Kyoko Scheiffele. Foto: Max Kovalenko

Im Heusteigviertel ist er bereits gut bekannt: der Soyosoyo-Lunch Laden von Kyoko Scheiffele. Die Japanerin mit dem schwäbischen Nachnamen kocht in Deutschlands einziger Gastro-WG wöchentlich wechselnde Menüs, angerichtet in den typisch japanischen Bento-Boxen.

Im Heusteigviertel ist er bereits gut bekannt: der Soyosoyo-Lunch Laden von Kyoko Scheiffele. Die Japanerin mit dem schwäbischen Nachnamen kocht in Deutschlands einziger Gastro-WG wöchentlich wechselnde Menüs, angerichtet in den typisch japanischen Bento-Boxen.

Stuttgart - Wie die typische Powerfrau sieht sie eigentlich nicht aus, doch Kyoko Scheiffele ist ein Kraftpaket. Die zierliche Frau schläft oft nicht mehr als vier Stunden pro Nacht, ihr Tag beginnt um 3 Uhr in der Früh. Um diese Zeit steht sie auf, beantwortet E-Mails und macht Frühstück für ihre Tochter. Gegen vier huscht sie dann in die noch dunkle Nacht und schließt die Tür ihres Ladens auf, der wenige Straßen von ihrer Wohnung entfernt im Heusteigviertel liegt. In der kleinen Küche lässt sie dann als Erstes die letzten Pizzaspuren verschwinden, die ihre Vorgänger hinterlassen haben. Denn die 44-jährige ist Teil der ersten und bisher bundesweit einzigen Gastro-WG: Bevor sie den kleinen Raum mit Bastmatten und Blumenlichtern in ein japanisches Restaurant verwandelt, werden von hier aus zwischen 16 Uhr und 4 Uhr früh Pizzen und andere italienische Speisen ausgeliefert.

Jetzt, um 8.30 Uhr, steht die Japanerin mit Kopftuch über dem schwarzen Haar vor zwei dampfenden Pfannen. Der süßliche Geruch von angebratenen Zwiebeln liegt in der Luft. Eine der Hauptspeisen ist gleich fertig: Butaniku no Rinog Maki Ni Bento. Der lange Name täuscht nicht, es ist einiges drin in Kyoko Scheiffeles Gerichten. Im konkreten Beispiel sind das Äpfel, umwickelt von Schweinefleischscheiben, eine Soße aus Sellerie, Tomate, Zwiebel, Curry und Butter, als Beilage Sellerie mit verschiedenen Pilzen in Zitrone-Sojasoße, außerdem Chinakohl mit Dashi-Sojasoße, Spitzkohl mit Miso-Knoblauch-Ingwer, dazu Reis mit frittierten Erbsen. Über alles streut sie am Ende schwarzen, gerösteten Sesam. Ihr Motto: Alles muss frisch gekocht und bezahlbar sein.

Kyoko Scheiffele kann nicht ruhig stehen bleiben

Kein Wunder also, dass Kyoko Scheiffele hoch konzentriert in vielen verschiedenen Töpfen gleichzeitig rührt. Die Äpfel im Schweinefleisch sind außerdem nur eines von drei Menüs, die sie an diesem Tag anbietet. „Als ein Fernsehteam vom SWR da war und sie mich gebeten haben, ob ich nicht einmal ruhig stehen bleiben kann, musste ich sagen: Nein, das kann ich nicht“, sagt Kyoko Scheiffele lachend, während sie einen benutzten Topf spült, um ihn gleich weiterzuverwenden. Professionelle Küchengeräte hat sie wenige, die meisten kennt man aus dem eigenen Haushalt. Einige hat sie sogar von Kunden geschenkt bekommen. „Daher muss ich viel umschichten, in die Pfanne passt eben nicht das Ganze auf einmal“, erklärt sie. Auch sonst fühlt man sich fast in einer heimischen Küche, angesichts der vielen Tupperschüsseln und ausgespülten Lagnese-Schachteln, die überall herumstehen.

Professionell gelernt hat Kyoko Scheiffele das Kochen nicht, sie ist promovierte Germanistin und hat davor unter anderem als Unternehmensberaterin gearbeitet. Gekocht hat sie immer schon gern – bisher kamen aber nur Freunde und ihre deutsch-japanische Familie in den Genuss ihrer asiatischen Spezialitäten.

