Mittendrin: OB Fritz Kuhn, begleitet von seinem Sprecher Andreas Scharf (re.) im Gespräch mit den Redakteuren Thomas Durchdenwald (li.) und Jan Sellner (vorne) auf dem Stuttgarter Marktplatz. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Der Oberbürgermeister persönlich sorgt für Leben auf dem Marktplatz: Für das Sommerinterview mit unserer Zeitung verlässt Fritz Kuhn sein Amtszimmer und nimmt Platz vor dem Rathaus. Passend zum Thema: Perspektivwechsel in der Autohauptstadt Stuttgart.

Stuttgart - Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn stand Rede und Antwort beim Gespräch vor dem Rathaus. Ein großes Thema: Mobilität in der Landeshauptstadt.

 
Herr Kuhn, ein Interview mitten auf dem Marktplatz. Erlauben Sie den Hinweis: Das einzig Grüne auf diesem Platz ist der grüne Oberbürgermeister . . .
Immerhin! Aber das stimmt ja nicht ganz. Dort drüben beim Brunnen stehen Bäume.
Etwas Grün am Rande – finden Sie, das reicht?
Der Marktplatz wird bald grüner werden, wie die Innenstadt insgesamt. Weil die Städte durch den Klimawandel heißer werden, ist es wichtig, dass man sie systematisch begrünt. Deshalb gibt’s im nächsten Doppelhaushalt mehr Mittel und Stellen für die grüne Infrastruktur, zum Beispiel für die Pflege der Parks, für neue Bäume oder für Dachbegrünungen. Außerdem werden wir im Stadtgebiet 20 Biotope einrichten und sie vernetzen. Und jeder Bürger kann zu einem grünen Stuttgart beitragen, indem er zum Beispiel seinen Balkon begrünt.
Mehr Grün – was heißt das konkret für den Marktplatz?
Der Platz wird aufgemöbelt – mit neuem Belag und Sitzmöglichkeiten, außerdem wird der Brunnen angehoben und insgesamt über mehr Grün nachgedacht. Der Umbau beginnt 2019. Das Ziel ist klar: einen attraktiven Marktplatz zu schaffen, etwas edler als er heute aussieht. Wir brauchen aber weiterhin einen Platz – für den Wochenmarkt, das Weindorf, den Weihnachtsmarkt und die vielen Feste. Wir werden aus dem Marktplatz also keinen Wald machen.
Was ist mit Cafés am Marktplatz?
Natürlich hätte ich gerne Cafés, aber die Frage muss man auch den Anrainern stellen.
Auf „Let’s Putz“ unter Ihrem Vorgänger Wolfgang Schuster folgt „Fritz putzt“. Für Ihr Antimüllkonzept wollen Sie jährlich zehn Millionen Euro zusätzlich ausgeben. Haben Sie den Eindruck, dass Stuttgart vermüllt?
In allen großen Städten gibt es die Tendenz, dass man sein Zeugs einfach auf den Boden schmeißt. Deshalb müssen wir da was machen, und zwar so, dass es erkennbar besser wird. Dazu gehört auch das Nassreinigen in der Stadt – künftig drei- statt einmal in der Woche. Je sauberer die Stadt, desto weniger lassen die Leute Müll fallen. Mich hat übrigens erstaunt, dass der Handel sich zu meinem Stadtreinigungskonzept gar nicht geäußert hat, wo er sonst dauernd den Schmutz in der Stadt beklagt.
Wollen Sie auch die müllreiche To-go-Kultur eindämmen?
In der Tat. Statt den Einweg-Kaffeebechern wollen wir ein Mehrwegsystem etablieren. Teil des Konzeptes ist auch die Aufklärung, die schon in den Schulen beginnt. Wir müssen rüberbringen: Unsere Stadt ist wertvoll, man muss auf sie achten.
Ist die Wiedereinführung der Kehrwoche Teil Ihres Gesamtplans?

Ganz ehrlich: Ich habe mir das überlegt. Manfred Rommel hat die Kehrwoche ab 1989 als nicht mehr zeitgemäß abgeschafft. Ich hab’s dann aber gelassen, weil die Vergangenheit nicht die richtige Antwort ist. Die meisten Leute sind übrigens der Meinung, es gebe die Kehrwoche noch. Das schadet nicht. Sie ist eine gesellschaftliche Institution.

