Der Truppe zugewandt? Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen – hier mit Stefan Demps, dem Kommodore des Hubschraubergeschwaders 64 . Foto: dpa

Immer deutlicher zeigt sich: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat sich im Umgang mit der Bundeswehr verrannt. Schuld daran ist nicht sie allein, kommentiert StN-Chefredakteur Christoph Reisinger.

Stuttgart - Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat Aufklärung gefordert. Möglicherweise kommt sie der wieder ein Stück näher, wenn das Verwaltungsgericht Sigmaringen an diesem Mittwoch über die Klage von vier Soldaten gegen ihre Entlassung wegen Beteiligung an blödsinnigen Aufnahmeritualen im badischen Pfullendorf verhandelt.

Sollte sich das Gericht nicht nur mit formalen Aspekten des Dienst-, Soldaten- und Arbeitsrechts befassen, sondern auch mit Inhaltlichem, wird einmal mehr sichtbar: Es hat an diesem Standort wie an anderen Fehler, Versagen, mangelnde Dienstaufsicht gegeben. Aber nicht das, was die Ministerin, ihre Kommunikationsberater und Generalinspekteur Volker Wieker daraus gemacht haben. „Mafiöse Strukturen“ und ein generelles „Führungs- und Haltungsproblem“ der Truppe sähen anders aus.

Um den mit Abstand am schwersten wiegenden Fall eines Oberleutnants aus Illkirch, der Terror-Attacken vorbereitet haben soll, ist es merkwürdig still geworden. Ähnlich sieht es mit den Ergebnissen der Ausforschung angeblich rechtslastig und wehrmachtsseliger Gesinnung aus, der die Truppe unterzogen wurde. Für den Vorwurf, in Pfullendorf würden Sanitäterinnen einer extrem frauenfeindlichen Ausbildung unterzogen, fand sich kein Beleg. Bleiben also noch die abstoßenden Aufnahmerituale sehr junger Männer, denen an ihren langen Feierabenden nichts Besseres einfiel.

Rufschädigung zu Lasten der Bundeswehr

Das soll reichen, um die enorme Rufschädigung zu Lasten der Parlamentsarmee Bundeswehr zu rechtfertigen, für die von der Leyen die Verantwortung trägt? Immerhin: Sie war das nicht allein. Als im Januar ruchbar wurde, im beschaulichen Pfullendorf habe Stripperinnen-Ausrüstung Eingang in die Sanitätsausbildung gefunden, hagelte es Kritik an der Ministerin. Opposition wie Koalitionspartnerin machten ihr zum Vorwurf, dass sie – völlig richtig – vor der Information des Parlaments zumindest die abschließenden internen Untersuchungsberichte hatte abwarten wollen. Von da an war sie Treibende und Getriebene zugleich.

Eine deutsche Wochenzeitung verstieg sich zur selben Zeit zu der Analyse, die Bundeswehr gehöre „gekärchert“. Und Pfullendorf stehe für „Menschenverachtung und sexuelle Erniedrigung.“ Ach so. Längst ist das Parlament, sind viele Medien weitergezogen zu neuen Skandalen, echten und eingebildeten. Zurück geblieben sind Soldaten, die ihre Posten verloren. Ob zu Recht, das werden nun zumindest in vier Fällen Richter klären. Zurück bleibt eine in weiten Teilen ob der öffentlichen Herabwürdigung entsetzte Bundeswehr. Und eine Ministerin, die vor einem Scherbenhaufen steht.

Bittere Ironie

Sie war es doch, die mit der Attraktivitäts-Offensive für den Arbeitsplatz Bundeswehr den richtigen Akzent gesetzt hat. Die sich energisch daran gemacht hat, mit den Erblasten des Aufschneiders und Vorvorgängers Karl-Theodor zu Guttenberg aufzuräumen und den Streitkräften strategisch, organisatorisch, finanziell eine zeitgemäße Basis zu verschaffen. Was für eine bittere Ironie, dass ausgerechnet sie der Bundeswehr das Etikett der Ewiggestrigen, Ewigfinsteren umgehängt hat.

Egal wie das Sigmaringer Gericht entscheiden wird, einen Aufklärungsfortschritt gibt es: die Erkenntnis, dass die Armee in der Tat ein Führungs- und Haltungsproblem hat. Und zwar in den Teilen ihrer Führungsspitze, die die Ministerin nicht klar und früh genug davor gewarnt haben, sich komplett zu verrennen.

christoph.reisinger@stuttgarter-nachrichten.de