In einem US-Dokumentarfilm kann das Publikum von Donnerstag an hautnah miterleben, wie Edward Snowden die NSA-Überwachung enthüllt hat.
Stuttgart/Moskau - Ein linkischer junger Mann mit Brille sitzt auf einem Hotelbett in Hongkong und erklärt sich. Er sei sich seines unerhörten Vorhabens bewusst, sagt er, auch der zu erwartenden Konsequenzen, und seine Wangen röten sich. Er plant einen Geheimnisverrat, der die Welt verändern wird. Es gehe nicht um ihn, sondern allein um die Sache, betont er: millionenfache Bespitzelung ohne konkreten Verdacht unter Missachtung elementarer Bürgerrechte.
Edward Snowden, früher Zuarbeiter des Geheimdienstes NSA, offenbart das ungeheure Ausmaß der Überwachung, die amerikanische Dienste betreiben, tausende geheimer Dokumente gibt er an Journalisten weiter. Dabei kann ihm nun die ganze Welt zusehen, denn er hat die US-Filmemacherin Laura Poitras eingeladen, alles zu dokumentieren. Frei, ohne Auflagen, wie sie „embedded journalists“ haben, die das US-Militär zu Kriegseinsätzen mitnimmt.
Poitras ist eine Initiatorin der 2012 gegründeten Freedom of the Press Foundation, die für „aggressiven“ Journalismus über „Missmanagement, Korruption und Gesetzesbrüche der Regierung“ steht. Zwei Filme zu 9/11 hat sie bereits gedreht: „My Country, My Country“ (2006), ein Oscar-nominiertes Werk über die irakische Realität unter US-Besatzung, sowie „My Oath“ (2010), Zeugnisse zweier ehemaliger Mitarbeiter Osama Bin Ladens über Dschihad, Loyalität und die Terror-Organisation El-Kaida.
Nun folgt Teil drei, in dem sie Zeitgeschichte zum spektakulären Thriller verdichtet. Der beginnt im Januar 2013. Sie bekommt die E-Mail eines gewissen „Citizenfour“, er stellt Beweise für Massenüberwachungsprogramme diverser Geheimdienste in Aussicht. Es ist Snowden, den sie im Juni in Hongkong trifft mit dem investigativen Journalisten Glenn Greenwald und dem „Guardian“-Reporter Ewen MacAskill. Sie diskutieren Bedingungen und Ablauf der Veröffentlichungen, die Anspannung ist mit Händen zu greifen.
Die Regisseurin montiert zu Snowdens Aussagen Fernsehnachrichten, Auszüge aus Anhörungen und Vorträgen, Einlassungen weiterer Zeugen wie Ex-Agent William Binney, der nach 32 Jahren bei der NSA 2001 desillusioniert seinen Dienst quittierte. Über ihn hat Poitras 2012 einen Beitrag für die „New York Times“ gemacht, er teilt seine Erfahrungen bei Veranstaltungen rund um die Welt. Auch WikiLeaks-Gründer und Enthüller Julian Assange kommt zu Wort sowie der Hacker Jacob Appelbaum.
Einen bemerkenswerten Beitrag liefert trotz richterlichen Maulkorbs Ladar Levison, dessen fast unbezwingbare Verschlüsselungs-Software Lavabit Snowden für seine E-Mails nutzte. Als die Behörden von Levison Kundendaten wollten, habe er den Betrieb eingestellt, sagt er – alles andere hätte seine Philosophie ad absurdum geführt.
Sie alle stießen bei offiziellen Stellen auf taube Ohren oder gar Drohungen und kreisen nun um die Frage: Sind die USA noch ein Rechtsstaat? Vor 15 Jahren wären sie dafür belächelt worden – die USA mit ihren 1788 in der Verfassung verbrieften Grundrechten waren der Welt immer ein Vorbild. Nach dem 11. September 2001 aber folgte dem Anschlag auf World Trade Center und Pentagon ein Angriff auf die Freiheit: Die Schockstarre ausnützend, setzte die Regierung George W. Bush mit dem „Patriot Act“ (Gesetz) und „Homeland Security“ (Maßnahmen) Bürgerrechte außer Kraft zugunsten umfassender Überwachung zur Terror-Prävention. Der aktuelle US-Präsident und frühere Bürgerrechtsanwalt Barack Obama sagt in „Citizenfour“, Edward Snowden sei kein Patriot; das sehen viele Amerikaner anders. Unter dem Titel „Edward Snowden, patriot“ schrieb Ezra Klein schon im August 2013 in der Washington Post, der Whistleblower habe eine fällige Debatte angestoßen und dem Land einen großen Dienst erwiesen.
Natürlich sind die neuen digitalen Möglichkeiten ein Grund für die aktuelle Krise – was möglich ist, wird auch getan. Snowden quantifiziert es: „Gehen Sie davon aus, dass Ihr Gegenüber eine Billion Vermutungen pro Sekunde anstellen kann“, sagt er im Film. Und anders als etwa bei der Kommunistenhatz der 1950er Jahre berührt der aktuelle Konflikt das Selbstverständnis der USA: Whistleblower wie Snowden sind überzeugt davon, ihre Nation zu verteidigen gegen eine aus dem Ruder laufende Staatsmacht.
Am Ende von „Citizenfour“ schaut Poitras in eine Moskauer Küche auf Edward Snowden und seine Freundin, die ihm ins Asyl gefolgt ist. Er wirkt gelöst, wie ein Mann, der trotz allem mit sich im Reinen ist.