Sophia Kennedy hat im Merlin einen vielfältigen, schönen Gig absolviert – trotz einiger Motzer im Publikum. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Die Singer-Songwriterin Sophia Kennedy ist längst kein Geheimtipp mehr. 2017 hat sie mit Mense Reents von den Goldenen Zitronen ein starkes Debüt hingelegt. Ihren Partner Reents hat sie auch nach Stuttgart ins Merlin mitgebracht.

Stuttgart - Wenn es zu glatt läuft, ist es auch nicht gut. Das gilt fürs Leben genauso wie für Live-Musik. „Hey, ich glaub´, wir haben uns aufgehängt! Hallo Stuttgart, wir müssen noch mal anfangen“, ruft Sophia Kennedy in den angenehm locker gefüllten Saal des Merlin. Der Laptop von Kennedys Mitstreiter Mense Reents hat sich an den Samples verschluckt, nach ein paar Takten bricht der erste Song abrupt ab. Na, macht nichts. Der Anfang war so gut, das kann man gleich noch mal hören.

Warm wummert Mense Reents Bassgitarre, darüber legt Sophia Kennedy pulsierende, wabernde Keyboard-Sounds und ihre mondän tiefe Stimme. Entspannt schlendert der Rhythmus. Im vergangenen Jahr hat die 1989 in Baltimore geborene, aber nahe Göttingen aufgewachsene Singer-Songwriterin ihr Debütalbum mit Reents im Hamburger Studio der Goldenen Zitronenaufgenommen. Vor vier Jahren war sie schon einmal zu Gast in Stuttgart, zusammen mitCarsten Meyer alias Erobique.

Doppelbödig und düster

Vom sanften 80er-Jahre-Retro-Soul des mit Erobique veröffentlichten ersten Songs „Angel Lagoon“ hat Sophia Kennedy zu einer individuellen Elektro-Pop-Form gefunden. Im Merlin tritt sie in schwarzem Knitterleder-Blouson und Minirock auf, dazu knallrote Stiefeletten. Ihre Songs sind doppelbödig, ironisch und manchmal ziemlich düster. Zu Beginn von „Dizzy Izzy“ schüttelt Mense Reents eine Rassel, automatisch hört man eine sich windende Klapperschlange. Kennedy singt im schwül verführerischen Sprechgesang: „Hello, yellow helicopter / take me to the mental doctor“.

In langen Instrumentalstrecken gestalten die beiden unbestimmt gruselige Klangatmosphären aus elektronischem Quietschen, langgezogenen Schreien und Sirenen. Idyllische Harmonien werden immer wieder von gezielt eingesetzten Dissonanzen durchkreuzt, heitere Grooves treffen auf eiskalt klatschende Beats. Sophia Kennedy macht zwischen den Songs nur wenige Worte und keine Mätzchen. Gemeinsam mit dem wippenden, kopfnickenden Publikum versinkt sie in der Musik.

Zeit für den Mittelfinger

Doch einmal droht die Stimmung zu kippen: Ein paar Zuhörer mokieren sich über monoton stampfende Beats. Der Versuch, andere zum stumpfen Mitklatschen zu animieren, schlägt fehl. Der Rhythmus erweist sich als zu kompliziert. Sophia Kennedy ist sichtlich irritiert, lässt sich aber nicht beirren. Mit Druck schraubt sich ihre Stimme in den Raum, trotzig reckt sie den Mittelfinger in Richtung der Störenfriede.

Beim Song „William by the Window Sill“ hat sie wieder alles im Griff, stemmt kraftvoll die Pianoakkorde. Reents fügt unter anderem Samples vom pompös knallenden Schlagzeug aus Phil Spectors altem Gassenhauer „Be my Baby“ hinzu. Sophia Kennedys Musik ist vielfältig, schräg und schön widerspenstig. Einen dunklen Walzer beherrscht sie genauso wie eine elegante Crooner-Nummer. Sie ist eine Meisterin der kunstvollen Verstörung.