Das Auto der Zukunft tauscht über das Internet Informationen mit anderen Fahrzeugen und der Infrastruktur, etwa mit Ampeln, aus. Doch was geschieht mit den Daten? Foto: stock.adobe.com/metamorworks

Wenn Hersteller Fahrzeugen über Nacht online eine neue Software aufspielen, können sie durch nachträgliche Änderungen auch die Zulassungsvorschriften unterlaufen. Das bewertet Dekra-Chef Stefan Kölbl äußerst kritisch.

Stuttgart - Autos werden immer digitaler.

 

Herr Kölbl, in den heutigen Autos fallen immer mehr Daten an – über das Fahrzeug ebenso wie über Fahrziele und die Fahrweise. Hält der Datenschutz da noch mit?

  Eine zentrale Frage ist, wer über die Daten verfügen darf. Noch vor einigen Jahren betrachteten die Autohersteller die Daten, die das Auto lieferte, als ihr Eigentum. Diese Ansicht wurde zu Recht korrigiert; dennoch ist bei vielen Anwendungen die Frage der Nutzung noch unzureichend geregelt.

Wem sollten die Daten gehören?

Es ist ganz klar, dass die Hoheit über die Daten in allererster Linie beim Eigentümer des Fahrzeugs liegen sollte. Von ihm stammen schließlich die Informationen, und es geht um sein Auto. Er sollte auch entscheiden, wem er die Daten zur Verfügung stellt und wem nicht. Doch in einer Hinsicht sollte es eine Ausnahme geben.

Und das wäre?

Ein Teil der Daten gibt Aufschluss darüber, ob das Auto im laufenden Betrieb noch genauso sicher und umweltfreundlich ist wie das Modell, das einst von den Behörden eine Typzulassung erhalten hat. Bei Umwelt und Sicherheit geht es nicht nur um die Interessen des einzelnen Fahrzeughalters, sondern auch um die der Allgemeinheit. Daher sollte der Zugriff auf solche Daten durch Prüforganisationen möglich sein.

Schon heute müssen Autos ja regelmäßig zur Hauptuntersuchung. Reicht das nicht aus?

Diese Untersuchung findet in Deutschland ab dem dritten Jahr alle zwei Jahre statt, in der Zwischenzeit geschieht praktisch nichts. Das passt überhaupt nicht mehr in eine vernetzte Welt, in der Hersteller den Autos jederzeit neue Software aufspielen können und das auch tun. Damit lassen sich dann nicht nur Komfortfunktionen verändern, sondern beispielsweise auch die Motorsteuerung oder Assistenzsysteme, die für die Sicherheit immer wichtiger werden. Hinzu kommt die Veränderbarkeit der Emissionsfunktion, die ebenfalls jederzeit durch Software-Updates via Vernetzung veränderbar ist. Man kann es aber nicht ins Belieben der Hersteller stellen, in welcher Weise sie die einmal typgenehmigten Fahrzeuge nachträglich verändern.

Autos sollen bald selbstständig auf der Autobahn oder im Stau fahren können. Was bedeutet das für die Prüfungen?

Die Bedeutung dieser Veränderung müssen wir sehr ernst nehmen. Bisher gibt es Assistenzsysteme, doch schon der Name sagt, dass bisher immer der Fahrer die letzte Verantwortung hat. Bereits in der nächsten Stufe 3 wird der Fahrer in bestimmten Situationen wie zunächst nur auf der Autobahn die Verantwortung abgeben können. Da wird es enorm wichtig, dass die Systeme nicht nur einmalig funktionieren, sondern dauerhaft – und auch dann, wenn der Hersteller sie durch ein Update verändert. Die Prüforganisationen müssen hier auf Augenhöhe agieren und dürfen nicht gezwungen sein, den Herstellern hinterherzulaufen.

Sollten die Hersteller Ihnen Informationen über alle Autos zur Verfügung stellen?

Wir wollen auf wirklich neutrale Daten zugreifen, und das geht nur, wenn sie nicht erst über den Rechner der Hersteller gelaufen und von diesen womöglich gefiltert worden sind. Dafür benötigen wir die kompletten Originaldaten, die an ein unabhängiges, vertrauenswürdiges Datenzentrum gesendet werden, das unter staatlicher Aufsicht agiert. Es könnte zum Beispiel von einer staatlichen Behörde oder auch von einem Telekommunikationsunternehmen unter hoheitlicher Aufsicht betrieben werden.

Und dort greifen Sie dann auf die Daten zu, um die Fahrzeuge fortlaufend zu prüfen?

