Die Republik ergraut. Foto: dpa/Patrick Pleul

Wie zukunftsfähig ist Deutschland? Die Bevölkerung altert – und noch ist unklar, wie die Sozialsysteme sicher finanziert werden können.

Die Bundesrepublik steht vor einer der größten gesellschaftlichen Herausforderungen ihrer Geschichte: Die Bevölkerung altert, die Erwerbsbevölkerung schrumpft, und die sozialen Sicherungssysteme geraten zunehmend unter Druck.

 

Wie gut ist Deutschland darauf vorbereitet – und wie steht das Land im internationalen Vergleich da? Folgt man der Wirtschaftsweisen Monika Schnitzer, dann ist der Handlungsbedarf riesig: „Wir müssen uns auf jeden Fall mit den Sozialversicherungen beschäftigen. Die sind nicht zukunftsfest.“

Demografischer Wandel

Die deutsche Bevölkerung wächst zurzeit dank hoher Nettozuwanderung leicht und lag Ende 2024 bei rund 83,6 Millionen Menschen. Doch langfristig ist der Trend eindeutig: Selbst bei moderater Zuwanderung wird die Bevölkerungszahl bis zum Jahr 2070 stagnieren oder sogar sinken.

Entscheidend ist jedoch nicht die absolute Zahl, sondern die Altersstruktur. Die Zahl der Senioren steigt bis zum Jahr 2040 um rund 37 Prozent auf etwa 21,5 Millionen Menschen, während das Erwerbspersonenpotenzial um sechs Prozent sinkt. Besonders betroffen sind ostdeutsche Regionen, in denen die Bevölkerung im Erwerbsalter in den nächsten 20 Jahren um bis zu 1,2 Millionen Menschen abnehmen wird.

Die Geburtenrate bleibt niedrig, während die Lebenserwartung weiter steigt – die Gesellschaft altert und schrumpft gleichzeitig. Das hat dramatische Folgen für die sozialen Sicherungssysteme, die im Kern vom Geld der arbeitenden Bevölkerung leben. Deren Anteil wird immer kleiner – und die Wirtschaft brummt nicht mehr wie früher.

Kranken- und Pflegeversicherung

Wenn mehr alte Menschen in einem Land leben, steigt der Bedarf an medizinischer Versorgung und Pflegeleistungen, während gleichzeitig die Zahl der Beitragszahler in den kollektiven Sicherungssystemen abnimmt. Schon jetzt ist absehbar, dass in Deutschland bis zum Jahr 2049 mindestens 280 000 zusätzliche Pflegekräfte benötigt werden. Um deren Jobs attraktiv zu machen, müssen sie ordentlich entlohnt sein.

Monika Schnitzer ist Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Foto: IMAGO/IPON

Die Finanzierungslücken in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung werden in den kommenden Jahren stark wachsen. Die Euro-Rücklagen dieser Versicherungen sind bereits arg geschrumpft. Um die Defizite auszugleichen, sind Kostensenkungen, Beitragserhöhungen und größere Zuschüsse aus der Steuerkasse unabwendbar. Ausreichend vereinbart sind sie bisher nicht.

Rentensystem

Die Zahl der Rentner ist seit dem Jahr 1993 von etwa 15 Millionen auf knapp 21 Millionen gestiegen. Weil sie im Schnitt länger leben, beziehen Rentner heute auch länger Rente. Gleichzeitig müssen immer weniger Erwerbstätige für diese Rentner aufkommen. Es ist offensichtlich, dass dies auf Dauer nicht gut gehen kann.

Zurzeit wird die Rentenversicherung stabilisiert, weil sie mehr als hundert Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt bekommt. Das aber ist nicht beliebig ausbaubar. „Wenn die Regierung nichts tut, wird der Kollaps unweigerlich kommen“, sagt die Wirtschaftsexpertin Monika Schnitzer voraus.

Internationaler Vergleich

Andere Länder haben entschlossener als Deutschland auf den demografischen Wandel reagiert. Österreich zum Beispiel erzielt mit einem verpflichtenden Umlagesystem für alle Berufsgruppen ein deutlich höheres Rentenniveau.

Skandinavische Staaten kombinieren Umlage- und Kapitaldeckungsverfahren und binden alle Erwerbstätigen in die Finanzierung ein.

Norwegen füllt mit seinem Öl-Geld einen Staatsfonds, dessen Renditen die sozialen Sicherungssysteme abstützen. Dänemark hat gerade die Rente mit 70 beschlossen – mit einem dynamischen Renteneintrittsalter. Wer heute 25 Jahre alt ist, wird voraussichtlich erst mit 74 Jahren die Altersversorgung in Anspruch nehmen können.

Reformstau in Deutschland

Die deutsche Sozialpolitik leidet unter chronischer Verschieberitis. Obwohl die Probleme seit vielen Jahren bekannt sind, haben die wechselnden Bundesregierungen dabei versagt, sie an der Wurzel zu packen.

Der Reformstau erhöht die akuten Lasten in den Sicherungssystemen genauso wie die Folgekosten für kommende Generationen. „Der Sozialstaat, wie wir ihn heute haben, ist mit dem, was wir volkswirtschaftlich leisten, nicht mehr finanzierbar“, hat der aktuelle Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) festgestellt – und für diesen Satz viel Widerspruch erhalten, insbesondere von seinem Koalitionspartner SPD. Eine Vielzahl von Kommissionen soll nun Ideen für „grundsätzliche“ (Merz) Reformen entwickeln.

Der deutschen Sozialstaatsdebatte mangelt es aber nicht an Vorschlägen, sondern an politischem Willen, auch schmerzhafte Reformen umzusetzen.