In Deutschland liegt die Reichweite von Twitter täglich bei rund 1,4 Millionen Menschen. Foto: IMAGO/Zoonar/IMAGO/Zoonar.com/rafapress

Für Abgeordnete und Regierende ist die Plattform wichtig, umso größer ist die Sorge, dass Twitter von Elon Musk zugrunde gerichtet wird – denn Alternativen sind weniger attraktiv.

Donald Trump ist schon auf Twitter zurück. Nun kommen auch die Hetzer und Trolle wieder. So ist jedenfalls die Generalamnestie zu verstehen, die der neue Twitter-Eigentümer Elon Musk am Donnerstag verkündet hat. Danach sind gesperrte Accounts wieder zugelassen, sofern sie nicht mit ihren Tweets gegen Gesetze verstoßen haben. Einer weiteren Zunahme von Falschmeldungen und Hass-Tweets ist damit wahrscheinlich.

Eigentlich hatte Musk Ende Oktober die Einrichtung eines Rats verkündet, der den Umgang mit kontroversen Inhalten und Accounts regeln sollte. Dann hat der sprunghafte Milliardär mit der direkten Befragung der Twitter-User ein neues – fragwürdiges – Instrument eingesetzt, denn die Befragung ist nicht repräsentativ und kann von Bots, also automatisierten Accounts, manipuliert werden. Inwieweit dies Einfluss genommen hat, ist unklar. Glasklar ist aber das Ergebnis: 72,4 Prozent der Teilnehmer stimmten für eine Reaktivierung der gesperrten Accounts. Für Donald Trumps Rückkehr fand sich mit 51,8 Prozent eine knappere Mehrheit. Da viele Werbekunden aufgeschreckt auf die Veränderungen bei der Plattform reagieren und Twitter sich zu 90 Prozent aus Werbeeinnahmen finanziert, ist die Zukunft Twitters ungewiss.

Bedeutender Ort öffentlicher Debatte und Meinungsbildung

Das ist keine Privatsache des Elon Musk. Im Jahr 2021 belief sich die Zahl der weltweiten Twitter-Nutzer auf 362,6 Millionen. In Deutschland besuchen nach einer aktuellen Untersuchung monatlich 22 Prozent der Internetnutzer zwischen 16 und 64 Jahren Twitter, täglich liegt die Reichweite bei rund 1,4 Millionen Menschen. Obwohl Twitter hierzulande kein Massenphänomen ist, ist es doch ein sehr bedeutender Ort öffentlicher Debatte und Meinungsbildung. Deshalb schaut die Politik genau auf das, was gerade auf und mit Twitter passiert.

83 Prozent der Abgeordneten des Deutschen Bundestags haben (Stand: Januar 2022) einen Twitter-Account. Im September 2017 hatte die Quote erst bei 60 Prozent gelegen. Zusammen haben sie bisher rund 1,6 Millionen Tweets gesendet, und im Durchschnitt erreicht jeder und jede von ihnen 15 500 Follower. Am höchsten ist die Twitter-Quote mit 94 Prozent bei den Grünen, auch FDP und Linke liegen über 90 Prozent. Die größten Twitter-Muffel sind die Unionsabgeordneten mit 71 Prozent.

Karl Lauterbach ist der Twitter-König der Politik

Abgeordnete benutzen Twitter, um sich in aktuelle Debatten einzuschalten, aber auch die Regierung und ihre Ministerien nutzen Twitter zum Erläutern ihres Handelns. Dem Twitter-Account von Bundeskanzler Olaf Scholz folgen 611.000 Menschen. Der Twitter-Star unter den Politiker ist mit Abstand Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mit einer Million Followern. Viele Beobachter glauben, dass er seine Berufung zum Minister genau dieser Popularität auf Twitter zu verdanken hat.

Das ist nicht der einzige Hinweis auf die Bedeutung der Plattform. Wichtige gesellschaftliche Debatten werden hier ausgelöst, international etwa die unter dem Hashtag #metoo, die das Thema sexueller Übergriffe erörtert, national beispielsweise jene unter dem Hashtag #IchBinHanna, in der die lamentable Situation des akademischen Mittelbaus diskutiert wird.

Die Kehrseite der Plattform ist der schon vor Elon Musk rüder gewordene Umgangston auf Twitter. Der hat schon eine Reihe von Politikern zum Rückzug von Twitter bewogen. 2019 ging Robert Habeck, es folgten in diesem Jahr die SPD-Politiker Saskia Esken und Kevin Kühnert und Ex-Minister Jens Spahn (CDU). Sie alle verwiesen explizit auf die verkommende Debattenkultur bei Twitter.

Keine Anzeichen für Massenflucht

Kommt es nun zu einer Massenflucht? Das ist wenig wahrscheinlich. Zwar haben eine Reihe von Politikern nun auch einen Account auf Mastodon angelegt oder sind auch auf Instagram, Facebook oder Tiktok vertreten. Aber sie bieten keine echte Alternative zu Twitter. Der Essener CDU-Bundestagsabgeordnete Matthias Hauer (15 000 Follower auf Twitter) erklärt, warum das so ist: „Twitter ist nicht zu ersetzen. Instagram arbeitet mit Bildern, Tiktok mit Videos, aber das ist kein Ersatz für die schnelle Kommunikation auf Twitter.“

Gerade deshalb sieht Matthias Hauer mit Sorge auf die jüngsten Entwicklungen. „Twitter hat eben auch eine weltweite Bedeutung, indem es etwa auch ein Sprachrohr für die Unterdrückten in aller Welt ist.“ Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei, schaut ebenfalls besorgt auf Twitter. Er selbst ist zusätzlich erfolgreich auf Instagram unterwegs. Der Bundestagsabgeordnete findet es „gut, dass sich Internetplattformen künftig europaweit an einheitliche Regeln halten und gegen Hass und Fake News vorgehen müssen“.