In den vergangenen beiden Jahren stieg die Zahl der Wohnungslosen in Böblingen um mehr als 50 Prozent. Foto: KNA/Harald Oppitz

Immer mehr Menschen suchen Zuflucht in städtischen Sammelunterkünften. Doch in der Winterkälte suchen sich manche auch andere Plätze, was zum Teil Probleme verursacht.

In Böblingen zeigt sich, was vielerorts zum wachsenden Problem wird: Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen ihre Wohnung verlieren – und keine neue finden. Meldeten im Jahr 2022 noch 89 Personen bei der Stadt einen Bedarf an einer Unterbringung einer Notunterkunft an, waren 2023 schon 101 und im vergangenen Jahr 2024 bereits 137 Menschen ohne Dach über dem Kopf. Und das sind nur die Fälle, die sich offiziell melden. Die Dunkelziffer kann noch darüber liegen.

 

Die winterliche Kälte macht den Wohnungslosen besonders zu schaffen. Eiskalte Nächte treibt sie in Bahnhofspassagen, Kaufzentren – oder Schalterhallen von Banken. So berichten Passanten von ungebetenen Gästen, die neben den Bankomaten der Volksbank am Friedrich-List-Platz ihr Nachtlager aufschlagen. Zwar ist keine direkte Belästigung aktenkundig, doch ein beklemmendes Gefühl bei vielen Bankkunden bleibt. „Das kommt in den kälteren Monaten öfter vor“, sagt der Pressesprecher der Vereinigten Volksbanken, Matthias Haug.

„Mittlerweile haben wir eine Sicherheitsfirma engagiert, die – je nach Verhalten – auch schon Verweise ausgesprochen hat“, sagt er. Dabei müsse man aber differenzieren, sagt Haug. „Es gibt natürlich Menschen, die suchen einfach nur kurz ein warmes Obdach und verhalten sich korrekt.“ Andere wiederum verunstalteten die Räumlichkeiten mit Exkrementen oder anderen unschönen Hinterlassenschaften, sagt Haug. „Das sind Fälle, die wir dann auch verfolgen und Verweise aussprechen. Wen sich aber jemand korrekt verhält, ist dagegen erst mal nichts einzuwenden.“

Toleranz zum Teil überschritten

In Waldenbuch allerdings habe ein offenbar Wohnungsloser unlängst Blutspuren in den Räumlichkeiten hinterlassen, „das sind natürlich Fälle, die die Toleranzgrenze komplett überschreiten“, sagt der Pressesprecher. Dabei muss es so weit gar nicht kommen. Die Stadt Böblingen etwa unterhält insgesamt 17 Sammelunterkünfte an sieben Standorten, in denen Wohnungslose ein festes Dach über dem Kopf und eine Schlafgelegenheit erhalten. Außerdem stünden mehrere angemietete Wohnungen zur Verfügung.

Die Gründe für den Verlust der Wohnung sind vielfältig: Trennung, Arbeitslosigkeit oder auch Krankheit – in vielen Fällen sogar mehrere Schicksalsschläge. „Besonders betroffen sind Alleinstehende, Familien und zunehmend auch Senioren“, sagt der städtische Pressesprecher Peter Lausch. „Hierbei handelt es sich um eine unfreiwillige Obdachlosigkeit. Davon zu unterscheiden ist die freiwillige Obdachlosigkeit, die als Ausdruck selbstbestimmten Lebens gewählt wird.“ Bei den Genannten handle es sich nicht um Personen mit Fluchthintergrund, wie ausdrücklich betont wird.

Jedes Schicksal sei anders: „Während der eine diese Unterbringung nur wenige Tage in Anspruch nimmt, sind andere Monate oder gar Jahre dort. Oder sie wechseln zwischen einem Leben auf der Straße und in der Unterkunft“, sagt ein Sprecher. Wohnungslose Menschen, die sich freiwillig in der kalten Jahreszeit im Freien aufhielten, hätten unterschiedliche Gründe, weshalb sie sich bewusst gegen eine Unterbringung in einer Sammelunterkunft entscheiden.

Wunsch nach Unabhängigkeit

„Gründe hierfür sind oft der Wunsch nach Unabhängigkeit, das empfundene Stigma sowie psychosoziale Herausforderungen wie Sucht oder psychische Erkrankungen“, sagt Peter Lausch. Wenn es allerdings hart auf hart kommt, greift die öffentliche Hand ein. Für akut gefährdete Personen bestehen Absprachen mit dem Polizeivollzugsdienst: „In Fällen drohender Erfrierung werden obdachlose Menschen, insbesondere nachts oder am Wochenende, direkt in städtische Notunterkünfte gebracht“, sagt Lausch.

In der Hilfe für Wohnungslose betätigen sich auch Freie Träger, wie etwa der Verein Fortis mit Sitz in Nufringen. „Wir unterstützen, beraten und begleiten Menschen, die wohnungslos oder von Wohnungslosigkeit bedroht sind“, umschreibt der Verein sein Angebot. „Ziel ist, die aktuelle Situation und damit verbundene Schwierigkeiten zu überwinden.“ Es solle eine menschenwürdige Wohnsituation gewährleistet und sofern erforderlich, in weiterführende Hilfesysteme vermittelt werden, heißt es weiter. Sprich: Niemand muss auf offener Straße oder in öffentlich zugänglichen Räumen schlafen.

Vereine und Verbände bieten Hilfe an

Fortis
 Der Verein Fortis besteht seit 52 Jahren – und wäre am liebsten überflüssig. Nach eigenen Angaben kümmert er sich um psychisch Erkrankte, Abhängige, Wohnungslose und Straffällige.

Nachfrage
 Der Bedarf an den Angeboten des Vereins wächst stetig. Über 1000 Menschen im Jahr wurden dadurch jüngst erreicht.

Regional
 Engagiert ausschließlich im Landkreis Böblingen, zählt Fortis inzwischen 110 hauptamtliche Mitarbeiter, 20 Ehrenamtliche und fünf Studenten an den Standorten Böblingen, Herrenberg, Sindelfingen und Leonberg.

Caritas
 Anlaufstelle für Menschen in schwierigen Lebenssituationen ist auch die Caritas mit der Sozialberatung in Böblingen.

Diakonie
 Der evangelische Diakonieverband bietet ebenfalls eine Sozial- und Lebensberatung an, mittlerweile ist diese sogar online verfügbar.