Ja, im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften. Das Ziel muss es sein, Mängel nicht erst bei den Hauptuntersuchungen zu erkennen, sondern bereits während des Betriebs von Fahrzeugen. Die Daten könnten uns Muster liefern, anhand derer wir erkennen, ob ein Hersteller einen Rückruf in die Wege leiten muss. Wenn es um die Sicherheit geht, sollten rein wirtschaftliche Überlegungen keine Rolle spielen.

Ermöglicht ein solches Datenzentrum nicht auch durch die Hintertür eine Überwachung der Bürger?

Wir benötigen technische Daten, keine persönlichen. Aber natürlich könnten Polizei oder Staatsanwaltschaft nach einem Unfall darauf zugreifen. Das ist vor allem für diejenigen von Vorteil, die unverschuldet in einen Unfall geraten und sich bisher schwertaten, das zu beweisen. Dies dient ganz wesentlich dem Verbraucherschutz.

Worin besteht diese Schwierigkeit?

Bisher werden die Daten im Fahrzeug gespeichert. Aber niemand ist verpflichtet, solche Daten herauszugeben und sich dadurch selbst zu belasten. Das macht gerade dem Fahrer die Beweisführung schwer. Werden die Daten an ein neutrales Zentrum gesendet, ist diese Hürde beseitigt. Das wird noch wichtiger beim automatisierten Fahren: Hier wird es nach einem Unfall auch um die Frage gehen, ob die Automatik eingeschaltet war und der Hersteller haftet. Ist der Datenträger im Auto beschädigt, sind solche Informationen nur noch beim Hersteller verfügbar, der sich aber ebenfalls nicht selbst belasten muss. Ein Datentreuhänder ermöglicht oft erst die Aufklärung von Unfällen und entlastet unschuldige Fahrer.

Ein solcher Datenzugriff wird den Herstellern nicht gefallen.

Fahrzeughersteller haben vorgeschlagen, über eine eigene Schnittstelle einen Zugang zu Daten verschaffen, über die sie aber die Hoheit behalten. Wie problematisch diese Hoheit sein kann, konnte man beim Thema Diesel deutlich erkennen. Es ist im Nachhinein kaum noch nachzuvollziehen, welche Version der Motorsteuerung auf welchem Fahrzeug aufgespielt war. In einem Datentreuhändermodell dagegen sind solche Veränderungen auch nach langer Zeit noch manipulationssicher nachzuvollziehen. Allein die langfristige Speicherung der Daten an einem neutralen, nicht unter der Kontrolle der Hersteller stehenden Ort kann eine enorm abschreckende Wirkung entfalten.

Die Elektromobilität wird sich auch auf die Fahrzeugprüfung auswirken. Tests wie die Abgasprüfung fallen weg – was kommt hinzu?

Die Prüfung von Teilen wie Bremsen, Aufhängung und Lenkung ist beim E-Auto in gleicher Weise erforderlich wie bei allen anderen auch. Besonders wichtig ist aber die elektromagnetische Verträglichkeit, von den Hochvoltsystemen über die Batterie bis zur elektronischen Achse einschließlich Motor. Die Komponenten dürfen andere elektromagnetisch empfindliche Geräte nicht stören – und sie sollen gegen solche Einflüsse auch unempfindlich sein.

Brauchen Sie dafür neue Labore?

Wir investieren im Jahr 120 Millionen Euro, insbesondere in Labore und Testfelder, davon die Hälfte in Deutschland. Allein in Stuttgart haben wir in den vergangenen zwei Jahren etwa 25 Millionen Euro in Labore investiert – unter anderem in solche, die die elektromagnetische Verträglichkeit messen, von E-Autos ebenso wie von Geräten aller Art, die sich mit dem Internet verbinden. Deren Anzahl wird in den kommenden Jahren stark steigen.

Sie betreiben am Lausitzring ein großes Prüfzentrum für vernetztes und automatisiertes Fahren, in dem die Telekom ein 5G-Netz für superschnelles Internet installiert. Für wie berechtigt halten Sie Bedenken gegen die Lieferung von Komponenten durch den chinesischen Hersteller Huawei?

Ich halte diese Diskussion für berechtigt. Gerade bei einer kritischen Infrastruktur muss man genau darauf achten, wer daran beteiligt ist und welche Normen gelten. Es ist sehr schwierig, dass wir uns in einer technologischen Abhängigkeit von einem Anbieter befinden, der unter mutmaßlich staatlichem Einfluss steht und bei dem wir nicht genau wissen, welche Möglichkeiten er nutzen kann, um Daten abzugreifen. Wir kämen aus guten Gründen auch nicht auf die Idee, eine chinesische Firma die Software für ein Atomkraftwerk schreiben zu lassen.