Kommen wir zu den Themen, die Stuttgart bundesweit in den Blickpunkt rücken: die Debatte um Fahrverbote und die Dieselkrise. Welche Veränderungen beobachten Sie in der Stadtgesellschaft?
Viele Menschen treibt das um, und viele reagieren darauf: Die Stadtbahnen werden, nicht zuletzt wegen des Jobtickets, voller. Wir reagieren, indem wir den Ausbau des ÖPNV vorantreiben. Aus Überschüssen von 2016 haben wir fast 73 Millionen Euro für die SSB vorgesehen, um neue Fahrzeuge anzuschaffen. Wichtig ist, dass die Autoindustrie jetzt einen deutlichen Schritt nach vorn geht. Die Software-Nachrüstung von Dieselautos reicht nicht. Man muss an die Hardware ran. Da erwarte ich deutlich mehr.
Was macht die Debatte um das Kernprodukt dieser Stadt, das Auto, mit den Menschen, die sich stark damit identifizieren – auch wegen der Arbeitsplätze?
Manche sind verunsichert. Die Mehrheit sagt trotzdem: Die Luft muss sauberer werden, lasst uns das Know-how für die Transformation der Automobilgesellschaft nutzen. Das kann ich nur unterstützen und sagen: Tempo, bitte! Und ich sage: Jeder kann etwas dazu beitragen. Es ist quasi eine patriotische Pflicht, dass derjenige, der einen Zweitwagen kauft, sich für ein Elektroauto entscheidet. Der Stuttgarter muss etwas für seine Stadt tun, nicht nur für sein Gärtle. Ich kann mir da auch eine steuerliche Förderung durch den Bund vorstellen. Das wäre wirksamer als eine europäische Quote.
Würden Sie privat einen Diesel kaufen?
In der heutigen Zeit eher nein. In jedem Fall würde ich die Versprechen der Hersteller überprüfen. Am Ende müssen aber die Leute selbst die Kaufentscheidung treffen.

