Ralv Milberg wie ihn der Künstler Kleon Medugorac und der Fotograf Achim Sieg-Teltschik sehen. Foto: Kleon Medugorac/Achim Sieg-Teltschik

Ralv Milberg kennt man vor allem als Produzenten von Bands wie Die Nerven. Jetzt veröffentlicht der Stuttgarter endlich ein eigenes Album – mit etwas Fanta-4-Hilfe.

Andere Musiker schwärmen einem von ihren coolen Gitarrenriffs oder sensationellen Hooklines vor und davon wie sie ihre letzte toxische Beziehung zu einer knuffigen Indiepop-Nummer verarbeitet haben. Doch Ralv Milberg ist nicht wie andere Musiker. Er spricht lieber über die Latenz von Midi-Schnittstellen, von Tracksummenberechnungen oder davon, dass Obertöne je nach Phasenwinkel anders klingen und dadurch Geistermelodien entstehen können. Milberg, der in den letzten Jahren besonders dadurch auffiel, dass er in seinem Studio in Heslach ganz großartig die Musik von Bands wie Die Nerven, Karies oder von Levin Goes Lightly aufgenommen und produzieren hat, ist der größte Musiknerd Stuttgarts.

 

And.Ypsilon trifft auf Ralv Milberg

Der einzige, der ihm diesen Titel vielleicht streitig machen könnte, heißt Andreas Rieke, ist besser bekannt als And.Ypsilon und ein Viertel der Fantastischen Vier. Dass die beiden jetzt an Milbergs Soloalbum „Colours“ zusammengearbeitet haben, ist deshalb konsequent und überfällig. In sieben endlosen Mastering-Sessions hat And.Ypsilon Milbergs Musikmaterial, das letztlich aus zwei rund 18-minütigen Tracks besteht, dezent-raffiniert veredelt. Der Stuttgarter Tonmeister Tom Krüger (Max Herre, Seeed, Jan Delay) hatte den Kontakt zwischen den beiden vermittelt: „Ich kannte die Fantastischen Vier gar nicht so gut, ich hatte gedacht, das ist nicht meine Musik“, gibt Milberg zu, „aber da habe ich mich sehr getäuscht. Da steckt unglaublich viel drin, und Andi ist mit allen Wassern gewaschen.“

Collage aus Ambient, Dub, Elektro und Krautrock

Inzwischen schwärmt er davon, dass And.Ypsilons Studio wie eine große Lötwerkstatt aussieht, bei der überall Platinen, Tongeneratoren oder Analysegeräte herumliegen. Und vor lauter Fachsimpeln über Aufnahmetechnik und Musiktheorie hätten die beiden fast vergessen, am Album zu arbeiten. Aber nur fast. „Colours“ ist eine wunderbar bizarre Platte geworden, die aus der Zeit gefallen wirkt: eine psychedelisch leuchtende Collage aus Ambient, Dub, Elektro und Krautrock, bei der immer wieder unberechenbar Soundexperimente auf Popmelodien oder Minnegesang treffen können.

Farbleitsystem bei der Studioarbeit

Der Albumtitel könnte sich darauf beziehen, dass auf „Colours“ die unterschiedlichsten Klangfarben aufeinandertreffen. Vielleicht hat es aber auch damit zu tun, dass sich Milberg bei seiner Studioarbeit angewöhnt hat, Aufnahme-Sessions statt mit Kategorien wie „gut“ oder „schlecht“ mit Farben zu bewerten: „gelb“ heißt etwa, da geht noch was, „rot“ steht für großartig, „weiß“ verwendet er, wenn etwas Unvorhersehbares passiert ist, das sich nur als der Geist in der Maschine erklären lässt, „schwarz“ steht für die perfekte Aufnahme. Dieses Label hat er nur siebenmal in seiner Produzentenkarriere vergeben – zweimal bei Songs der Nerven.

Sein erstes Soloalbum wurde Milberg geklaut

Dass Ralv Milberg erst im Alter von 47 Jahren sein Solodebüt vorlegt, hat eine traurige Vorgeschichte. Schon vor 20 Jahren hatte er sein erstes Album fertiggestellt. Dass das aber nie erschien, liegt nicht etwa daran, dass er sich nicht getraut hat, es zu veröffentlichen, sondern, dass es ihm geklaut wurde – beziehungsweise die Computer, auf denen er alle Aufnahmen gespeichert hatte. Damals wohnte und arbeitete er noch in der Nähe des Wasens. Im Juli 2005, als im Reitstadion gerade das Hip-Hop Open stattfand, wurde dort am späten Abend eine WG-Party gecrasht. Unbekannte klauten alles, was sie in die Finger bekamen – darunter auch Milbergs Computer und damit das Album. „Ich hatte sehr lange, locker zweieinhalb Jahre, an dem Ding gearbeitet, hatte Leute von überall her eingeladen“, erinnert sich Milberg an die Platte, die ganz anders war als „Colours“ jetzt: „Das Album war ein opulentes Werk, aber noch sehr bodenständig, was die Musik angeht“, sagt er, „ich habe damals noch als klassischer Singer/Songwriter Konzerte gegeben, bin mit Akustikgitarre und Schellenkranz am Schuh aufgetreten.“

Eine Ralv-Milberg-Leistungsschau

Auf dem Album, das an diesem Freitag erscheint, beweist Milberg dagegen, welche Fähigkeiten er sich als Produzent in den vergangenen zwanzig Jahren angeeignet hat, wie virtuos er sein eigenes Material, das sich über die Jahre angesammelt hat, verarbeiten und kombinieren kann. „Colours“ darf man als eine Art Ralv-Milberg-Leistungsschau verstehen, bei der er nebenbei in Erinnerung ruft, dass er – bevor er sich als Produzent einen Namen gemacht hat – vor allem Musiker war. Für Milberg stellt sich aber eigentlich sowieso nicht die Frage, ob er eher Produzent oder Musiker ist: „Ich bin schlichtweg beides“, sagt er. Auch wenn er in seinem Tonstudio arbeite, beweise er als kreativer Produzent letztlich immer auch sein Musikersein: „Zwischen Musik machen und Musik produzieren ist kaum ein Unterschied vorhanden“, findet er.

„Coulours“-Event in der Matthäuskirche

Weil Ralv Milberg aber eben kein Musiker wie andere ist, wird die Veröffentlichung von „Colours“ nicht einfach mit einem Konzert in irgendeinem Club, sondern mit einer Prelistening-Session in der Matthäuskirche in Heslach gefeiert: Nach kurzen Live-Gigs von Anna Illenberger aka Kitz und Milberg wird zu Hanno Brauns Lichtchoreografie das Album in voller Länge gespielt.

Ralv Milberg aka The Prince In His Arms und „Colours“

Person
Ralv Milberg (47) ist Musiker und Produzent, hat früher auch als Tontechniker an Theatern gearbeitet und betreibt seit 2008 die Milberg Studios in Stuttgart-Heslach. Milberg hat unter anderem schon Die Nerven, Levin Goes Lightly, Human Abfall, Friends Of Gas oder Karies produziert.

Albumrelease
Unter dem Namen Prince In His Arms veröffentlicht Ralv Milberg am Freitag, 24. Januar, sein Soloalbum „Colours“ (I Am Suprised Records). Bereits am Donnerstag, 23. Januar, wird in der Matthäus-Kirche in Heslach bei einem Konzert mit Auftritten von Kitz (Anna Illenberger) und Prince In His Arms das Album auf Vinyl erstmals öffentlich abgespielt. Beginn des Prelistening-Events ist um 19.30 Uhr. Tickets gibt es hier.