Elke aus dem Moore lenkt die Akademie Schloss Solitude seit Mai 2018 Foto: Bernhard Kahrmann

An diesem Freitag, 28. Juni, feiert die Akademie Schloss Solitude ihr Sommerfest. Direktorin Elke aus dem Moore verspricht einen „wunderbaren Abend“ und kündigt im Exklusiv-Interview wichtige Neuerungen an.

Stuttgart - An diesem Freitag, 28. Juni, feiert die Akademie Schloss Solitude in Stuttgart von 17 bis 22 Uhr ihr Sommerfest. Direktorin Elke aus dem Moore verspricht einen „wunderbaren Abend“ und kündigt im Exklusiv-Interview der „Stuttgarter Nachrichten“ für 2020 wichtige Neuerungen an.

Frau aus dem Moore, die Akademie Schloss Solitude freut sich aktuell über internationale Erfolge früherer Stipendiatinnen und Stipendiaten. Haben diese „Krönungen“ eigentlich noch eine Rückwirkung auf die Akademie?

Aber ja! So wird sichtbar, welch hohe Qualität einer künstlerischen Arbeit erreicht werden kann, wenn Künstlerinnen und Künstler ohne ökonomischen oder zeitlichen Druck arbeiten können. Die Arbeit „Sun and Sea“ im litauischen Pavillon, die auf der Biennale Venedig dieses Jahr den Goldenen Löwen gewann, wurde von den drei Künstlerinnen gemeinsam während ihres Stipendiums auf Solitude entwickelt und in einer ersten Version auch in Stuttgart gezeigt.

„Idealtypischer Ort des Zusammenlebens“

Erfolge bleiben also ein Magnet für Solitude?

Eine Künstler-Residenz hat nicht in erster Linie das Ziel sichtbare Erfolge zu feiern. Es geht hier zentral darum, einen idealen Ort für künstlerisches Denken und Arbeiten zu ermöglichen. Ich würde soweit gehen zu sagen, dass es generell ein idealtypischer Ort des Zusammenlebens ist. Mit vielen interessanten Menschen, Künstlerinnen und Künstlern, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus verschiedenen Ländern mit sehr unterschiedlichen Perspektiven und Expertisen ist ein solcher Ort eine ideale Voraussetzung, um Neues entstehen zu lassen. Der Erfolg von Solitude ist es, möglichst Vielen diese Erfahrung zu ermöglichen.

Ablesbarkeit kann dennoch nicht schaden.

Umso mehr freuen wir uns, dass das Staatsschauspiel Stuttgart das unlängst neu erschienene Theaterstück der türkischen Theaterautorin Ebru Celkan – Premiere in Istanbul war im Januar 2019 – in seinen Spielplan aufnimmt. Deutsche Premiere von „Last Park Standing“ wird am 31. Oktober im Schauspielhaus Stuttgart sein. Ebru Celkan hat an der Hochschule für Darstellende Künste in Ludwigsburg einen Workshop gehalten, und ihr Stück erscheint nun im Fischer Verlag. Die Vermittlung der Arbeit von Celkan in die deutsche Kulturszene ist für die Akademie Schloss Solitude ein sehr schöner Erfolg.

Das Prinzip der Vernetzung begründete auch das Festival „Membrane“ zu aktueller afrikanischer Literatur, Kunst und Theater. Was nehmen Sie aus diesem Projekt mit?

In Kooperation mit dem Literaturhaus Stuttgart und dem Institut français fand erstmals eine so große Veranstaltung zu afrikanischen Literaturen und Ideen in Stuttgart statt. Bereits als Leiterin der Kunstabteilung des Instituts für Auslandsbeziehungen hatte ich viele neue Programme in Zusammenarbeit mit afrikanischen Kontexten und Szenen entwickelt, etwa das Online-Magazin „Contemporary And“. Und es ist mir eine große Freude, weitere neue Kooperationsprojekte in Stuttgart mitzugestalten.

Neues Festival „Die irritierte Stadt“ kommt 2020

An was denken Sie?

Gemeinsam mit dem Theater Rampe und Musik der Jahrhunderte sowie der freien Tanz- und Theaterszene Stuttgarts und dem Produktionszentrum planen wir ein neues Festival, bei dem es um interdisziplinäre Perspektiven auf die Stadt geht. „Die irritierte Stadt“ beginnt 2020, widmet sich dem transdisziplinären künstlerischen Arbeiten im öffentlichen Raum und soll alle zwei Jahre stattfinden. Das Festival sieht vor, dass sich Künstlerinnen und Künstler mit zivilgesellschaftlichen Initiativen verbinden und wird – ebenso wie „Membrane“ – von der Bundeskulturstiftung und hier auch von der Stadt Stuttgart unterstützt.

