspolitik der SPD war gut, und sie hat in der Landesregierung gute Arbeit geleistet“, sagt Jasmin Brauns, die mit Freunden auf die Hochrechnungen wartet. Karl-Stephan Quadt, früher Bezirksbeiratsmitglied in Mitte und ehemals Universitätsangehöriger, lobt die Abschaffung der Studiengebühren.

Genossen reden sich gut zu

Auch Stadträtin Dr. Maria Hackl hat noch Wünsche: „Wir haben gekämpft, und es wäre bitter, wenn wir nicht belohnt werden würden.“ Ergun Can, Urgestein der Stuttgarter SPD und als Sohn türkischer Einwanderer ein Musterbeispiel für gelingende Integration, hat, so sein Wahlkampfteam, in seinem Wahlkreis auf den Fildern wöchentlich an 300 bis 400 Wohnungstüren geklingelt, aber „wenig Interesse an Themen“ vorgefunden, „alles hat sich nur um Flüchtlinge gedreht“, sagt Can. Dabei hätte er lieber über Bildung und Teilhabe diskutiert, „weil ich es nur wegen der SPD-Regierung von Willy Brandt zu dem gebracht habe, was ich heute bin.“ Stadtrat Hans H. Pfeiffer schwante am Wahlabend nichts Gutes: „Gegen den Kretschmann-Hype kam zuletzt keiner an.“

„Jetzt ist die Wahl entschieden und für Stoßgebete ist’s zu spät“, winkt der ehemalige Dekan und SPD-Stadtrat Hans-Peter Ehrlich ab – und da rauben die ersten Hochrechnungen den Genossen auch schon den Atem. Landesweit zehn Prozentpunkte verloren und bei 13 Prozent der Stimmen gelandet – das nimmt Rolf Gaßmann schwer mit. Der aussichtsreichste SPD-Kandidat aus Stuttgart ist frustriert: „Dieses Ergebnis ist furchtbar!“ Die SPD sei „unter Wert“ aus dem Wahlkampf herausgekommen, unter anderem, weil Kretschmann mehr als Nils Schmid im Schaufenster gestanden habe. „Es ist wie bei James Bond: Alle kennen Daniel Craig, aber keiner den Regisseur“, sagt Gaßmann.

Andere denken mit Grausen bereits an das, was nach der Wahl kommt. Ruth Weckenmann, die ihre Schwester und Kandidatin Marion von Wartenberg (Wahlkreis III, Nord) in die Alte Kanzlei begleitet hat, ärgert sich mächtig: „Wenn ich bedenke, dass jetzt solche von der AfD im Landtag sitzen, meine Schwester aber nicht . . .“, und lässt den Satz ohne Ende ausklingen.

Ehre für die SPD

Finanzminister Nils Schmid spricht von einem „bitteren Tag“, einem „schmerzlichen Ergebnis“ und lobt den Einsatz der Wahlkämpfer und Wahlhelfer als „Ehre für die SPD“ und erntet mächtigen Applaus, während Stadträtinnen dunkle Wolken aufziehen sehen: „Sie können sich ja vorstellen, wie hämisch sich der von der AfD im Gemeinderat geben wird.“ Den Nachtisch lassen einige links liegen. Rot und sauer, das sind sie besonders an diesem Abend selbst.