Hat SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz recht, wenn er sagt, die Autohersteller haben die Entwicklung „verpennt“?
Man hat die Elektromobilität zehn Jahre lang nicht richtig ernst genommen. Der Rahmen war aber auch nicht klar genug formuliert. Ich bin der Meinung, dass der politische Lobbyismus – Herr Wissmann vorneweg – der Automobilindustrie am meisten geschadet hat. Statt die technische Entwicklung voranzutreiben, hat man versucht, Vorgaben aus Brüssel abzuwehren. Das war falsch. Umso mehr muss man sich jetzt um Innovationen kümmern, gerade in Stuttgart. Wenn wir uns auf unserer Wirtschaftskraft und den Erfolgen der Vergangenheit ausruhen, wird die nächste technische Innovationswelle anderswo stattfinden. Ferdinand von Steinbeis (1807–1893), der große Förderer württembergischer Wirtschaftspolitik, hat einmal formuliert, dass man aus den Schwächen die Stärken von morgen machen soll. Daran müssen wir uns erinnern und neue Modelle für die Mobilität entwickeln.
Schafft die Industrie den Wandel?
Wenn sie es nicht schafft, wird’s bitter . . .
Das ist klar. Aber was denken Sie?
Ich denke ja. Unsere Region hat technologisch und ökonomisch die besten Voraussetzungen dafür.
Von Ingenieuren hört man, dass – bei aller Begeisterung für Elektroautos – die Durchbruchstechnologie noch nicht in Sicht ist. Deshalb brauche man weiterhin den Diesel.
Ich höre auch Ingenieure, die sagen, wir könnten viel machen, dürfen aber nicht. So viel ist doch klar: Das Urteil des Stuttgarter Verwaltungsgerichts zu Stickoxiden bedeutet eine Aufwertung des Gesundheitsschutzes. Eine Stadt kann nicht sagen, das interessiert uns nicht. Deshalb rufen wir ja auch den Feinstaubalarm aus. Es darf nichts mehr unter den Teppich gekehrt werden.
War Feinstaubalarm der richtige Begriff?
Der Begriff hat einen Vorteil: Er ist klar. Es gibt immer noch welche, die sagen, damit rede man die Stadt schlecht. Das sehe ich nicht so. Man muss deutlich reden, wenn man die Dinge verändern will.
Deutlich werden auch Ihre Kritiker: Sie sind der OB des Feinstaubalarms, der Fahrverbote und der autofreien City. Sind Sie mit dieser autofeindlichen Rolle zufrieden?
OB der Fahrverbote stimmt ja nicht. Ich habe von Anfang an gesagt, lasst es uns freiwillig versuchen. Ich behaupte auch, dass Fahrverbote schwierig umzusetzen sind. Erstens, weil sie schwer zu kontrollieren sind, und zweitens, weil die Übertretung nach Bundesrecht nur 20 Euro kostet. Und zur autofreien City: Wir verbieten ja nicht das Auto in der Innenstadt! Und die Zufahrten zu den Parkhäusern in der City bleiben erhalten. Wir wollen aber, dass mehr Freiraum entsteht für öffentliche Nutzungen. Ich sehe mich also nicht als OB, der den Leuten etwas wegnimmt, sondern als ein OB, der ihnen etwas Neues und Gutes bringen will.
Dennoch läuft der Handel Sturm . . .
Beim Handel sehe ich mich an die Debatten über die Einführung der Fußgängerzonen erinnert. Sein Problem heißt in Wahrheit Internethandel. Dagegen kommt man nur an, wenn man das Einkaufen in der Stadt so attraktiv wie möglich macht – in einem sauberen Stuttgart, in dem die Leute flanieren und verweilen wollen. Ich glaube, dass eine autofreie City dem Einzelhandel sehr gut tun wird, weil Handel dort gut läuft, wo Menschen sich gerne aufhalten.
Die IHK warnt vor Fahrverboten und mahnt mehr Engagement in der Citylogistik an. Wie ist Ihr Verhältnis zur Wirtschaft?
Ich habe mit allen ein gutes Gesprächsklima, wir sind im regen Meinungsaustausch. Im Übrigen bin ich auch mit Herrn Oergel (dem Breuninger-Chef, d. Red.) regelmäßig im Gespräch. Und da fällt schon auf: Er hat mit dem Dorotheen-Quartier ein urbanes Quartier geschaffen mit vielen Einkaufsmöglichkeiten, aber auch vollkommen autofrei und mit viel Aufenthaltsqualität zum Verweilen. Was er jetzt noch will ist, dass die Leute mit dem Auto möglichst nahe ranfahren können. Und da sage ich: Das geht nicht. Wir müssen das, was Herr Oergel für das Dorotheen-Quartier an Aufenthaltsqualität reklamiert, in der gesamten Innenstadt machen.
Lassen Sie die Proteste ungerührt?
Veränderungen sind immer mit Reibung verbunden. Auch wenn wir einen Radweg bauen, wie zwischen Hedelfingen und Wangen, und dann Parkplätze wegfallen, geht es spitz auf spitz. Das ist ein Verteilungskampf zwischen Auto-, Rad- und Fußgängerverkehr. Und da soll mir keiner sagen, dass es ein Naturgesetz wäre, dass der öffentliche Raum dem Auto gehört und die anderen sich an der Seite herumquälen sollen. Meine Philosophie ist: Wenn du diesen Auseinandersetzungen aus dem Weg gehst, dann gehst du bald zum Hintereingang ins Rathaus rein.
Glauben Sie, dass Stuttgart eine gute Zukunft vor sich hat?
Ich bin eher optimistisch . . .
. . . nur eher?
Es gibt so eine Art reflektierten Optimismus. Das ist kein blinder Optimismus, der einfach sagt, alles wird gut, hurra, folget mir. Das ist nicht mein Ding. Aber wir haben die Chancen, dass wir die Zukunft für Stuttgart besser machen können. Und es gibt keinen Grund zum Pessimismus. Wenn man Pessimist ist, sollte man nicht den OB machen.
Und der reflektierte Optimist Kuhn will noch möglichst lange die großen Entwicklungslinien in der Stadt mitbestimmen?
Das ist ziemlich indirekt gefragt . . .
Es geht auch direkt: Treten Sie wieder an?
Meine Amtszeit endet Anfang 2021. Ich habe gesagt, dass ich mich Anfang 2020 entscheiden werde, ob ich wieder kandidiere.