Nach viel Anfangsinteresse blieb es dann aber doch recht still um die vielen Solitude-Veranstaltungen – nicht nur von „Membrane“. Woran lag es? Oder täuscht der Eindruck?

Still war es ganz und gar nicht. Um die Türen sehr weit zu öffnen, wurde neben dem wunderbaren Sommerfest auch ein Winterfest eingeführt. Wir haben ein baden-württembergisches Netzwerk von Kuratorinnen und Kuratoren gegründet. Zudem fand, ebenfalls im Winter 2018, das Festival „Soft Power Palace“ im Kunstgebäude in Stuttgart statt, um Fragen nach dem idealen europäischen Zusammenhalt aus künstlerischer Perspektive zu stellen. Dieses Festival wurde nun nach Berlin eingeladen. Und: „Soft Power Projects“, eine Initiative von Solitude unter kuratorischer Leitung von Paula Kohlmann und Mareen Wrobel wird an verschiedenen Orten Europas weitergeführt, als nächstes bei der Art Week Sofia in Bulgarien.

Viel fand im Projektraum Römerstraße statt. Absicht oder Zufall?

Wegen aktueller Renovierungsarbeiten an den beiden Gebäuden der Akademie, aktuell am Haupthaus, konnten wir seit mehr als acht Monaten keine Veranstaltungen in der Akademie selbst durchführen. So wurde die Römerstraße tatsächlich zentraler Spiel- und Ausstellungsort.

Zentrales Thema: gesellschaftlicher Wandel

Gibt es aus all diesen Erfahrungen Konsequenzen für Ihre eigene Vermittlungsarbeit?

Für unser 30-jähriges Jubiläum in 2020 sind ganz neue Formate angedacht. Zentrales Thema wird der gesellschaftliche Wandel sein. Die Akademie wurde im Jahre 1989/1990 gegründet, also in einer Zeit politischen und gesellschaftlichen Umbruchs. Einen großen Wandel erleben wir auch in diesen Zeiten.

Analysen hierzu sind nicht gerade selten.

Stimmt. Aber ob es um Veränderungen durch die Digitalität oder um die dringend anstehenden Veränderungen der Institutionen unter dem Stichwort Dekolonialisierung geht – die Analyse bleibt wichtig. Dabei darf es nicht bleiben, da haben Sie recht.

Also?

Ich habe einen Thinktank mit Jugendlichen gegründet. Es werden Ausstellungen in baden-württembergischen Ausstellungshäusern stattfinden und geplant ist, die alte Achse zwischen Solitude und Ludwigsburg als Kulturpfad zu aktivieren. Gemeinsam mit anliegenden Gemeinden und zivilgesellschaftlichen Initiativen sollen Stationen erarbeitet werden, an denen künstlerische Positionen präsentiert werden.

„Aufarbeitung von Geschichte als Form gemeinsamer Zukunftsgestaltung“

Sie haben das Stichwort „Dekolonialisierung“ genannt. Bleibt Solitude ein Motor der Debatte?

Sicher. Solitude sehe ich als Modell für eine idealtypische Gesellschaft, in der Künstlerinnen und Künstler mit unterschiedlichsten Herkünften in Austausch treten und ihr Wissen mit uns und der Gesellschaft teilen. Hierzu gehört auch die Zusammensetzung unserer Jury, die aus Theoretikerinnen und Theoretikern, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt besteht.

Was heißt dies konkret?

Um die Debatte weiter zu fördern, sind wir dabei, einen Austausch mit Namibia einzurichten. Hier soll ein nachhaltiges Netzwerk für Künstlerinnen und Künstler sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Namibia und Deutschland aufgebaut werden. Weiter ein Stipendienprogramm zwischen Namibia und der Akademie. Hintergrund ist die kollektive Aufarbeitung von Geschichte als Form von gemeinsamer Zukunftsgestaltung.

Bei Ihrem Antritt hatten Sie angekündigt, die Organisationsstruktur von Solitude zu verbreitern, Entscheidungen und Weichenstellungen noch stärker im Dialog entwickeln zu wollen. Wie weit sind Sie?

Wir befinden uns mitten im Veränderungsprozess, so etwas benötigt Zeit. Gemeinsam mit Team und Fellows verhandeln wir Perspektiven und Zielsetzungen neu.

Auch die kfw Stiftung ist nun Partner

Welche könnten das sein?

Unter dem Thema der Mutation soll das Residenzprogramm als Experimentalraum dienen, als internationale Lern-Einheit, in dem die Teilnehmerinnen und Teilnehmer monatlich stattfindende Labore gestalten und sich an öffentlichen Veranstaltungen beteiligen. Transdisziplinäres Arbeiten wird gefördert, indem mutierende Prozesse beobachtet, analysiert und hinterfragt werden. Für diese neue Programmlinie konnten wir die KfW Stiftung als Partner gewinnen. Auch diese Kooperation ist Ausdruck einer gemeinsamen Weiterentwicklung.

