Scarlett Johansson in „Lost in Translation“ von 2003: Früher war sie in Filmen oft mit Zigarette zu sehen, heute raucht sie nicht mehr. Foto: imago//Courtesy Everett Collection

Rauchen kann tödlich sein, das ist bekannt. Trotzdem qualmte zum Beispiel in den 60er Jahren noch fast jeder, egal wann und wo. Was ist seitdem passiert? Welche Rolle spielen Staat und Pandemie? Und: ist Rauchen wirklich aus der Gesellschaft verschwunden?

Es ist der 30. September 1976. Helmut Schmidt, der damalige Bundeskanzler, hockt in der Diskussionsrunde „Drei Tage vor der Wahl“. Zwischen seinem Zeigefinger und Mittelfinger klemmt locker eine Zigarette, von der kleine Rauchwölkchen aufsteigen, während er seine Gegner – Helmut Kohl, Franz Josef Strauß, Hans-Dietrich Genscher – zurechtweist. Die Diskussion ist hitzig. Schmidt allerdings qualmt genüsslich vor sich hin. Damals normal, heute undenkbar. Warum eigentlich?

Die Geschichte des Tabakkonsums

Im Vergleich zum Alkohol war Tabak hierzulande lange unbekannt. Er fand erst mit der Entdeckung Amerikas im Jahr 1492 den Weg nach Europa. Die indigene Bevölkerung schnupfte, kaute und rauchte ihn schon Jahrhunderte vor Christus, meist aus medizinischen und spirituellen Gründen. In Europa nutze man erst Schnupftabak, später Pfeife.

Der Siegeszug der Zigarette begann Mitte des 19. Jahrhunderts

Im 19. Jahrhundert kamen Zigarre und später die industriell gefertigte Zigarette hinzu. Letztere machte Rauchen dann massentauglich, die Kriege halfen zusätzlich. „Soldaten bekamen Zigarren und Zigaretten als Teil der Feldkost“, sagt Autor und Kulturwissenschaftler Dirk Schindelbeck. Sie wirkten beruhigend, unterdrückten Hunger. In den 1930er Jahren qualmten hierzulande 80 Prozent der Männer und 20 Prozent der Frauen. Nach dem Zweiten Weltkrieg seien die Glimmstängel sogar zur Währung geworden, da Geld nichts mehr wert war, so Schindelbeck.

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Das hat sich bei den Menschen eingebrannt und auf den Status der Zigarette ausgewirkt. In der Gesellschaft galt Rauchen als cool, gehörte zum Lebensstil, half Kontakte zu knüpfen, sagt Schindelbeck. „Politiker, Künstler, Schriftsteller, viele rauchten, immer und überall.“ So sei der Konsum ein Zeichen geistiger Arbeit gewesen, verbunden mit Weltoffenheit und Lebenskunst. Sogar Ärzte priesen das Rauschmittel zum Abnehmen oder gegen Asthma an. Dazu boomte besonders in den 50er und 60er Jahren die Tabakwerbung. Das HB-Männchen der gleichnamigen Zigarettenmarke erreichte sogar Kultstatus.

Rauchen ist heute oft stigmatisiert

Und heute? „Rauchen ist ein gesunkenes Kulturgut“, sagt Gunther Hirschfelder, Professor für Vergleichende Kulturwissenschaft an der Uni Regensburg. Lange war der Konsum ein Zeichen der Ober-, später auch der Mittelschicht. Heute sei Rauchen in vielen gesellschaftlichen Milieus stigmatisiert, sagt er, wie etwa bei der Gruppe der sogenannten Lohas. Das steht für Lifestyle of Health and Sustainability, also ein Lebensstil der Gesundheit und Nachhaltigkeit. Menschen dieser Gruppe haben oft eine überdurchschnittliche Bildung sowie ein hohes Einkommen.

Mit der Pandemie rauchen wieder mehr Menschen

Die Trendwende im Raucherboom begann etwa Mitte der 1960er Jahren als bekannt wurde, dass Raucher öfter an Lungenkrebs erkranken und früher sterben. Damit begann sich die soziale Akzeptanz zu ändern. Es brauchte aber noch gut 20 Jahre und eine starke Steuererhöhung bis man das Rauchen im Großteil der Gesellschaft kritisch reflektierte. Seit den 1980er Jahren sinkt der Raucheranteil in der deutschen Bevölkerung – bis zur Coronapandemie. Vorher rauchten 27 Prozent der Menschen ab 14 Jahren, im November 2021 waren es laut der Deutschen Befragung zum Rauchverhalten knapp 31 Prozent. Ein möglicher Grund: Stress und Auswirkungen der Pandemie.

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Heute kennt man die Folgen des Rauchens: Krebs, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Laut dem aktuellen Jahrbuch Sucht der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen starben im Jahr 2018 – das sind die aktuellsten Zahlen – 127 000 Menschen in Deutschland an den Folgen des Rauchens.

Die WHO will den Tabakgebrauch global eindämmen

Auch die Weltgesundheitsorganisation geht gegen das Rauchen vor. Seit 2005 gilt das Tabakrahmenübereinkommen. Ziel des völkerrechtlichen Vertrags: heutige und zukünftige Generationen vor den Folgen des Tabakkonsums sowie Passivrauchens zu schützen. In Deutschland tut man das etwa mit Warnhinweisen auf Zigarettenpackungen, Werbeeinschränkungen oder dem Nichtraucherschutzgesetz. Mit der Tabaksteuer sind das für Hirschfelder von der Uni Regensburg wichtige Gründe, warum die soziale Anerkennung des Konsums heute geringer ist als früher. Der Gesundheitsdiskurs und gesellschaftlichen Vorbilder, die nicht mehr rauchen, kommen hinzu.

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Aber: Studien belegen, dass in sozialen Schichten mit geringerer Bildung und Einkommen sowie niedrigerem beruflichen Status mehr Menschen rauchen. Hier sei der Tabakkonsum weniger stigmatisiert, teilweise positiv behaftet, so Hirschfelder. Das Phänomen gelte auch für Länder wie etwa Bulgarien oder Mazedonien, wo die gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung noch nicht so fortgeschritten sei wie etwa in Deutschland. Das bedeutet: Wenn die Lebenserwartung geringer ist und Existenzängste das Leben dominieren, ist der Raucherhusten das kleinste Übel. Das Thema Risiko spiele aber auch in sozialen Schichten mit höherem Einkommen eine Rolle, sagt Hirschfelder. Bei Ärzten oder Pflegern gebe es viele Raucher. Das liege neben der Stresskompensation auch daran, dass jemand, der oft etwa mit Krebspatienten zu tun habe, ein Risiko anders einschätze als jemand ohne solche Berührungspunkte.

Nur aus der Öffentlichkeit verschwunden

Rauchen ist aus der Gesellschaft also nicht verschwunden, eher aus großen Teilen der Öffentlichkeit. Je nach Lebensstil und in unterschiedlichen Gesellschaftsbereichen aber ist es nach wie vor akzeptiert. Einen rauchenden Politiker in einer Fernsehtalkshow wird es aber wohl nicht mehr geben.