Edle Stick-Utensilien aus dem frühen 19. Jahrhundert. Foto: factum/Granville

Sticken, Stricken, Häkeln: die Handarbeit erlebt derzeit eine Renaissance. Das Hornmoldhaus in Bietigheim zeichnet in einer Sonderausstellung die Geschichte der Handarbeit von 1800 bis heute nach – und präsentiert überraschende Werke.

Bietigheim-Bissingen - Do it yourself oder Achtsamkeit: Gründe für die Wiederentdeckung der Handarbeit gibt es viele. Knapp eine Milliarde Euro geben die Deutschen jährlich für Zubehör zum Stricken, Sticken Häkeln oder Klöppeln aus, auf Online-Plattformen wie Pinterest oder DaWanda präsentieren Handarbeits-Blogger ihre Werke – und jetzt greifen auch Museen die Wiedergeburt des Haptisch-Kreativen auf, beispielsweise das Museum Europäischer Kulturen in Berlin mit der Schau „100 Prozent Wolle“. Auch das Hornmoldhaus in Bietigheim-Bissingen widmet dem Thema eine Sonderausstellung. Es fragt: „Macht Handarbeiten glücklich?“

 

Eine konkrete Antwort dazu findet der Besucher nicht, aber allein das Begutachten der Exponate lässt schon Schmunzeln. Am Auffälligsten ist dabei die Installation der Schweizer Textilkünstlerin Dominique Kähler-Schweizer, die unter dem Künstlernamen Madame Tricot zahlreiche Lebensmittel wie Würste, Käse oder Gemüse in täuschend echter Plastizität gestrickt hat. Für sie hat das Stricken auf jeden Fall eine positive Wirkung aufs Gemüt: „Es ist wie Meditation“, sagt sie. Zwar fände manch passionierte Sockenstrickerin ihre Werke „skandalös“, aber es sei höchste Zeit, dass die Textilkunst aus dem Schattendasein in der Kunstszene geholt werde.

Kostbares Stickwerkzeug aus Elfenbein

Kähler-Schweizers Kühlschrank voller wollener Lebensmittel ist die letzte Station der Sonderausstellung, die ansonsten klassisch gehalten ist und allerlei Handarbeits-Exponate seit 1800 versammelt – aus Platzgründen habe man sich auf die letzten 200 Jahre beschränkt, sagt die Museumsleiterin Regina Ille-Kopp. So sind beispielsweise kostbare Fingerhüte in einer Amphore aus Elfenbein aus dem Jahr 1830 zu sehen oder filigrane Handarbeiten wie Petit-Point-Stickereien aus der Biedermeierzeit. „Die Mädels waren damals echte Könner“, kommentiert Ille-Kopp.

Textile Handarbeit war damals vor allem eine weibliche Beschäftigung – was durch historische Lehr- und Erziehungsbücher auch belegt wird. Hier war stilles und sittsames Stricken gefordert. Je nach Vermögenslage war die textile Produktion Notwendigkeit oder Selbstverwirklichung.

Früher Notwendigkeit, heute Selbstverwirklichung

Um diese beiden Pole ist die Ausstellung aufgebaut. Besucher, die die Handarbeit für sich als Hobby entdeckt haben, können hier Inspiration für Projekte finden, beispielsweise selbst gehäkelte, bunt-glitzernde Spülschwämme aus speziellem Garn. Aber auch Personen, die sich ans textile Werken aus den Schultagen eher mit Grausen erinnern, finden hier interessante sozialhistorische Zusammenhänge. Der Handarbeits-Boom dieser Tage ist nämlich nicht der erste: Von 1870 bis 1930 gab es schon einmal eine regelrechte Stick-Manie durch alle sozialen Schichten Deutschlands. Die Weltwirtschaftskrise beendete diesen Trend.

Erst in den 1970er-Jahren lebte er wieder auf, nun ausschließlich als Hobby und vor allem befeuert durch Frauenzeitschriften. Bilder von strickenden Männern gab es dann in der Politik: Die Grünen kritisierten damit in ihren Anfangsjahren die industrielle Massenproduktion von Kleidungsstücken. Das aktuellste Beispiel, dass auch Stricken politisch sein kann, liegt nicht lange zurück: Der „Million Women March“ im Januar in Washington, bei dem Frauen mit pinken „Pussy Hats“ gegen die frauenfeindlichen Äußerungen von US-Präsident Donald Trump demonstrierten.

Dass der Handarbeits-Trend auch Bietigheim erreicht hat, zeigt eine Aktion des Hornmoldhauses: Zur Vorbereitung der Ausstellung wurde dazu aufgerufen, kleine Häkel-Sechsecke zu schicken. Das Museum bekam mehr als 1400 Einsendungen.

Termine

Ausstellung
Die Sonderausstellung „Macht Handarbeiten glücklich? Von der Notwendigkeit zur Selbstverwirklichung“ ist im Stadtmuseum Hornmoldhaus in Bietigheim-Bissingen bis zum 22. April 2018 zu sehen. Am 23. November gibt es um 19 Uhr zudem eine kostenlose kulturpädagogische Einführungsveranstaltung für Erzieher und Lehrer.