Und was bedeutet dies für die Zukunft von Solitude?

Ziel ist es, Kunst und Gesellschaft stärker miteinander zu verzahnen, sie so zusammenzuführen, dass sie voneinander profitieren können – ohne sich gegenseitig zu instrumentalisieren. Ich würde mir wünschen, dass künstlerisches Denken und Arbeiten eine größere Rolle in gesellschaftlichen Prozessen spielt – bis hinein in politische Entscheidungsprozesse.

Heißt dies, wir werden eine stärkere Zweiteilung erleben? Hier Solitude als internationaler Mitakteur und Organisationsplattform bei übergreifenden Projekten, dort die Akademie mit einem dezidierten „Bildungsprogramm“?

Nein, ich sehe da keine große neue Zweiteilung. Die Akademie bewegt sich immer schon mit diesem Ausrichtung, einerseits einen dezidierten Rückzugsort für freies künstlerisches Arbeiten zu ermöglichen, sowie auch als zentraler Akteur mit dem Auftrag, künstlerisches Wissen und Expertise zugänglich zu machen. Dies möchte ich intensivieren. Letztlich sind wir für die Region ein unersetzbarer Partner mit einem so weitverzweigten internationalen Netzwerk. Das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart sind in Kunstkreisen auf der ganzen Welt durch die Akademie Schloss Solitude bekannt. Die Künstlerinnen und Künstler agieren als Botschafter. Dieses Wissenspotential wollen wir auch im Land Baden-Württemberg verstärkt zugänglich machen.

Künstlerische Forschung ist Bildungsarbeit

Sehen Sie hier keinen Fluch der Konkurrenz eines allerorten zunehmenden „Bildungsauftrags“?

Oh nein. Bildung muss neu gedacht werden und gerade die informellen Bildungsangebote spielen eine große Rolle. Gerade in der künstlerischen Forschung sehe ich eine große Bereicherung für die Zukunft unserer gesellschaftlichen Entwicklung.

„Platform 12“ – Erfolgsallianz mit Bosch

Ihre wichtigen Partner, allen voran Bosch, gehen diesen Weg mit?

Unsere Partner wissen über diesen Schatz und empfinden die Kooperation als Bereicherung. Die Platform 12 auf dem Forschungscampus von Bosch in Renningen ist inzwischen zum Vorzeigemodell geworden. Die Grundidee dieses Programms ist es, einen Dialog zwischen Kunst, Wissenschaft und Wirtschaft zu fördern und Impulse für neue Denkansätze zu geben. Die Interaktion von Menschen aus unterschiedlichen Fachrichtungen sowie der Transfer von Wissen und Erfahrung zwischen den Disziplinen sind die Basis für das Ausprobieren neuer Lernmodelle die sich gegenseitig bedingen. Gerade auf dem Forschungscampus von Bosch weiß man, dass Innovation durch Synergien entsteht.

In aller Kürze: Ein Jahr Elke aus dem Moore an der Spitze der Akademie Schloss Solitude – was ist Ihr Fazit?

Es macht großen Spaß, mit den Fellows, den Kooperationspartnern und dem Team zusammen zu arbeiten! Wir arbeiten gemeinsam an einem „Paradies auf Erden“, einem idealtypischen Zusammensein und Arbeiten, das zweckfrei und doch letztlich für eine Gesellschaft sehr gewinnbringend ist. Denn in der Kunst und in der Imagination liegt ein zentrales Potential für gesellschaftliche Veränderung und Weiterentwicklung. Wir planen, neue Publikumskreise anzusprechen, nicht nur durch neue Formate in der Vermittlung, sondern auch durch unseren Ausbau des Programms digital Solitude als virtuelle Akademie. Desweiteren ist geplant, stärker in die Herkunftsländer der Stipendiatinnen und Stipendiaten zu wirken – unter dem Dach einer „roaming academy“.

Sommerfest 2019 betont Nachbarschaften

An diesem Freitag wird erst einmal gefeiert. In den vergangenen Jahren schien Solitude auch hier etwas aus der von Ihnen gern beschworenen Stadtgesellschaft gerückt. Was wünschen Sie sich für das Sommerfest 2019?

Wir feiern die Kunst und die Verbindungen, die diese schafft. Das Sommerfest steht dieses Jahr unter dem Motto der Nachbarschaften und Gemeinschaften. Wir feiern unsere Verbindung mit den Studierenden der Akademien in Baden-Württemberg, der Kunstszene Stuttgarts, den Anwohnerinnen und Anwohnern der Kavaliershäuser, mit unseren Nachbarn in Gerlingen, in Weilimdorf, mit Initiativen wie Chloroplast und vielen anderen. Es wird eine großartige Veranstaltung, zu der wir die ganze Stadt sehr herzlich einladen.