Voller Energie und sehr energisch: die karibische Sängerin Calypso Rose Foto: Veranstalter

Die karibische Sängerin Calypso Rose ist ein Star der Weltmusik. Auf der Stuttgarter Marktplatz zeigt sie, dass karibische Rhythmen keineswegs nur Schwung und gute Laune erzeugen müssen. Ihre Texte erzählen von Ungerechtigkeit, Gewalt und Tod – und sind doch voller Leben und Energie.

Stuttgart - Shanties beim Fischmarkt auf dem Karlsplatz, Psychedelic Rock bei den Jazz Open vor dem Neuen Schloss, dazwischen an der Stiftskirche – die nächsten AnnenMayKantereit? – Folkiges von ein paar Straßenmusikern: An manchen Juliabenden ist der Stuttgarter Kessel an jeder Ecke mit Musik gefüllt. Mittendrin und ein „Hot Spot“ für Menschen mit weitem Horizont: der Marktplatz mit dem Sommerfestival der Kulturen – auch im 15. Jahrgang eine kulturelle Pralinenschachtel, bei der man nie ganz genau weiß, was man bekommt.

Gut, dass beim Auftritt von Calypso Rose Karibisches von Calypso bis Reggae auf dem Programm stehen würde: klarer Fall. Aber es sind die Details, welche die Begegnungen mit fremden Sounds und Kulturen so überraschend, anregend und bisweilen auch irritierend machen. Deutlich später als geplant lässt Calypso Rose zum Beispiel erst einmal gut zehn Minütchen ihre Band die Stimmung anheizen, eher sie selbst in leuchtend rotem Kostüm und ebensolchem Kaftan die Bühne betritt. Allüren einer Diva, die schon mit Bob Marley und Michael Jackson auf der Bühne stand und jüngst den französischen Weltmusik-Star Manu Chao so beeindruckte, dass dieser ihr aktuelles Album „Far from Home“ maßgeblich mitgestaltete? Oder schlicht ein etwas anderer, „karibischer“ Umgang mit dem Faktor Zeit?

Der Song „No Madame“ hat sogar die Politiker wach gerüttelt

Auch im weiteren Verlauf ist das Konzert von Linda McArtha Monica Sandy-Lewis, geboren 1940 auf Tobago, durchsetzt von Momenten, die den Geist auf Reisen schicken. Auch mit 76 Jahren zeigt sie ein ungebrochenes Faible für Frivolitäten und lüftet mehrmals neckisch diverse Stoffpartien über ihrem Hinterteil. Vor allem aber ist da eine für europäische Gemüter irritierende Nüchternheit, mit der Calypso Rose aus einem Leben voller Härte erzählt. Tod, soziale Ungerechtigkeit, finanzielle Ausbeutung oder sexuellen Missbrauch thematisiert sie auf eine fast verstörend pragmatische Art: Lieder einer Frau, die lernen musste, Distanz zwischen sich und ihr Schicksal zu legen. Oder dagegen anzukämpfen wie in „No Madame“, einem Song über die Hungerlöhne von Hausangestellten in ihrer Heimat – kurz nach Veröffentlichung beschloss die damalige Regierung die Einführung eines Mindestlohns.

Wie sehr die Musik den Betriebsstoff, das mentale Benzin für eine solche Vita bildet: Auch davon kündet dieses Konzert. Calypso phrasiert fröhlich, zeigt sich aber mit herben Tönen auch als Rose voller Dornen. Und ihre Band, ein Septett mit Mitgliedern aus Manu Chaos Begleitband Radio Bemba und mit zwei Bläsern im Zentrum, ordnet sich der Gangart des Calypso ein, aber nicht unter. Sie spielt diesen Stil als überbordendes musikalisches „Ja“ an das Leben voll beschwingter Rhythmen, bei denen tausende von Füßen auf dem gut gefüllten Marktplatz einfach nicht still stehen können; bewahrt den Sound mit Elementen aus Jazz, Rock und Ska aber vor jedweder „Banana Boat“-Beschaulichkeit.