Autos wurden in der Region Valencia wie Spielzeug zusammen geschoben. Foto: AFP/JOSE JORDAN

„Kalter Tropfen“ kostet in Spanien mindestens 95 Menschen das Leben. Weitaus mehr Opfer sind zu befürchten, um viele Vermisste wird noch gebangt. Rund 1200 Menschen saßen nachts über im Auto fest – dreitägige Staatstrauer.

Nach der Unwetterkatastrophe mit mindestens 95 Toten wird in Spanien die Suche nach Leichen, Vermissten und von der Außenwelt abgeschnittenen Menschen fortgesetzt. Wegen der Dunkelheit mussten allerdings viele Aktivitäten bis Tagesanbruch unterbrochen werden.

 

Unter den Toten sind nach spanischen Medienberichten mindestens vier Kinder und sechs Senioren aus einem Pflegeheim. Es wird befürchtet, dass die Zahl der Opfer weiter steigt. Eine offizielle Gesamtzahl der Vermissten lag nicht vor. „Ich bekomme wechselnde Infos. Die Todeszahlen tanzen“, sagte die Bürgermeisterin einer betroffenen Gemeinde mit Dutzenden von Vermissten zu den Medien.


Staatstrauer nach Spanien-Unwetter

Tausende Menschen, die in Fahrzeugen, Häusern und Dörfern ausharren, sind auf Hilfe angewiesen. Besonders schlimm ist die Lage in der bei Urlaubern beliebten Region Valencia, wo 92 der bislang 95 bestätigten Toten geborgen wurden. Aber auch andere Mittelmeerregionen wie Andalusien und Murcia sowie Kastilien-La Mancha sind schwer betroffen. Die Zentralregierung in Madrid rief für Donnerstag eine dreitägige Staatstrauer aus. Zugleich sicherte sie den Betroffenen schnelle Hilfe beim Wiederaufbau zu.

In der Nacht blieben zahlreiche Autobahnen und Landstraßen unpassierbar. Auch der Bahnverkehr war stark beeinträchtigt. Rund 115.000 Haushalte waren ohne Strom, zudem gab es weiterhin Probleme mit Handyverbindungen.

Aufräumarbeiten in Valencia. Foto: AFP/JOSE JORDAN

Nach Spanien-Unwetter im Auto gefangen

Ein Sprecher der Polizeieinheit Guardia Civil schätzte am Abend, dass auf den Autobahnen A3 und A7 noch 1.200 Menschen in Autos, Bussen oder Lastwagen festsaßen. Es gebe aber auch viele, die ihre Fahrzeuge nicht verlassen wollten, hieß es. In Valencia steckten demnach 5.000 Fahrzeuge fest, die zum Teil von ihren Fahrern und Insassen verlassen worden seien.

Auch in Zügen, Häusern, Büros, Schulen und Einkaufszentren sitzen seit Dienstagabend mehrere tausend Menschen fest. Andere suchten Schutz auf Autodächern oder in Häusern. Sie wurden am Mittwoch von tausenden Einsatzkräften von Militär, Zivilschutz, Feuerwehr und Polizei zum Teil mit Hubschraubern und Booten in Sicherheit gebracht.

„Jahrhundert-Unwetter“ in Spanien?

Was hat die Katastrophe ausgelöst? Nach extrem starken Regenfällen - mancherorts fiel an einem Tag so viel Regen wie sonst in einem ganzen Jahr - waren am Dienstag immer mehr Flüsse über die Ufer getreten. Der Wetterdienst Aemet sprach von einem historischen Unwetter“, dem schlimmsten in diesem Jahrhundert in der Region Valencia.

Hier fiel in Spanien der meiste Regen. Foto: StZN/Locke/dpa

Unzählige Straßen verwandelten sich in Windeseile in reißende Flüsse. Gebäude und Felder wurden überschwemmt. Straßen, Häuser und kleinere Brücken stürzten ein. Bäume, Container, Autos, Lastwagen und Menschen wurden wie Spielzeug von den Wassermassen mitgerissen. Fahrzeuge wurden ineinander geschoben und zu Trümmerbergen aufgetürmt.

Im Spanien-Unwetter mitgerissen

Überlebende berichteten von schrecklichen Erlebnissen. Ein 57-Jähriger erzählte der Zeitung „El País“, er habe sich in Paiporta nahe der Provinzhauptstadt Valencia in einen Bauwagen geflüchtet und von dort aus mehreren Menschen im Wasser helfen wollen. „Ich hielt sie an der Hand, aber die Strömung war so heftig und schnell, dass wir getrennt wurden und sie von der Flut mitgerissen wurden“.

Obwohl das ganze Ausmaß der Tragödie noch nicht bekannt ist und die Such- und Rettungsarbeiten noch einige Zeit andauern werden, hat in Spanien bereits eine Debatte über mögliche Schuldige begonnen. In den Medien und im Internet wurde diskutiert, ob die Behörden die Bevölkerung früher oder besser hätten warnen müssen.

Entsprechende Kritik kam unter anderem von mehreren Rathauschefs. Immerhin habe man gewusst, dass das Wetterphänomen „Dana“ oder „Kalter Tropfen“ gefährlich sein kann. Es tritt gehäuft im Süden und Osten Spaniens im Frühherbst auf, wenn sich die ersten atlantischen Tiefausläufer mit feuchtkalter Luft über das warme Mittelmeer schieben.

Unwetter-Regionen in Spanien

  • Valencia
  • Andalusien
  • Murcia
  • Kastilien-La Mancha
  • Katalonien
  • Balearen mit Mallorca (abklingend)

Pedro Sánchez und das Spanien-Unwetter

Spaniens linker Ministerpräsident Pedro Sánchez (PSOE) ist nach Korruptionsskandalen angeschlagen und könnte versucht sein, mit dem Hochwasser politisch zu punkten – wie jüngst Donald Trump in North Carolina oder Gerhard Schröder 2002 an der Oder. Er wurde am Donnerstag im Katastrophengebiet rund um Valencia erwartet.

Die konservative Regionalregierung und Experten wiesen die Vorwürfe jedoch zurück. Man könne solche „brutalen Folgen“ nicht vorhersagen, weil sie von verschiedenen Faktoren abhingen, sagte etwa der Meteorologe Francisco Martín León der Nachrichtenagentur Europa Press. Der Wetterdienst Aemet habe mit Unwetterwarnungen der Stufen drei (gelb), zwei (orange) und eins (rot) ausreichend und rechtzeitig informiert.

Spanien-Unwetter noch nicht überstanden

Am Donnerstag soll sich das Wetter bessern. Unwetterwarnungen gelten weiterhin für Teile Andalusiens und der Extremadura im Westen sowie für Teile Kataloniens im Nordosten des Landes. Die vorhergesagten Niederschlagsmengen könnten geringer ausfallen als in Valencia. Die Katastrophe ist aber noch lange nicht überstanden, wie die Behörden immer wieder warnen.

(Mit Agenturmaterial)