Bisher unschlagbar: Shaun White in der Halfpipe Foto: dpa

Shaun White ist der Star der Snowboardszene. Die Zahl seiner Herausforderer aber steigt. An diesem Dienstag will der Schweizer Iouri Podlatschikow den König der Halfpipe stürzen. Mal wieder.

Sotschi - Es liegt in der Natur der Sache, die Tragik folgt ein Stück weit der Logik, es ist einfach so: Der Erfolgreiche kann nicht immer der Geliebte sein. Weil er andere ja ganz automatisch daran hindert, ebenso gut und groß zu sein. Shaun White weiß um diese Zusammenhänge. Und sie sind ihm egal.

Beispiele dafür gibt es viele, seit der Superstar der Snowboardszene im Alter von sieben Jahren einen Ausrüstervertrag bekommen hat. Seit er zur Ikone aufstieg. Seit er angehimmelt wird. Seit er seinen Sinn fürs Geschäft bewiesen hat und stinkreich geworden ist. Seit Ende der vergangenen Woche gibt es ein weiteres.

Bei den Winterspielen von Sotschi gab es für die Freestyle-Snowboarder, die bislang nur in der Halfpipe um Medaillen fahren durften, erstmals einen weiteren Wettbewerb. White hatte angekündigt, zweimal antreten zu wollen, auch im Slopestyle – bis er kurzfristig seine Absage erklärte. Er habe sich entschieden, sagte er, sich „darauf zu konzentrieren, in der Halfpipe die dritte Goldmedaille in Serie nach Hause zu bringen“. Viele Konkurrenten sagen, er habe gekniffen, weil er nicht sicher war, gewinnen zu können. Die Enttäuschung war groß – vor allem bei jenen, die beweisen wollten: White ist nicht unschlagbar. Das muss jetzt Iouri Podlatschikow übernehmen.

Der Schweizer gegen den Amerikaner, der Herausforderer gegen den Platzhirsch, der kleine Iouri gegen sein großes Vorbild – das Duell ist keine neue Geschichte. Es gab sie schon, auf großer Bühne zuletzt vor vier Jahren in Vancouver. Podlatschikow plante den Angriff, wurde aber nur Vierter. White gewann in der Halfpipe sein zweites Gold, blieb unangefochten, der Schweizer war enttäuscht. Aber er steckte nicht auf. An diesem Dienstag stellt er sich in Sotschi erneut zum Duell – auf einer ganz anderen Ebene.

„Es gab Zeiten, da war Shaun ein Gott für mich“, sagt Iouri Podlatschikow, macht aber schnell klar, dass diese Zeiten längst vorbei sind. „Jetzt“, sagt er, „ist die Zeit, da ich ihn schlagen kann.“ Jetzt hat er die Mittel. Jetzt hat er die Erfahrung. Und er hat noch mehr.

25 Jahre alt ist Podlatschikow mittlerweile, seit 17 Jahren lebt er mit seiner Familie in der Schweiz, die Heimat seiner Eltern aber ist ein anderes Land. Es ist das Land der Olympischen Winterspiele 2014. Es ist Russland. Und hier, findet Podlatschikow, genießt er so etwas wie „Heimrecht“. Das ihm helfen soll, den Spieß umzudrehen. Seine Herausforderung ist längst ausgesprochen.

Viele Worte hat der Schweizer dafür nicht verlieren müssen. Einer wie er kann sich anders ausdrücken, am besten mit einem Snowboard an den Füßen. Bei den X-Games im vergangenen Jahr zeigte der 25-Jährige in der Pipe einen Trick, den bis dahin kein anderer beherrscht hatte. Er nennt sich Yolo-Flip, ein doppelter Salto samt vierfacher Schraube. Shaun White, der bislang als Maßstab galt, soll beeindruckt gewesen sein – und musste, vielleicht zum ersten Mal in seinem Sportlerleben, nachziehen. Den Yolo-Flip kann auch er mittlerweile, nun wird spekuliert, ob er in Sotschi noch einen draufpackt. Podlatschikow beeindruckt das eher wenig. Er sagt über White: „Ich habe alle Tricks drauf, die er hat.“ Weil er von Shaun White gelernt hat.

Nach der Niederlage am Cypress Mountain in Vancouver hat er viel darüber nachgedacht, was ihm sportlich denn fehlen könnte im Vergleich zum Superstar aus den USA. Seine Antwort: „Ich glaube, dass es an seiner Erfahrung liegt – und am Skateboarden.“ Shaun White nämlich glänzt mit dem Brett nicht nur auf dem Schnee, sondern auch auf Asphalt und in den Skateparks – was ihm im Winter wiederum zu mehr Sicherheit und Körperbeherrschung verhilft. Iouri Podlatschikow mietete sich also eine Halle, ließ eine Halfpipe aufbauen – und skatet seitdem regelmäßig. Nun fühlt er sich bereit, um mit nicht weniger zufrieden zu sein als mit dem Olympiasieg. „Ein dritter Platz wäre für mich wie der vierte letztes Mal“, sagt er. Shaun White, mittlerweile mindestens genauso Geschäftsmann wie Sportler, sagt, er wolle den „Three Peat“, den olympischen Hattrick. Ganz egal, ob er sich damit Freunde macht oder nicht.