2011 hatte sie dann die Idee, einen Lieferservice zu eröffnen. „Ich hab’ gemerkt, ich bin ungefähr in der Lebensmitte, wenn man von 80 Jahren Lebenszeit ausgeht, und habe mich gefragt: Willst du so weiterleben?“ Sie wollte nicht und machte das Hobby zum Beruf. Soyosoyo wurde zum Namen ihres Traums, des ersten kleinen Restaurants: Soyosoyo Lunch. „So nennt man in Japan einen leichten Frühlingswind – genau dieses Gefühl will ich hier vermitteln, dass man von alleine lächeln muss.“

Und es gelingt ihr, das Essen ist meist im Voraus ausverkauft. Bestellen kann man im Internet oder per Telefon. Das war aber nicht immer so. Ihren Kundenstamm musste sie sich hart erarbeiten. „Ich habe viele Türklinken geputzt und Probeessen in Büros gebracht“, erinnert sie sich. Das Engagement hat sich gelohnt: Viele Kunden der ersten Stunde sind auch heute noch treue Gäste.

„Ernährungstechnisch ist es wichtig, dass immer drei Farben dabei sind“

Mittlerweile hat sie mit der Fleischbeilage für das zweite Menü begonnen. Mit viel Kraft vermischt sie in einem großen Topf mehrere Kilo Hackfleisch mit Kartoffelmehl und Sojasoße zu einer festen Masse. Daraus formt sie Fleischbällchen, die, sobald sie in der Pfanne brutzeln, ihren würzigen Duft in der Küche verbreiten. „Ich rieche das schon gar nicht mehr“, sagt Kyoko Scheiffele und lacht. Sie muss sich jetzt beeilen, denn um 9.30 Uhr kommt eine ihrer zwei Mitarbeiterinnen, die das Essen ausliefert. Davor muss Kyoko Scheiffele es noch in den typisch roten Bento-Boxen anrichten, die an Kantinentabletts mit Vertiefungen erinnern. Beim Anrichten der Menüs entsteht so in jeder Box ein farbenfrohes Gemenge der verschiedenen Beilagen. „Ernährungstechnisch ist es wichtig, dass immer drei Farben dabei sind. Diese Boxen habe ich als Schülerin auch immer von meinem Vater in die Schule mitbekommen – oft mit einer Kirsche als rotem Farbklecks“, erklärt sie. Während ihre Mitarbeiterin die Boxen ins Auto verlädt, beginnt Kyoko Scheiffele dann mit dem Aufräumen. Doch nicht alle Töpfe sind leer – viele Kunden kommen auch zu ihr in den Laden, um vor Ort zu essen.

Einige sogar jeden Tag. Martin Zentner ist einer der treusten Kunden und ist auch an diesem Tag pünktlich zur Mittagszeit dort. „Ich war schon in Japan und habe die dortige Küche schätzen gelernt. Hier gibt es richtig gute japanische Hausmannskost, ich war positiv überrascht“, erinnert er sich. Er arbeitet in der Nähe und hat Soyosoyo Lunch per Zufall entdeckt. Mittlerweile kommt er zwei- bis dreimal pro Woche vorbei. „Ich habe hier noch nie etwas Schlechtes gegessen. Außerdem schätze ich die Philosophie dahinter – es geht nicht nur darum, den Brennwert zu maximieren.“

Auch Andrea Kwasniok aus Degerloch ist begeistert. „Ich finde die Menge genau richtig. Am besten ist es, wenn ich das Essen mit ins Geschäft nehmen kann – denn wenn ich es mit nach Hause bringe, muss ich mich immer mit meinem Sohn darum prügeln.“

Kyoko Scheiffele ist gerührt von so viel Lob. „Genau das finde ich so toll – die direkte Rückmeldung“, sagt sie. Sie bereut es nicht, den Sprung ins kalte Wasser gewagt zu haben. „Das Beste an meinem Job als Köchin ist, dass nicht so viel diskutiert werden muss“, sagt sie. Als stressig empfindet sie den Job trotz wenig Schlaf und Zeitdruck nicht. „Im Büro leben – das ist stressig.“