Das Sozialgericht Stuttgart informierte über die neuesten Entwicklungen Foto: dpa

Das Sozialgericht Stuttgart zieht Bilanz. Die Zahl der bearbeiteten Verfahren liegt im ersten Halbjahr 2015 über den neu eingehenden Klagen – trotz einer hohen personellen Fluktuation.

Stuttgart - Ganz flach liegt die Hündin mit ihrer neongelben Warnweste auf dem Teppichboden in einem Sitzungssaal des Stuttgarter Sozialgerichts. Ihre Schnauze zuckt, mit ihren dunklen Augen blickt sie in die Zuschauerrunde. Was die Hündin in diesem Moment vermutlich nicht ahnt: die Verhandlung an diesem Vormittag dreht sich um sie. Als Welpe absolvierte sie eine spezielle Ausbildung auf einem Gut am Chiemsee zur Behindertenbegleiterin, seit zweieinhalb Jahren hilft sie ihrer neuen Besitzerin, die aufgrund einer Muskelerkrankung auf den Rollstuhl angewiesen ist und nicht mehr kraftvoll greifen kann. Keine Frage, das Tier ist eine große Unterstützung im Alltag. Es ersetze ihr „ein Stück weit Arme und Beine“, bringt die Frau vor Gericht vor.

Prozess um Behindertenbegleiter

In einer mündlichen Verhandlung trifft die Frau an diesem Vormittag auf ihre Krankenkasse, die ihr die Anschaffungskosten für den Vierbeiner in Höhe von knapp 12 300 Euro erstatten soll. Doch am Ende weist die Kammer die Klage ab. Das Problem: Bereits im Juni 2011 leistete die Frau eine Anzahlung an das Tierpsychologie- und Tierschulungszentrum, aber erst im Dezember 2011 stellte ihr ein Arzt eine medizinische Verordnung für den Helfer mit Pfoten aus. Die Krankenkasse lehnte die Kostenübernahme im Februar 2012 ab, die Klägerin holte sich die Hündin trotzdem. Sie finanzierte mehr als 2300 Euro der 12 300 Euro selbst, der Rest kam dank Stiftungen und Spenden zusammen. Danach forderte sie den Betrag von ihrer Krankenkasse zurück – am Ende ohne Erfolg. Das Sachleistungsprinzip der Krankenversicherung erfordere, „dass eine Sachleistung zuerst beantragt werden muss, bevor man sie sich beschafft“, sagte die Richterin in ihrer Urteilsbegründung. Im vorliegenden Fall habe mehr als ein halbes Jahr dazwischengelegen. „Der notwendige Kausalzusammenhang fehlt daher.“

Streitwert mancher Fälle liegt unter 2000 Euro

Ähnliche Verfahren gibt es am Sozialgericht Stuttgart immer häufiger. 680 der 3097 neuen Klagen, die im ersten Halbjahr dieses Jahres eingegangen sind, betreffen den Bereich der Krankenversicherung. Häufig sind es Krankenhausträger, die sich mit den Krankenkassen um die Länge eines stationären Aufenthalts von Patienten und die dadurch anfallenden Kosten streiten. „Diese Fälle im Bereich der sogenannten Leistungserbringung haben in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Da wird teilweise schon um Beträge gestritten, die unter 2000 Euro liegen“, sagte der Präsident des Sozialgerichts Stuttgart, Michael Endriß. Vor zehn Jahren habe es dies in dieser Form noch nicht gegeben. Das belegen auch die Zahlen: in der ersten Hälfte 2006 trafen 243 Krankenversicherungsklagen ein.

Weitere inhaltliche Schwerpunkte der im ersten Halbjahr 2015 eingegangenen Klagen sind die Bereiche Rentenversicherung (561) und Arbeitslosengeld- und Hartz-IV-Angelegenheiten (553). Mit den insgesamt 3097 neuen Verfahren von Januar bis Juni dieses Jahres habe sich die Zahl der Eingänge im Vergleich zum gleichen Zeitraum des vergangenen Jahres (3174) „auf einem hohen Niveau gefestigt“, sagte Endriß.

Sozialgericht baut Bestand an Klagen leicht ab

Erfreulich aus Sicht des Sozialgerichtspräsidenten ist, dass in der ersten Hälfte dieses Jahres mehr Verfahren erledigt wurden als eingingen. Die Kammern haben dadurch nur noch 7495 Klagen (Stand: 30. Juni 2015) auf ihren Schreibtischen liegen. Zum gleichen Zeitpunkt des vergangenen Jahres waren es noch 7668 gewesen. „Wir konnten den Bestand weiter abbauen“, sagte Endriß. Und das, obwohl sich der Personalstand der Kammern von Juni 2014 bis heute um 2,5 Stellen verringert hat. Eine Kammer ist derzeit gar nicht besetzt, andere arbeiten nur in Teilzeit.

Hinzu kommt eine hohe personelle Fluktuation. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres habe es bereits in acht Kammern einen Vorsitzendenwechsel gegeben. Die Gründe dafür seien oft eine Elternzeit oder ein neue berufliche Perspektive. „Die Wechsel bringen etwas Sand ins Getriebe“, sagte Endriß. Dennoch sank die durchschnittliche Verfahrensdauer zuletzt von 14,4 auf 13,9 Monate.

Nachwuchsgewinnung wird immer schwieriger

Beim Blick in die Zukunft macht sich Endriß etwas Sorgen. Es sei schwieriger geworden, guten Nachwuchs zu rekrutieren, erklärte er. Den Grund sieht er vor allem darin, dass die baden-württembergische Landesregierung die Besoldung für Einsteiger in den ersten drei Berufsjahren um acht Prozent gekürzt hat. Nur im Saarland verdienen junge Richter und Staatsanwälte noch weniger als im Südwesten. „Das ist eine missliche Situation“, sagte Endriß, „die Einsteiger bei uns werden voll belastet. Es ist überfällig, die Besoldung wieder anzuheben.“