Allein 150 Ehrenamtler arbeiten darauf hin, dass das größte Fest für Bedürftige im Land gelingt: der Stall. Zwei Tage lang werden rund 1600 Bedürftige bewirtet und beschenkt.

S-Mitte - Was es bedeutet, an zwei Tagen 1600 Gäste zu bewirten, veranschaulicht das Geschirr. An Heiligabend werden Saitenwürstchen mit Kartoffelsalat auf Einwegtellern serviert. Am ersten Weihnachtsfeiertag kommt das Essen hingegen auf Porzellantellern auf den Tisch. „Wir würden es einfach nicht schaffen, diese Mengen Geschirr über Nacht zu spülen“, sagt Peter Meyer. Er ist bei der Evangelischen Gesellschaft, kurz Eva genannt, oberster Verantwortlicher für den Stall – das zweitägige Weihnachtsfest für Bedürftige, des größten im Land.

Allerdings ist Meyer nur die Unruhe im Uhrwerk. Das besteht aus rund 150 ehrenamtlichen Helfern, die sich an Weihnachten direkt am Fest beteiligen und ungezählten, die das ganze Jahr über am Gelingen arbeiten. Gabriele Junker und Ingrid Gube sind zwei von ihnen. Die beiden Frauen stehen im schummrigen Licht eines Zimmers, in dem sich Kartons und Klamotten stapeln, auf Tischen, Schränken, Regalen, Kleiderständern, alles gespendet. Junker und Gube sortieren aus, was zu groß ist, um in eine Tasche von der Größe einer Einkaufstüte zu passen.

500 von ihnen, bestückt mit weihnachtlichen Gaben, werden sie zu Heiligabend gepackt haben. Sie werden nach dem Gottesdienst in der Leonhardskirche verteilt, samt einer Rose. Was übrig bleibt, bekommt die Kleiderkammer der Neuen Arbeit oder die Wärmestube gleich nebenan. Seit mehr als zehn Jahren entpacken, falten, sortieren die beiden Frauen schon in dieser Kammer. „Einfach, weil es Freude macht, anderen Menschen eine Freude zu machen“, sagt Junker. In der Adventszeit sind sie fast jeden Tag hier, aber „die Stunden zählen wir nicht“.

Die Besonderheit sind nicht die Geschenke

Die Besonderheit sind nicht die Geschenke, nicht der Fanschal von Borussia Mönchengladbach, die Schlafsäcke im Regal, die Sportschuhe, die azurblau aus der Ecke heraus leuchten. Die Besonderheit ist die Zuneigung für die Beschenkten. Ein großer Teil der wärmenden Kleider ist gestrickt von Frauenhand. Das ganze Jahr über lassen Strickkreise dafür die Nadeln klappern. Die Empfänger spüren, „hier sind Menschen am Werk, die tun was für uns“, sagt Meyer. Jemand denkt an sie, schätzt sie. „Das sind keine Almosen“, sagt Meyer, der Stall, „das ist ein wunderbares warmes Vollbad für unsere Gäste“. Mit 200 von ihnen hat der Stall vor 70 Jahren begonnen. Daran, dass die Zahl einmal gegen 2000 strebt, war nie gedacht worden.

Seit Montag ist das komplette Haus der Eva umgeräumt worden. Die zwei Säle samt aller anderen Räume, die dafür taugen, sind für die festliche Bewirtung gerüstet. Morgen wird auf dem Adventskranz gleich hinter dem Eingang die vierte Kerze entzündet. Alles im Gebäudeblock an der Büchsenstraße soll ein leuchtendes Willkommen verheißen. Nichts soll auf Anstrengung hindeuten, Mühsal oder Last.

Tatsächlich bringt der Stall die Evangelische Gesellschaft inzwischen an die Grenzen des Leistbaren. Drei Monate dauern die Vorbereitungen. „Eine solche Veranstaltung könnten wir kein zweites Mal im Jahr stemmen“, sagt Meyer. Nicht nur des Arbeitsaufwands wegen. Die Würstchen für den Heiligen Abend spendiert ein Gönner, rund 800 Portionen Kartoffelsalat müssen gekauft werden. Das gespendete Gebäck wird in diesem Jahr auch nicht ausreichen. Mehr als 20 000 Euro kostet der Stall Jahr um Jahr. Rund 8000 Euro sind diesmal mit Spenden finanziert. „Das ist eben das Problem von Sozialunternehmen“, sagt Meyer, „bei jedem anderen steigt zumindest der Umsatz, wenn es mehr Kunden hat“. Bei der Eva schwindet der Ertrag.

Die Küche ist nur noch einen Tag im Jahr in Betrieb

Die Küche im Hinterhaus ist eigentlich längst eingespart. Sie wird nur noch als Umschlagplatz für angeliefertes Essen benutzt, 200 Mahlzeiten täglich – mit Ausnahme eines Tages im Jahr. Am ersten Weinachtsfeiertag wird das Küchenpersonal des Rudolf-Sophien-Stifts die Gäste bekochen, ebenfalls im Ehrenamt. Im Moment wird Kleingeld sortiert. Zwei Euro zahlen Bedürftige hier für eine warme Mahlzeit, den Selbstkostenpreis. Nebenan im Saal feiert die Begegnungsstätte für Ältere ihr Vorweihnachtsfest bei Kaffee, Gebäck und Gesprächen.

„Evas Stall ist eigentlich nur das Ziel, auf das wir Jahr um Jahr hinarbeiten“, sagt Meyer. Gemeint ist, dass er nur das Fest zum Schluss eines arbeitsreichen Jahres ist, auch für die Ehrenamtler. Ohne sie wäre die Evangelische Gesellschaft ohnehin längst pleite. So sehen es alle, gleich ob im Haupt- oder Ehrenamt: Sie feiern Weihnachten nicht mit ihren Familien oder Freunden. Sie feiern mit den Bedürftigen, denen sie das ganze Jahr über zu helfen versuchen. Sie alle „verzichten auf Weihnachten“, sagt Meyer, auch er selbst lässt seine Frau zum Fest allein. Allerdings nicht im Sinne von Verzicht: „Der Stall, das ist mein Weihnachten.“