Alt, aber lehrreich: Zwei angehende Fahrdienstleiter lernen mit der überholten Technik ihr Handwerk. Foto: factum/Weise

Der Förderverein Lehrstellwerk hat das alte Gebäude der Bahn gerettet – und damit wertvolle Arbeit geleistet. Inzwischen werden dort wieder Fahrdienstleiter ausgebildet. Und genervte Pendler sind nach einem Rundgang gleich weniger genervt.

Kornwestheim - Hier sah es aus wie im Urwald“, sagt Hans-Peter Hurth und zeigt auf die Weichen, Masten und Signale. „Das war alles total verwildert. Wir haben es wieder aus dem Dornröschenschlaf geholt.“ Die Augen des Vorsitzenden leuchten. Sein Blick gleitet über die alten, teils noch komplett mechanischen Stellwerke. Ein bisschen Stolz schwingt in seiner Stimme mit. Hurth und seine Kollegen haben das Kleinod gerettet. „Dass das aber alles noch mal so aufblüht, hätten wir am Anfang nicht gedacht“, sagt der 58-Jährige. Mittlerweile ist das Lehrstellwerk wieder zum Leben erwacht: Angehende Fahrdienstleiter lernen ihr Handwerk in Kornwestheim.

In dem 1934 von der Reichsbahn erbauten Gebäude wurden bis 1995 Fahrdienstleiter ausgebildet. In den 60er-Jahren war es manchmal so voll, dass die 30 festen, einer alten Schulbank ähnelnden, Plätze nicht ausreichten. Dann aber sollte Schluss sein. Die Bahn wollte nach ihrer Privatisierung sparen – und den Bau abreißen. „Als die Stadt das spitz bekommen hat, wurde das hier kurzerhand unter Denkmalschutz gestellt.“ Ein Glücksfall, wie sich herausstellen sollte.

Eine wichtige Spende zum Geburtstag

Anfangs hielt allein Günther Schwarz, ein Pensionär, der beim Kornwestheimer Rangierbahnhof im Signaldienst tätig gewesen war, die Anlagen einigermaßen in Schuss – so gut das alleine eben ging. „Wenn es nach der Bahn gegangen wäre, wäre das hier alles zerfallen“, sagt Hurth. Dabei schüttelt er leicht ungläubig mit dem Kopf.

Dementsprechend heruntergekommen sah das Gebäude aus, als sich der „Förderverein Lehrstellwerk Kornwestheim“ zusammenfand. „Die Wetterseite wäre beinahe eingestürzt, die Balken waren so morsch, dass man sie mit der bloßen Hand zerdrücken konnte“, erinnert sich Heinrich Güßler, der wie Hurth Gründungsmitglied des Vereins ist und alles über Stellwerke, deren Geschichte und die aktuellen Entwicklungen auf dem Gebiet weiß.

Unter der Federführung des damaligen Kornwestheimer Oberbürgermeisters Ulrich Rommelfanger formierte sich 2005 der Förderverein, der zunächst größtenteils aus Bediensteten der Stadt bestand. Erster Vorsitzender wurde Gerhard Fischer, der dazu kurzerhand vom OB benannt worden ist. Viel Mitspracherecht hätten die anderen nicht gehabt, erinnert sich Hurth. „Rommelfanger hat gewusst: Wenn ich den Fischer das machen lasse, läuft der Laden“, sagt der Bedienstete der Deutschen Bahn. Und der Bürgermeister, der auf seinem 50. Geburtstag die ersten 1300 Euro für den Verein einsammelte, sollte Recht behalten.

Die Bahn hat an der falschen Stelle gespart

Richtig durch startete der Verein nach der ersten großen Spende der Wüstenrot-Stiftung, mit der Wasseranschlüsse gelegt und Heizungen installiert werden konnten. Beides hatte die Bahn gekappt beziehungsweise ausgebaut. Der Stadt Kornwestheim war es letztlich zu verdanken, dass das Lehrstellwerk heute wieder so gut dasteht. 2009 hat sie mit Zuschüssen des Landes das Gelände nach langem Hin und Her gekauft. Vier Jahre später wurde die alte Baracke dann vollends renoviert.

Kaum erstrahlte das Lehrstellwerk in neuem Glanz, die Glühlämpchen blinkten wieder, die alten Hebel, mit denen man das Gleiswerk verstellen kann, ließen sich wieder ein bisschen leichter ziehen, klopfte die Bahn an. Das Unternehmen hatte 2013 gemerkt, dass es teilweise an der falschen Stelle gespart hatte. In Mainz herrschte wegen fehlender Fahrdienstleiter das Chaos, teilweise hielten überhaupt keine Züge mehr.Und so wurde die Ausbildungsstätte plötzlich wieder attraktiv.

Historischen Wert haben die Anlagen ohnehin: Die alten farbigen Hebel, an denen man kräftig ziehen muss, um sie zu bewegen, knarzen. Was die Kurbeln und Knöpfe auslösen, wissen nur die Fachmänner. Auf einer großen Tafel oberhalb der Anlagen ist ein Schienennetz aufgemalt. Jede schwarze Linie steht für ein Gleis, blinkende orangene und rote Lämpchen veranschaulichen, wie die Weichen gestellt sind und wie ein Zug fahren würde.

Aha-Erlebnisse im Museum

An 50 bis 60 Tagen im Jahr bildet die Bahn hier Fahrdienstleiter aus, auch Quereinsteiger, die als Lokführer anfangen, kommen nach Kornwestheim. Und das obwohl die Technik – sie stammt teilweise aus dem Jahr 1896 – längst nicht mehr aktuell ist. „Aber an den alten Anlagen lässt sich gut zeigen, warum etwas nicht funktioniert. Bei den elektronischen geht das nicht mehr“, erklärt Heinrich Güßler, der die Lehrveranstaltungen der angehenden Bahnmitarbeiter von Seiten des Fördervereins mitbegleitet. Auch sonst haben er und seine Kollegen genug zu tun.

Nebenbei ist das Lehrstellwerk nämlich auch ein Museum, das rund 1000 Leute im Jahr besuchen. „Das Schöne ist, die Leute sehen hier, was für ein Aufwand es ist, einen Zug auf das richtige Gleis zu bringen“, sagt Güßler. Hans-Peter Hurth ergänzt: „Die meisten haben auch viel mehr Verständnis dafür, wenn ihr Zug mal ein paar Minuten Verspätung hat.“ Die Männer vom Lehrstellwerk-Verein befrieden also auch ein bisschen die vielen genervten Pendler. Und: wie ganz am Anfang halten sie die Anlage in Schuss – auch wenn es nicht mehr ganz so anstrengend ist. Einen Urwald bändigen müssen sie nämlich nicht mehr.