Quilts
Außerdem gibt es parallel zur Sonderausstellung drei Kabinettsausstellungen. Den Anfang macht die Präsentation "Quilts – Handwerk und Kunst II“, in der die Bissinger Textilkünstlerin Friederike Hoerst-Röhl aktuelle Arbeiten zeigt. Die Vernissage hierzu findet am 24. November um 19 Uhr im Trauzimmer der Lateinschule statt.

Eine konkrete Antwort dazu findet der Besucher nicht, aber allein das Begutachten der Exponate lässt schon Schmunzeln. Am Auffälligsten ist dabei die Installation der Schweizer Textilkünstlerin Dominique Kähler-Schweizer, die unter dem Künstlernamen Madame Tricot zahlreiche Lebensmittel wie Würste, Käse oder Gemüse in täuschend echter Plastizität gestrickt hat. Für sie hat das Stricken auf jeden Fall eine positive Wirkung aufs Gemüt: „Es ist wie Meditation“, sagt sie. Zwar fände manch passionierte Sockenstrickerin ihre Werke „skandalös“, aber es sei höchste Zeit, dass die Textilkunst aus dem Schattendasein in der Kunstszene geholt werde.

Kostbares Stickwerkzeug aus Elfenbein

Kähler-Schweizers Kühlschrank voller wollener Lebensmittel ist die letzte Station der Sonderausstellung, die ansonsten klassisch gehalten ist und allerlei Handarbeits-Exponate seit 1800 versammelt – aus Platzgründen habe man sich auf die letzten 200 Jahre beschränkt, sagt die Museumsleiterin Regina Ille-Kopp. So sind beispielsweise kostbare Fingerhüte in einer Amphore aus Elfenbein aus dem Jahr 1830 zu sehen oder filigrane Handarbeiten wie Petit-Point-Stickereien aus der Biedermeierzeit. „Die Mädels waren damals echte Könner“, kommentiert Ille-Kopp.

Textile Handarbeit war damals vor allem eine weibliche Beschäftigung – was durch historische Lehr- und Erziehungsbücher auch belegt wird. Hier war stilles und sittsames Stricken gefordert. Je nach Vermögenslage war die textile Produktion Notwendigkeit oder Selbstverwirklichung.

Früher Notwendigkeit, heute Selbstverwirklichung

Um diese beiden Pole ist die Ausstellung aufgebaut. Besucher, die die Handarbeit für sich als Hobby entdeckt haben, können hier Inspiration für Projekte finden, beispielsweise selbst gehäkelte, bunt-glitzernde Spülschwämme aus speziellem Garn. Aber auch Personen, die sich ans textile Werken aus den Schultagen eher mit Grausen erinnern, finden hier interessante sozialhistorische Zusammenhänge. Der Handarbeits-Boom dieser Tage ist nämlich nicht der erste: Von 1870 bis 1930 gab es schon einmal eine regelrechte Stick-Manie durch alle sozialen Schichten Deutschlands. Die Weltwirtschaftskrise beendete diesen Trend.

Erst in den 1970er-Jahren lebte er wieder auf, nun ausschließlich als Hobby und vor allem befeuert durch Frauenzeitschriften. Bilder von strickenden Männern gab es dann in der Politik: Die Grünen kritisierten damit in ihren Anfangsjahren die industrielle Massenproduktion von Kleidungsstücken. Das aktuellste Beispiel, dass auch Stricken politisch sein kann, liegt nicht lange zurück: Der „Million Women March“ im Januar in Washington, bei dem Frauen mit pinken „Pussy Hats“ gegen die frauenfeindlichen Äußerungen von US-Präsident Donald Trump demonstrierten.

Dass der Handarbeits-Trend auch Bietigheim erreicht hat, zeigt eine Aktion des Hornmoldhauses: Zur Vorbereitung der Ausstellung wurde dazu aufgerufen, kleine Häkel-Sechsecke zu schicken. Das Museum bekam mehr als 1400 Einsendungen.

Termine

Ausstellung
Die Sonderausstellung „Macht Handarbeiten glücklich? Von der Notwendigkeit zur Selbstverwirklichung“ ist im Stadtmuseum Hornmoldhaus in Bietigheim-Bissingen bis zum 22. April 2018 zu sehen. Am 23. November gibt es um 19 Uhr zudem eine kostenlose kulturpädagogische Einführungsveranstaltung für Erzieher und Lehrer.

Quilts
Außerdem gibt es parallel zur Sonderausstellung drei Kabinettsausstellungen. Den Anfang macht die Präsentation "Quilts – Handwerk und Kunst II“, in der die Bissinger Textilkünstlerin Friederike Hoerst-Röhl aktuelle Arbeiten zeigt. Die Vernissage hierzu findet am 24. November um 19 Uhr im Trauzimmer der Lateinschule statt.